Preisverleihung

Ari-Rath-Preis an Christa Zöchling: Die Dankesrede im Wortlaut

Die langjährige profil-Redakteurin Christa Zöchling bekam am Donnerstag den Ari-Rath-Preis.

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Seit meiner Still-Legung bei profil vermisse ich: die Leut‘, den Redaktionsärger, ich vermisse es, Reportagen zu schreiben, beobachten, zuhören, nachdenken und eine Sprache dafür finden. Ich wurde in meinem Berufsleben natürlich auch domestiziert. Und so hören Sie jetzt Bruchstücke, die einen inneren Zusammenhang haben, für den mir aber die klaren Worte noch fehlen. Vielleicht erschließt er sich aus so. Intuitiv.

 

I

„Die Zeiten, in denen wir leben, entwickeln sich zu schnell, um das Schreiben langer Bücher zu erlauben. Unser Zeitalter ist das des Reporters.“

Das schrieb Dorothy Thompson 1932. Sie war amerikanische Auslandskorrespondentin in Wien und Berlin der Zwischenkriegsjahre. Sie beobachtete Österreichs Weg in den Austrofaschismus und den Aufstieg der NSDAP in Deutschland.  Wenige Monate nach ihrer Begegnung mit Hitler brachte sie ein schmales Büchlein heraus: Titel: „Ich sah Hitler!“.

Es war mühsam gewesen, einen Termin zu bekommen. Jahrelang hatte sie antichambrieren müssen, bei Hitlerfreund Ernst Hanfstaengl, genannt Putzi; ein Amerikaner, der in Deutschland lebte, Harvard-Absolvent, Kunsthändler, Pianist, ein Dandy, kein Totschläger und deshalb wohl Auslandspressechef der NSDAP. Hitler empfing im Hotel Kaiserhof in Berlin, seine Partei war im Kommen, die Korrespondenten standen Schlange. Drei Fragen waren erlaubt, vorher schriftlich einzureichen.

Formlos, linkisch, unsicher, mit einen Anklang weiblichen österreichischen Charmes,  so beschreibt ihn Thompson. Ein Gespräch war so gut wie unmöglich, denn Hitler redete auch mit ihr als stünde er vor Massen. Thompson hatte ihn gefragt, was er für die arbeitenden Menschen zu tun gedenke, wenn er an die Macht komme – wo er doch schon Konzernen und Banken den Krieg erklärt hatte. Wie halte er es mit der Verfassung? Werde Deutschland abrüsten?

Freimütig gab Hitler nur seine Pläne zur Abschaffung der Demokratie bekannt. Er werde legal an die Macht gelangen, das Parlament auflösen, einen autoritären Staat schaffen. Verantwortung oben, Disziplin und Gehorsam unten.  

Person und Programm: diese Mischung aus Faschismus, rassistischer Philosophie, die lehrt, dass nur nordische Menschen, „Arier“  dazu geschaffen sind, die Welt zu beherrschen, Antisemitismus und ein konfuser Sozialismus passten für Thompson nicht zusammen. Ihre Prognose:  Hitler, der Prototyp des Kleinbürgers, werde in Deutschland niemals an die Macht kommen.

Sie verkannte die sozialen Kräfte hinter Hitler, die verkappte Kriegslust der jungen Generation, den Judenhass, die Interessen der Schwerindustrie. Und trotz des Fehlurteils erscheint bei Thompson schon der ganze Hitler.

Als Reporterin war sie eine Schilderin ihrer Zeit. Diese Funktion des Journalismus  löst sich heute auf, weil durch die Digitalisierung Kommunikationsmöglichkeiten bestehen, die unter Umständen völlig regellos sind. 

Und die Zeiten haben noch einmal an Tempo zugelegt. Sie sind so schnell, dass sie gleichzeitig wie eingefroren wirken, überschwemmt von Meinungen, Kommentaren, Informationsbrocken. Mit wenig Anschauung der Wirklichkeit ist das eine ermüdende Sache.  Und deshalb werde ich auch die Wiener Zeitung vermissen und ihre Reportagen im Auslandsteil.

