Morgenpost

Selenskyj in den USA: Ein Blitzbesuch als Weckruf

Wolodymyr Selenskyjs erste Auslandsreise seit Beginn des Krieges geht nach Washington. Warum das Europa wachrütteln sollte.

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“Wir werden gewinnen, weil wir vereint sind!” Es sind klare Worte des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor dem US-Kongress am Mittwoch - unter tobendem Applaus. Es ist Selenskyjs erste Auslandsreise seit Kriegsbeginn - und die führt ihn nicht nach Brüssel, Berlin, Paris oder London - sondern in die USA. Das sollte zu denken geben. 

Denn: Die Vereinigten Staaten sind - trotz der geografischen Distanz - der wichtigste Verbündete der Ukraine bei der Verteidigung gegen Putin. Die US-Regierung hat seit Joe Bidens Amtsantritt Militärhilfen in Höhe von rund 18 Milliarden US-Dollar bereitgestellt. Das entspricht knapp zwei Drittel der ukrainischen Staatseinnahmen 2022. Zum Vergleich: Deutschland stellte bisher 2,3 Mrd US-Dollar, Großbritannien 1,9 Mrd. 

Amerika rettet die Ukraine - und auch Europa

Joe Biden nutzte das Treffen, um der Ukraine weitere Militärhilfen zuzusichern. Konkret: Ein Unterstützungspaket von rund 1,85 Milliarden US-Dollar, zu dem auch ein Raketenabwehrsystem der Sorte Patriot zählt. Damit dürfte sich die Ukraine - so die Hoffnung - besser gegen russische Raketenangriffe verteidigen können. 

Seit Wochen greift Moskau gezielt die kritische Infrastruktur der Ukraine an. Millionen Menschen sitzen bei Minusgraden in Kälte und Dunkelheit. Wasser, Nahrung und medizinische Versorgung werden mitten in Europa zum Luxusgut. Ob das gegen das Kriegsrecht verstößt, hat meine Kollegin Franziska Tschinderle recherchiert. 

Und Europa? Jene Länder, die dem Krieg am nächsten sind, nähern sich der Grenze ihrer Großzügigkeit. Laut Strategen ist klar: Der Ukraine-Krieg hebt nicht nur die militärischen Schwächen Russlands hervor, sondern auch die der EU. Waffen werden auf beiden Seiten knapp. Die Lagerbestände sind für kurze, hochintensive Kriege gedacht, aber nicht für einen lange andauernden Artilleriekrieg, wie ihn derzeit die Ukraine erlebt. Hier werden an einzelnen Tagen bis zu 60.000 Raketen abgeschossen. 

Die finnische Premierministerin Sanna Marin brachte die Situation vor Kurzem auf den Punkt: “Europa ist derzeit nicht stark genug. Ohne die USA hätten wir große Probleme. Europa muss die eigenen Verteidigungsfähigkeiten aufbauen.”

In der Ukraine steht eine neue russische Offensive bevor. “Das Ziel Russlands ist, das Südufer des Dnepr abzusichern und die Truppen mit den eingezogenen Reservisten zu stärken. Damit könnten die Russen im Frühjahr einen neuen Vorstoß versuchen”, sagt Militärexperte Markus Reisner im profil-Interview. Gelinge Putin damit die Einnahme des gesamten Donbass, könnte er dies zu Hause als Teilsieg verkaufen, der aus russischer Sicht den Weg für “Friedens”-Verhandlungen ebne. 

Wolodymyr Selensky machte bei seiner Rede vor dem US-Kongress aber klar: Ein Kompromiss wie die Aufgabe der Ostukraine sei ausgeschlossen. Bei dem Krieg gegen sein Land gehe es nämlich nicht nur um das Schicksal der Ukrainerinnen und Ukrainer. Vielmehr werde „der Kampf definieren, in welcher Welt unsere Kinder und Enkelkinder leben werden“, warnte er. Ein russischer Angriff gegen Verbündete sei nur eine Frage der Zeit. „Ukrainischer Mut und amerikanische Entschlossenheit“ müssten die Zukunft der Freiheit garantieren. 

Und wieder kein Wort über Europa. 

Einen schönen Freitag und erholsame Feiertage wünscht Ihnen

Maximilian Mayerhofer

 

 

Maximilian Mayerhofer

Maximilian Mayerhofer

war bis Mai 2023 Online-Redakteur bei profil. Davor war er beim TV-Sender PULS 4 tätig.