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Wie ein US-Techriese heimische IT-Firmen erpresste

Vor über einem Jahr wurde der heimische Cloud-Anbieter Anexia von einem der größten Halbleiterproduzenten der Welt unter Druck gesetzt und fast um seine Existenz gebracht. Heute kämpft der Geschäftsführer für mehr Unabhängigkeit von US-Techgiganten – sein Fall ist nur einer von vielen.

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Ein schlimmeres Weihnachtsgeschenk hätte sich Alexander Windbichler kaum vorstellen können. Zwei Tage vor Heiligabend 2023 bekam sein Cloud-Dienstleister Anexia Post von einem der größten Halbleiter-Hersteller der Welt. Das US-Techunternehmen Broadcom kündigte aus dem Nichts einen bestehenden Vertrag mit Anexia – und mit zahlreichen weiteren EU-Kunden. Binnen drei Monaten könne man aber noch entscheiden, ob man einen neuen Vertrag abschließen möchte – im Fall von Anexia um den achtfachen Preis und zahlbar im Voraus für ein Jahr. Anstatt wie bisher am Monatsende nach erbrachter Leistung. „Das war Erpressung, anders kann ich den Fall nicht beschreiben“, sagt Windbichler heute. 

Er sitzt relativ entspannt in einem Wiener Innenstadt-Café. Der Unternehmer wird nicht müde zu betonen, wie wichtig es für europäische Firmen und Behörden ist, sich von US-Techgiganten und Cloud-Anbietern wie Amazon, Apple und Co zumindest ein Stück weit zu emanzipieren und eigene, europäische Lösungen zu entwickeln. Auch profil berichtete erst kürzlich, wie sich nun Firmen und die öffentliche Verwaltung von der Übermacht der US-Dienste lösen wollen. Vor gut einem Jahr hat der Vorfall, über den auch die „Kleine Zeitung“ berichtete, Windbichlers Unternehmen mit 450 Angestellten aber fast um die Existenz gebracht. Wie erpressbar Europa von US-Digitalriesen ist, wird seit Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten immer evidenter. Firmen wie Anexia bekommen die Übermacht aus Übersee aber schon länger zu spüren.

Vieles, das heute hinter unseren Apps, Mailkonten und Streamingdiensten in der digitalen Welt passiert, sehen wir gar nicht. Und – so ehrlich müssen wir sein – wir verstehen es auch nicht. Aber es ist überlebensnotwendig für die digitale Welt, in der wir uns bewegen. Anexia zum Beispiel ist eine Firma, die fast nur Brancheninsider kennen. Wer aber über Willhaben etwas kauft, die Webseite der Arbeiterkammer ansteuert, auf Parship eine Partnerin sucht oder in Österreich eine Netflix-Serie streamt, nutzt im Hintergrund die Cloud-Dienste von Anexia. 

Und wer in Europa von welchem Gerät auch immer das Internet ansteuert, nutzt dafür ziemlich sicher die Hardware, also zum Beispiel Microchips, von Broadcom. „Broadcom ist einer der größten Tech-Anbieter weltweit. Man kommt kaum an ihnen vorbei und das ist schon eine ziemliche Marktmacht“, meint Windbichler. Broadcom kaufte im November 2023 den US-Softwaredienstleister VMware um 69 Milliarden US-Dollar. Die EU-Kommission segnete den Kauf damals übrigens ab und sah kein Problem einer möglichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung.

Wie sehr  viele europäische IT-Firmen war Anexia VMware-Kundin. Ganz vereinfacht erklärt, potenzierte VMware physische Server und vervielfachte sie virtuell. Das macht die Nutzung von Hardware um ein Vielfaches effizienter und energiesparender. Und es ist die Basis für fast alle Cloud-Anbieter in Europa. „Wenn Cloud-Dienste von Microsoft, Google oder Amazon nicht mehr verfügbar sind, sind wir hier in Europa völlig aufgeschmissen.“ 

Genau das weiß auch US-Präsident Donald Trump, den nur noch ganz wenige Regierungen in Europa als echten Verbündeten sehen. „Wir haben mit den USA keine Partnerschaft auf Augenhöhe, und Trump könnte sehr wohl per Executive Order die Cloud für ganz Europa abdrehen. Dann steht hier alles still“, meint Windbichler, der auch im Vorstand der europäischen Interessensvertretung für Cloud-Anbieter, CISPE, ist. 

Sein Unternehmen hat es übrigens im Vorjahr geschafft, sich von Broadcom zu lösen; unter enormen Kosten, massiven Anstrengungen und unzähligen Arbeitsstunden. Jetzt nutzt Anexia Open Source Software, deren Quellcode öffentlich einsehbar ist und theoretisch von allen bearbeitet und verbreitet werden kann, also nach dem Prinzip der Schwarmintelligenz entwickelt wird. „Das hat fast alle Ressourcen im Unternehmen beansprucht, aber wenigstens sind wir nicht mehr so erpressbar.“

Broadcom antwortete übrigens nicht auf eine profil-Anfrage zur Frage der Vertragskündigung von damals und zur Abhängigkeit europäischer Firmen und Behörden von US-Diensten.

Marina Delcheva

Marina Delcheva

leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".