Morgenpost

Rechts wie links, alles hoffnungslos? 

Die Nachwehen der niederösterreichischen Wahl, die Angst vor der Zukunft und ein Tschetschene, der zeigt, wie es vielleicht auch könnte.  

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Die Wahl in Niederösterreich ist geschlagen. Schuldige wurden namhaft gemacht. Sie sind – aus Sicht der gekränkten Verliererin ÖVP – jedenfalls nicht in den eigenen Reihen zu finden. Die schlechte Stimmung im Land sei dem Krieg in der Ukraine geschuldet, der Teuerung, der Migration, also jenen Verwerfungen, für die Niederösterreich nun wirklich nichts kann. Für ihre Bewältigung zuständig wären die beiden Bs: Bund und Brüssel. Die FPÖ wiederum, die große Gewinnerin, habe genau darauf gesetzt, als wäre die Landtagswahl eine Bundeswahl gewesen. Um das Problembewusstsein der – ebenfalls abgestraften - SPÖ war es in der ersten Schrecksekunde nicht viel besser bestellt. Tenor: Im Prinzip alles richtig gemacht. Genossen, vorwärts! Tags darauf war Landesparteichef Franz Schnabl, 64, freilich Geschichte und Sven Hergovich, 35, derzeit Geschäftsführer des AMS Niederösterreich, sein Nachfolger.

Die Kunst der politischen Schönrede 

Bei allem Respekt für die Kunst der politischen Schönrede: Wer gibt Wählerinnen und Wählern einen winzigen Funken Hoffnung, dass Probleme gelöst werden können, und die Zukunft nicht ein endloses, unvermeidliches Jammertal zu werden droht? Es ist offensichtlich, dass die Welt voller überaus ernster Herausforderungen ist. Pflegenotstand, Arbeitskräftemangel, Klimakrise, Ungleichheit, Künstliche Intelligenz wären noch hinzuzufügen. Wo aber sind mutmachende Anstöße, Ideen oder auch bloß Versuche, die sich vielleicht irgendwann als Irrtümer herausstellen könnten?  

Alles wäre besser, als das mantraartige Gezeter über eine FPÖ, die nicht mehr tun müsse, als die – in Niederösterreich und weit darüber hinaus – grassierende Unzufriedenheit zu nützen. Es stimmt schon, dass Wählerinnen und Wähler eine undankbare Spezies sind. Schließlich hat die Regierung die kalte Progression abgeschafft, die Gehälter steigen und die Härten der Teuerung werden zusätzlich durch Förderungen abgefedert. Aber diese Maßnahmen helfen nicht gegen die Bangigkeit vor morgen und übermorgen und die darauffolgenden Tage, Wochen, Jahre und Dekaden. 

Liberalismus unter Druck 

Vor einigen Wochen gab der politische Denker Ivan Krastev der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ ein Interview zur Frage, warum die Gegner liberaler, weltbürgerlicher Ideen im Westen so starken Aufwind haben. Die FPÖ kam nicht ausdrücklich zur Sprache, nachdem sie als eine Art Vorhut für populistische, nationalistische Bewegungen in Europa gilt, war sie aber auf jeden Fall mitgemeint. Eine Passage dieses Gesprächs geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Krastev sagte, ein wichtiger Motor für die Abkehr vom Liberalismus sei „das Verschwinden der Zukunft“, denn er zehre von der Zuversicht, dass wir Krisen meistern können. Diese Hoffnung sei politisch links wie rechts verloren gegangen. Die Linke habe Angst, dass wir mit dem Weltklima nicht weniger als die Grundlagen des Lebens zerstöre, während die Rechte fürchte, dass durch Zuwanderung die spezifisch eigene Lebensweise verloren gehe.  

Wer macht sich auf die Suche nach der verlorenen Zukunft? Ob der neu installierte SPÖ-Landeschef ein Signal in dieser Hinsicht ist, wird sich weisen. Immerhin fiel Hergovich bereits mit einem Pilotprojekt für die Arbeitslosen in Marienthal weit über die Grenzen hinweg auf. profil berichtete darüber. Davon abgesehen fühlt sich im kleinen Niederösterreich für die großen Themen scheinbar kaum jemand zuständig. Im Bund sieht es nicht viel besser aus. Das lässt sich beispielhaft an Asyl und Migration zeigen, neben der Teuerung für die FPÖ auch in Niederösterreich ein heftig getrommeltes Thema. Seit 2000 wird das Innenministerium, das für Asyl und Migration zuständig ist, fast durchgängig von der ÖVP regiert. Der aktuelle Ressortverantwortliche Gerhard Karner, ein in Niederösterreich sozialisierter ÖVP-Politiker, profiliert sich mit „harter Kante“, Grenzschutz und Zeltlagern für „illegale Migranten“. Genützt hat es der ÖVP nichts, der FPÖ womöglich sehr.  

„Cop and Che“ 

An dieser Stelle mache ich einen harten Schwenk zu einem 23-jäjhrigen Tschetschenen, der als Jugendlicher jede Menge schlechter Erfahrungen mit der Polizei gesammelt hat. Und die Polizei mit ihm. Der junge Mann begnügte sich nicht damit, das für den Rest seines Lebens zu beklagen, sondern suchte einen Weg, das Verhältnis zwischen jugendlichen Randgruppen und der Exekutive zu verbessern. In Gestalt eines Wiener Grätzelpolizisten namens Uwe fand er einen Konterpart, der sein Anliegen teilte. Seit einigen Monaten stehen der Beamte und der Tschetschene einander als „Cop“ und „Che“ auf TikTok gegenüber: Ahmad stellt Fragen, die Jugendliche gepostet haben. Und egal, wie frech, blöd oder provokant sie daherkommen, der Polizist antwortet darauf gleichbleibend stoisch, freundlich und sachlich. Sagenhafte 1,5 Millionen Mal wurden diese Videos bisher angeschaut.  

Das Format wurde ein Renner, weil beide Seiten – sowohl die Polizei als auch der Tschetschene –alte Pfade verlassen, etwas Neues versuchen und die Gefahr von Selbstkritik nicht scheuen, um einer Lösung näherzukommen. Ist es vermessen, sich das – angesichts der enormen Herausforderungen, die wir gesellschaftlich zu bewältigen haben, auch von Politikerinnen und Politikern zu erhoffen? 

Herzlich,  

Edith Meinhart 

 

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges