Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Äußere Umstände

Äußere Umstände

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Warum will Barack Obama Syrien angreifen? Warum preschten die Briten den Amerikanern sogar noch voraus (wobei sich herausstellte, dass es nicht die Briten waren, sondern nur David Cameron), und warum die Franzosen? Haben die Syrer wirklich Giftgas eingesetzt – und wenn ja, war es zweifelsfrei das Assad-Regime? Die Antworten sind widersprüchlich oder sie fehlen zur Gänze.

Darf man Antworten geben, die über die Aussagen von Obama, Cameron und François Hollande hinausgehen, darf man drei Staatsmännern dieses Formats in der Einschätzung der Lage widersprechen? Darf man gar Empfehlungen und Handlungsanweisungen formulieren, oder ist schon eine eigene Meinung über die richtige Vorgangsweise in außenpolitischen Angelegenheiten lächerlich, wenn nicht gar peinlich?

In dieser Ausgabe beschäftigen sich neben dem Leitartikler gleich drei profil-Autoren mit Syrien, und sie kommen in der Beurteilung der Lage kaum, sehr wohl aber bei der Frage, was „man“ darf und was nicht, zu unterschiedlichen Ergebnissen. Peter-Michael Lingens scheut nie davor zurück, die Welt zu erklären, gegebenenfalls auch einem amerikanischen Präsidenten. Georg Hoffmann-Ostenhof ist da stets zurückhaltender und meidet dementsprechend die Ich-Form in seinen Kommentaren. Martin Staudinger wählt in seinem Text eine Zwischenform, erlaubt sich immerhin, Baschar al-Assad und der Welt die Zukunft zu deuten.

Ist Außenpolitik also eine Wissenschaft, die von Geheimdiensten, Think-Tanks, Beratern (die zwischendurch gerne für die Waffenindustrie arbeiten) betrieben wird? Verlassen sich Staatsmänner auf diese Wissenschaft? Unterscheidet sich ein solcherart gepimptes Vorgehen somit grundsätzlich vom Handwerk der Innenpolitik?

Selten war ein internationaler Konflikt ähnlich gut geeignet, das Bild von der intellektuell fundierten Außen- und damit auch Militärpolitik zu zerstören: Richtig ist, dass den einschlägigen Entscheidungen – zum Beispiel im Weißen Haus – ein gewaltiger Apparat vorgeschaltet ist. Richtig ist aber auch, dass dieses milliardenteure Fabelwesen aus Hardware, Diplomaten, Soldaten längst entzaubert ist. Nach all den Erfahrungen, die seit 9/11 mit amerikanischer Politik gemacht wurden, zweifelt die Welt nun mit gutem Recht an der Sinnhaftigkeit von Obamas Vorgehen, wie immer es konkret aussehen wird.

Erfahrungen, die da sind:

Weder ist Afghanistan befriedet, noch sind die Taliban besiegt. Nach Abzug der US-Soldaten und hunderttausende Kriegstote später wird das Land in jenes mörderische Chaos zurückfallen, in dem es sich vor George W. Bushs „War on Terror“ befand. Die Vorstellung, das archaisch geprägte Land könnte in eine Manchester-Demokratie umgebombt und umerzogen werden, erweist sich als lächerlich.

Im Irak sieht es keine Nuance besser aus. Im Gegenteil: Hier wurde auf Basis teils vorsätzlich, teils fahrlässig falscher Informationen eben jenes „Apparates“ ein Krieg geführt, dem, anders als in Afghanistan, die moralische Begründung – „Massenvernichtungswaffen“ – abhandengekommen ist. Und gewonnen wurde dieser Krieg auch nicht: Schon vor Abzug der ausländischen Besatzer herrscht Faustrecht, danach werden die Saddam-Hussein-Zustände wiederkehren.

Libyen, das sich mit westlichen Bombardements des Gaddafi-Klans entledigt hat? Hier droht wie in Ägypten eine islamistische oder zumindest ethnisch dominierte Gewaltherrschaft.

In der Folge haben also weder die Weisheit der US-Außenpolitik, noch die taktischen Möglichkeiten der US-Streitkräfte, noch die aus beiden Faktoren resultierenden „nachgerade übernatürlichen Kräfte amerikanischer Präsidenten“ (so das Magazin „Time“) den 2001 definierten Hauptfeind der USA und der Welt niedergerungen: Die Al Kaida ist auch ohne Osama bin Laden lebendig. (Und die Welt ist auch ohne Saddam Hussein und Muammar al-Gaddafi um nichts weniger gefährlich.)

„Time“ schreibt mit Blick auf Obama und Syrien: „Die Kunst der Außenpolitik besteht darin, zu verhindern, dass man vor Entscheidungen gestellt wird, mit denen man in keinem Fall gewinnen kann.“ Dafür braucht es aber keine gigantischen politischen Strukturen, da reicht oft der Hausverstand.

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