„Ich bin ein ­Sicherheitsrisiko“

Andreas Khol: „Ich bin ein ­Sicherheitsrisiko“

Interview. Andreas Khol über das Staatsgeheimnis Beamtenpension und den Flop der Grasser-Rente

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Interview: Eva Linsinger

profil: Sie sind 72, arbeiten noch, haben sechs Kinder. Sind Sie ein Vorbild für das Pensionssystem?
Andreas Khol: Ein bisschen schon, aber durchaus im eigenen Interesse: Wenn alle nach dem Abschluss der Erwerbsarbeit noch ehrenamtlich eine sinnvolle Beschäftigung ausüben, verlängern sie ihr Leben, tun etwas für die Allgemeinheit und haben ein harmonischeres Familienleben, weil man sich weniger leicht auf die Nerven geht. Menschen, die nichts mehr zu tun haben, altern schneller.

profil: Was ist das ideale Alter, um aufzuhören zu arbeiten?
Khol: Wenn jemand eine eintönige Arbeit hat, etwa am Fließband steht, sehnt er den Pensionseintritt herbei. Auf der anderen Seite wollen Menschen, die einen spannenden Beruf haben, gerne so lange wie möglich arbeiten. Unser Ziel muss aber sein, dass alle länger arbeiten, weil die Lebenserwartung steigt. Ein heute 80-Jähriger hat sehr gute Chancen, 100 zu werden – das war einmal ein biblisches Alter.

profil: Wie wichtig ist die Geburtenrate für das Pensionssystem?
Khol: Sie wird überschätzt. Die Tatsache, dass es heute weniger Kinder gibt, wird ja dadurch ausgeglichen, dass Menschen länger arbeiten, es Zuwanderung gibt und mehr Frauen im Erwerbsleben stehen.

profil: Sie haben sich politisch vom Saulus zum Paulus gewandelt. Unter Schwarz-Blau erklärten Sie, das staatliche Pensionssystem stehe am Rande des Bankrotts, heute sind Sie sein größter Fan. Woher kommt der Gesinnungswandel?
Khol: Ich würde mich nie mit dem Heiligen Paulus vergleichen. Aber das Pensionssystem war vor den großen Reformen unter Wolfgang Schüssel in einem Notzustand. Daher die Kritik, daher die Veränderungen. Selbst der wildeste Schwarz/Blau-Gegner sagt heute, dass ohne die Reformen das Pensionssystem am Sand wäre.

profil: Unter Schwarz-Blau wurde auch die Hacklerregelung erfunden: eine üppige Frühpensionsform, maßgeschneidert für Beamte.
Khol: Leider. Das hat niemand geahnt. Ich erinnere mich noch heute, wie wir im ÖVP-Parteivorstand darüber beraten haben und der Beamtengewerkschafter Fritz Neugebauer gerufen hat: „Na, die 6000 Pensionisten werden wir uns wohl leisten können.“ Es waren dann aber 60.000.

profil: Generell war Schwarz-Blau sehr gnädig zu den Beamten.
Khol: Da müssen Sie den Verfassungsgerichtshof hinterfragen. Er hat zum Beispiel herausgearbeitet, dass für Beamte besondere Regeln gelten, weil sie jederzeit wieder in den Dienst zurückberufen werden können.

profil: Das passiert aber nie.
Khol: Während der österreichischen EU-Präsidentschaft wurden einige aus dem Ruhestand zurückgeholt, aber das sind Einzelfälle. Als Verfassungsjurist will ich nicht an der Höchstjudikatur zweifeln. Mich ärgert eine andere Sache mehr: Es fehlen uns, also der Öffentlichkeit, die Zahlen über die Pensionsversicherung der Beamten.

profil: Ach, auch Sie bekommen die von Neugebauer nicht?
Khol: Wir kriegen sie nicht. Das ist ein Staatsgeheimnis – und das ist absurd. Erst jetzt im neuen Koalitionsübereinkommen ist geregelt, dass die Pensionskommission auch den Öffentlichen Dienst bearbeitet und nicht nur das ASVG-System. Spätestens 2015 wird das Staatsgeheimnis gelüftet und wir werden wissen, wie viel der Staat zu den Beamtenpensionen dazuzahlt.

