Gastkommentar

Barbara Blaha: MAN Steyr - Bloß nicht aufmucken

Tausende Jobs wackeln. Kritisiert werden die Arbeiter. Warum?

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Die MAN-Arbeiter haben das Angebot von Investor Wolf, entweder deutlich weniger zu verdienen oder gemeinsam mit Hunderten Kollegen „abgebaut“ zu werden, also abgelehnt. Mehr haben sie nicht gebraucht: „Bedauerlich“ fand das die Wirtschaftsministerin. Der designierte WIFO-Chef monierte, die Arbeiter hätten wohl keine „gesamtwirtschaftliche Sicht“ eingenommen. Die angedrohte Werksschließung hätte schließlich Folgen für die ganze Region. Der rechtskatholische Blogger Andreas Unterberger wollte den Arbeitern am liebsten das Arbeitslosengeld streichen, der Chef des rechtsliberalen Thinktanks Agenda Austria erklärte säuerlich, die Arbeiter würden ja ohnehin mehr als den KV-Mindestlohn verdienen.

Ein Hauch von: „Ja, dürfen s’ denn des?“ Es ist doch so: Die Beschwörung des Arbeitsmarktes als Begegnungsstätte gleichberechtigter Menschen, die privatautonom Entscheidungen treffen, scheint ausgerechnet dann nicht mehr zu gelten, wenn sich die ArbeitnehmerInnen auf die Hinterfüße stellen. Denn eigentlich steht dahinter der Glaube, dass „wir“ gar nichts mehr beeinflussen können. Dass internationale Konzerne einfach tun, was sie wollen. Und sich Politik, Umfeld und ArbeitnehmerInnen einfach zu fügen haben. Weil das Großunternehmen am längeren Ast sitzt. Mitten in der größten Arbeitsmarktkrise in der Geschichte dieses Landes den eigenen Job zu riskieren, um miteinander vielleicht alle zu retten, zeugt jedenfalls von Mut.

Statt Stilkritik an den ArbeitnehmerInnen zu üben, wäre es spannender, zu fragen, was da eigentlich schiefgelaufen ist. Zunächst beim Eigentümer: VW ist eigentlich nicht für schlechte Arbeitsbedingungen bekannt. Das Steyrer Werk wackelt indes schon länger: Vor zwei Jahren wurde eine Standortgarantie für das MAN-Werk abgeschlossen. Auf Überstundenzulagen wurde verzichtet, Pausen gestrichen: Zwei Lkw mehr pro Tag werden jetzt in Steyr gebaut, ohne dass die Beschäftigten einen Euro mehr Lohn bekommen. Das haben die Beschäftigten erduldet, weil man mit Schließung gedroht hat.

Die Belegschaft schluckte die Verschlechterungen – und das Unternehmen gab das Versprechen, bis 2030 in Steyr Lkw zusammenschrauben. Nur zwei Jahre später will man davon nichts mehr wissen? Stattdessen zweifelt man, ob der geschlossene Vertrag überhaupt rechtsgültig sei. Das ist originell, wenn gleichzeitig die Zugeständnisse der ArbeitnehmerInnen natürlich seit zwei Jahren umgesetzt werden.

MAN gehört zu 94 Prozent der Volkswagen AG, die wiederum mehrheitlich im Besitz der Milliardärsfamilie Porsche-Piëch steht. Während von den Arbeitern Einschnitte gefordert werden, sind sie Milliardären aber nicht zuzumuten: Der Eigentümer hat erst kürzlich 500 Millionen Euro Gewinn ausgeschüttet. Und nimmt natürlich auch gern das Steuergeld, das für die Kurzarbeit ausgeschüttet wird.

Dass man bis zur fehlgeschlagenen Abstimmung mit einem anderen Bieter als dem russischen Emissär Siegfried Wolf nicht einmal gesprochen hat, lässt die MAN-Führung nicht in einem besseren Licht dastehen. Auch für die Eigentümer wäre eine Schließung nämlich weder simpel noch kostenschonend: Arbeitsverträge mit oft langen Kündigungsfristen sind zu kündigen, hohe Abfertigungen zu zahlen, Hallen zu räumen und gegebenenfalls Grundstücke zu sanieren. All das erspart man sich mit einem Verkauf. Dass dieser dann auf Kosten der ArbeitnehmerInnen gehen soll, ist nicht fair.

Ähnlich empiriefrei wird auch über staatliche Handlungsoptionen diskutiert: Während eine Staatsbeteiligung unter anderem von der Regierung von vornherein ausgeschlossen wird, sind fast alle großen europäischen Autohersteller zum Teil staatlich: VW selbst etwa über eine Beteiligung des Landes Niedersachsen. Renault ist zu fast 20 Prozent im Besitz Frankreichs. Daimler gehört zu 6,8 Prozent dem Staatsfonds von Kuwait.

Die Situation offenbart aber noch ein anderes Problem, über das wir im Sinne einer globalisierten Wirtschaft gerne hinwegsehen: Es ergibt eben schon einen Unterschied, wo eine Konzernzentrale steht – in diesem Falle in München, was zwar geografisch nah, aber wirtschaftlich-politisch offenbar sehr weit weg ist. In Deutschland selbst würde der VW-Konzern ein derartig kaltschnäuziges Vorgehen wohl kaum wagen. Es ist eben kein Zufall, dass keines der deutschen Werke in München, Salzgitter, Wittlich, Nürnberg geschlossen werden soll, sondern jenes in Steyr.

Fassen wir zusammen: Ein Großunternehmen will ein profitables Werk möglichst billig loswerden. Die Arbeiter sollen dafür mit Lohn- und/oder Jobverlust die Zeche zahlen. Wer ist hier gierig?