 

II

Ich weiß nicht, ob wir vor einem neuen Faschismus stehen. Ob das nicht nur Angstlust ist.

Umberto Eco, der italienische Philosoph und Schriftsteller, schildert in „Der ewige Faschismus“ eine Szene aus den Tagen der Befreiung im Italien des Jahres 1945. Eco war ein 13jähriger Junge, großgeworden mit historischen Mussolini-Reden, Fackeln und Aufmärschen. Auf der Piazza seiner kleinen Heimatstadt im Norden drängten sich an einem Apriltag Menschen, die singend und fahnenschwingend nach Mimo riefen, den Partisanenführer der Gegend. Blass, auf eine Krücke gestützt, erschien er auf dem Rathaus-Balkon, sagte, kaum hörbar: „Freunde, Mitbürger, nach so vielen leidvollen Opfern. Da sind wir wieder.“  Und verschwand im Haus. Eco begriff, dass Redefreiheit auch Freiheit von Rhetorik bedeutet.

Dem Journalismus mangelt es heute –wie auch der Politik – nicht so sehr an Rhetorik, - sondern an Anschauung, an der Akzeptanz von Widersprüchen, am satten Leben in all seinen Kleinlichkeiten, Makeln, Selbsttäuschungen und Ideologien, denen man anhängt, ohne sich dessen bewusst zu sein.   

Großartig der Aufschwung des investigativen Journalismus, weltweit vernetzte Teams, die sich monatelang dahinterklemmen, Dokumente heranschaffen, unendliche Excel-Tabellen hinunterscrollen und auswerten, um korrupte Staatsmänner und Wirtschaftskapitäne vorzuführen.  Aber wo ist die Reportage, die etwas riskiert? Die einen Zipfel der Wirklichkeit erfasst und nicht bloß eigene Vermutungen mit ein paar Zitaten illustriert, die Szenerie klischeehaft beschrieben.

Egon Erwin Kisch hat vor hundert Jahren, also 1923, unter dem Titel „Klassischer Journalismus“ eine Anthologie herausgegeben, Leitartikel, Kritiken, Reportagen. Die einzige Bedingung des Verlegers war: keine noch Lebenden. Vermutlich, weil das sonst zu Eifersuchtsgemetzeln geführt hätte.

Herausgekommen ist ein Panorama aller geistigen Kämpfe der Neuzeit, von der Reformation, der französischen Revolution bis zur Psychoanalyse, alles wurde in Zeitungsspalten ausgefochten. Kisch spricht im Vorwort, damals schon, die Gefahr des sich-Ausschreibens und der Formerstarrung an, die im Journalismus größer sei als bei anderen geistig Produzierenden.

Was glauben Sie, wertes Publikum: wohin werden Einsparungen, Zeitdruck, mangelnder Respekt vor Journalisten und Journalistinnen führen?

Kisch dachte jedenfalls, seine Sammlung werde zu einer Art Lehrbuch der Demokratie.  Aber  in Europa kam  Faschismus.

III

Stichwort Faschismus: Einer der Begriffe, die durch inflationären Gebrauch an Wert verlieren. Wo sind die Schlägertrupps, die Sondergerichte, die Konzentrationslager? Macht der historische Vergleich uns nicht blind für Subtileres?  

Den Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer erinnert die Tonalität freiheitlicher Wahlkampfarenen an die 1920er Jahre, und man wisse, was dabei herausgekommen ist.

Aber was folgt daraus?

Seine Kollegin in Niederösterreich, Johanna Mikl-Leitner, ist eben erst mit solchen Leuten eine Koalition eingegangen,  hat ihre Wähler betrogen und ihre Würde verloren. Ich hätte in diesen Tagen gern nur über ihr Gesicht geschrieben. 

Nach Ansicht von Umberto Eco ist Faschismus weniger eine Doktrin als eine Rhetorik-  eine Rhetorik des Verlusts und nicht des Gewinns.  Wenn einem droht, alles zu verlieren - Kultur, Arbeit, Träume -  dann bleibt nur noch die Gemeinsamkeit der Abstammung oder Zugehörigkeit.