profil: Als zweiter großer Fehler der schwarz-blauen Pensionsreform wird oft genannt, dass die private Pensionsvorsorge, die Grasser-Pension, ein Flop war.
Khol: Die war leider ein Fiasko. Die Menschen hätten mehr herausbekommen, wenn sie das Geld auf Sparbücher gelegt hätten. Die dritte Pensionssäule, die privaten Pensionen, ist in Österreich wie mit einem Erbfluch belastet. Das Pensionskassengesetz für die Firmenpensionen war leider ein schlechtes Gesetz. Die Verrentung der Mitarbeitervorsorge, die Abfertigung neu, funktioniert nicht, und die Grasser-Pension war ein Flop. Alle drei Bereiche werden jetzt repariert. Wir müssen die dritte Säule ­wiederbeleben, denn die heute Jungen werden nicht mehr mit 80 Prozent ihrer Einkommen in Pension gehen, sondern mit 70.

profil: Die 70 Prozent garantieren Sie den Jüngeren?
Khol: Wer im Sozialsystem irgendetwas garantiert, ist ein Scharlatan. Aber wenn sich die Beschäftigung so weiterentwickelt wie jetzt, können wir die 70 Prozent auszahlen.

profil: Wer sagt, das Pensionssystem wird zusammenbrechen, der lügt?
Khol: Nein, aber er vertritt eigene Interessen. Die Versicherungswirtschaft hat ein Interesse daran, dass die Menschen sich davor fürchten, im Alter zu verarmen. Mich ärgert die Werbung „Vertrauen Sie nicht Ihren Kindern“. Auch manche Industrievertreter würden gerne weniger Beiträge in das Pensionssystem bezahlen und reden es daher krank. Da wird manchmal bewusst Falschmünzerei betrieben.

profil: Auch von ÖVP-nahen Organisationen, etwa der Jungen Wirtschaft oder der Jungen Industrie.
Khol: Das tut mir weh. Aber ich muss objektiv sein und sagen, Junge Volkspartei und Sozialistische Jugend sind da anders, sind Partner. Wolfgang Moitzi von der Sozialistischen Jugend sagt etwa, der Konflikt geht nicht Alt gegen Jung, sondern Arm gegen Reich.

profil: Sie stimmen den Jungsozialisten zu? Werden Sie gar noch zum Klassenkämpfer?
Khol: Mich widert an, wenn der Klassenkampf in die Familien hineingetragen wird. Natürlich gibt es noch eine kleine Gruppe von Pensionsprivilegien, etwa in der Nationalbank, wo die Öffentlichkeit zu Recht aufjault. Man muss in jede Nische hineinleuchten.

profil: Aber besteht generell im Pensionssystem der Konflikt Arm gegen Reich?
Khol: Gerade die „kleinen“ Pensionisten sind der Ansicht, dass sie nicht gerecht behandelt werden und zu wenig bekommen. Wenn wir dann erläutern, dass die Pension vom vorherigen Einkommen abhängt, kommen böse Reaktionen – nach dem Motto: Es war ja schon ungerecht, dass ich so wenig verdient habe. Deswegen haben wir uns immer bemüht, für kleinere Pensionen mehr herauszuholen. Aber es muss sich schon auch die Erkenntnis durchsetzen, dass jedes Jahr für die Pension zählt und sich etwa Teilzeitarbeit niederschlägt.

profil: Wissen das die Menschen noch immer nicht?
Khol: Nur teilweise, dazu ist immer noch die Frühpensionskultur verbreitet. Zum Beispiel gehen viele Frauen dann in Invaliditätspension, wenn der Mann pensioniert wird. Ich verstehe das ja alles – aber in Zukunft geht das halt nicht mehr abschlagsfrei. Wenn wir das Pensionssystem fit halten wollen, muss sich die Einstellung ändern. Das passiert gerade.

profil: Selbst staatsnahe Unternehmen wie der ORF schicken nach wie vor gesunde und arbeitswillige 60-Jährige in Pension.
Khol: Solche Unternehmen müssen in Zukunft einen Malus bezahlen, das war höchste Zeit. Ich habe gerade den ORF immer gebrandmarkt, auch in Live-Sendungen. Daher werde ich nicht mehr so oft eingeladen. Ich bin ein Sicherheitsrisiko und sage immer wieder, dass der ORF der größte Jobmobber der Republik ist. Die Leute dort kriegen sehr deutlich mitgeteilt, dass sie mit 62 in Pension gehen sollen.

profil: Laut Meinungsumfragen ist die größte Sorge der Jungen heute die Pension.
Khol: Da spielt sich vieles im Bereich der Propaganda ab. Ich kenne sehr viele junge Menschen, auch weil ich viele Kinder und Enkelkinder habe. Ich glaube nicht, dass die sich viele Sorgen um die Pension machen. Die wollen der Welt einen ­Haxen ausreißen – so wie jeder mit Anfang 20.

Foto: Monika Saulich für profil