Das beschreibt recht gut die gegenwärtige Lage: den Appell an frustrierte Mittelklassen, das Hussen gegen Ausländer; das Zeitalter der Vernunft wird als Beginn der Verderbnis angeprangert, Impfungen verteufelt, Intellektuelle als Tagediebe hingestellt, Eliten als korrupt, Dissenz als Verrat. Das sogenannte Volk besteht nicht mehr aus Individuen, sondern hat eine Theaterfunktion. Eco warnt: „Wann immer ein Politiker die Legitimität des Parlaments in Zweifel zieht, weil es nicht mehr die Stimme des Volkes repräsentiere, riecht es nach Ur-Faschismus.“  Und Roberto Saviano,  ein italienischer Journalist, der vor dem Zugriff der Mafia wie ein ewiger Flüchtling leben muss, sagt über Bürgerrechte, Menschenrechte und Sozialstaat. „Gerät einer der drei Pfeiler ins Wanken, stürzen auch die beiden Anderen.

 

IV

Für ein Literaturprojekt der Alten Schmiede sprechen wir- die Schriftstellerin Lydia Mischkulnig, die Literaturkritikerin Brigitte Schwens-Harrant  und ich, immer wieder öffentlich über Bücher. Zuletzt vergangenen Montag. Der russische Schriftsteller Wladimir Sorokin und sein Roman „Der Tag des Opritschniks“ war für mich eine Offenbarung. Ich begreife jetzt besser, die Mechanismen, die Putin an der Macht halten. Das andere Buch war von Sinclair Lewis, dem vergessenen, amerikanischen Literaturnobelpreisträger, der 1935 „It can‘t happen here“ veröffentlichte.  Unter dem Titel „Das ist bei uns nicht möglich“ erschien es, schon ein Jahr später in Deutsch. Es handelt von der Nominierung und dem Sieg eines Präsidentschaftskandidaten der demokratischen Partei, einem charismatischen Populisten, der links und gefühlig daherredet, von der „Liga der vergessenen Männer“ auf den Schild gehoben und die Wirtschaftsmächtigen hat er auch in der Tasche. Er umgibt  sich mit bewaffneten Formationen nach dem Vorbild der SS, die Regimegegner foltern und morden.  Konzentrationslager werden errichtet, Juden und Schwarze verfolgt. Gewerkschaften und freie Presse sind abgeschafft.  Selbst den Krieg sah Lewis voraus - in diesem Fall gegen die Mexikaner. Er war verdammt hellsichtig. Er war mit der Journalistin Dorothy Thompson verheiratet.  Lesen sie Lewis. Auf Inititaive von Schwens-Harrant befindet es sich in der österreichischen Parlamentsbibliothek.

 

V

Autoritarismus ist dynamisch. Er baut sich auf wie eine Kurve oder Welle. Irgendwann ist nichts mehr rückgängig zu machen. Und es beginnt immer mit der Fiktion von Legalität.  Das war auch bei Engelbert Dollfuss so.

„Die Art wie unter Kurz I regiert wurde, war ein erster Weg in eine andere Staatsform“, das  sagte der an sich zurückhaltende Übergangs-Justizminister Clemens Jabloner, „weil es doch irgendjemand sagen muss.“ Er führte ins Treffen: den unter Innenminister Herbert Kickl stattgefundenen Überfall auf das Amt für Verfassungsschutz, die nach Herkunft gestaffelte Familienbeihilfe, wonach der Allerärmste aus einem anderen EU-Land noch zu reich erscheint- ein Schlag gegen europäische Grundwerte, willfährig begutachtet. Und dann die verdächtig eilige Änderung des Ministeriengesetzes, - die erste Maßnahme der Regierung- mit der die  Beamtenschaft unter Kuratel politischer Generalsekretären gestellt wurde. Der langjährige Präsidialchef im Bundeskanzleramt, Manfred Matzka, hatte damals als Erster öffentlich aufgeschrieen. Kurz ist weg, das Gesetz nicht, wenn auch mancher Minister auf Generalsekretäre verzichtete.  

VI

Ein Anzeichen für autoritäre Entwicklungen ist immer der innere Streit der Linken bei Erfolgen der Rechten.  Sagt Franz Schuh.

Ich zitiere weiter Schuh: Der hoffentlich bald historische Streit des Doskozil mit Rendi Wagner ist von innerzeitlicher Verblödung getragen, und zwar nicht nur als antifeministischer Kampf der Frau (schön)  gegen den Mann (heiser). Es ist auch nicht nur ein Kampf des Polizisten gegen die Ärztin. Es ist zugleich ein Klassenkampf innerhalb einer Partei, die eine klassenkämpferische Tradition hat. Nach außen ist diese Tradition bei den Emporkömmlingen aus der Sozialdemokratie erloschen. Der Pseudoproll aus dem Burgenland versucht im Inneren, den Klassenkampf gegen die bourgeoise erscheinende Vorsitzende zu beleben. Doskozil sagt es treffend: In der Sozialdemokratie gäbe es „eine elitäre Blase.“ Die vier Ex-Kanzler, die nicht für ihn sind, wertet er, ein Landeshauptmann-Underdog, egalitär ab: Lieber als die Stimmen von vier Ex-Kanzlern seien ihm die von einfachen Parteimitgliedern. Feind, Todfeind, Parteifreund lautet die eingebürgerte Steigerungsstufe. Wir Kleinbürger kennen einander. Im wechselseitigen Hass von Parteifreunden wird ein Hassprinzip klar. „Man hasst nur sich selbst“, schrieb Robert Musil.“

Was würde Bruno Kreisky dazu sagen?  Ich habe eine Szene vor Augen aus „Die Dohnal“, einer Dokumentation über die ehemalige SPÖ-Frauenministerin von Regisseurin Sabine Derflinger. Kreisky steht auf einer Tribüne auf dem Marktplatz einer kleinen Gemeinde.  „Ihr müsst um eure Rechte kämpfen. Auch innerhalb der Partei. Die Männer werden sie Euch nicht freiwillig geben“, sagt er ins Publikum hinein, in dem ziemlich viele Frauen zu sehen sind.  

Und nun zum eigentlich interessanten oder auch wunden Punkt, auf den mich, ich muss es gestehen, mein Partner Joachim Lottmann hingewiesen hat: Ich fand es nämlich uncool, die Frauenkarte zu ziehen.  

Warum gab und gibt es heute keine Reaktion des Publikums? Warum finden es selbst emanzipierte und frauenbewegte Mitglieder in der SPÖ, die ein halbes Leben lang für Frauenrechte gekämpft haben, offenbar völlig normal, dass ein Provinz-Macho regelmäßig eine Woche vor jeder wichtigen Wahl die Machtfrage stellt, die Medien alarmiert, verdeckt zum Sturz der Vorsitzenden aufruft.  Niemand in der SPÖ störte sich scheinbar daran. Die Frauenfeindlichkeit steht wie der sprichwörtliche weiße Elefant mitten im schönen Haus der SPÖ in der Löwelstraße und steht da noch immer.

Vielleicht haben viele Angst, man würde geschlechtsspezifisch argumentieren statt politisch, Doskozil oder Andreas Babler, dem dritten Kandidaten, unrecht tun, sie in ihren Vorschlägen wie es denn besser ginge nicht ernst nehmen. Man würde fachliches Versagen entschuldigen, indem man auf das Geschlecht verwies. Aber: so  einfach ist die Frauenfrage nicht wegzuwischen.  Ich denke schon, dass einiges schief gelaufen ist. Aber ich sehe auch, dass die Frauenvorsitzende nur wenige in der Partei ernst nehmen, dass sie mehr unter Pressur verschiedendster Seiten steht als Unterstützung erfährt. Und ich muss zumindest den Frauen in der SPÖ den Vorwurf machen, dass sie gefühlt Tausende von frauenfreundlichen Sozial- und Gleichstellungsvorhaben angestoßen, entwickelt und durchgesetzt haben, in der Königsdisziplin jedoch blind geblieben sind: der Entfaltung der politischen Macht selbst.