Die Corona-Chroniken: Scheußliche Wörter

Der tägliche profil-Überblick zur Corona-Krise.

Drucken

Schriftgröße

Ausnahmezustand, Tag 11. Jede Krise, das haben wir aus jenen der vergangenen Jahre mitgenommen, lehrt uns eine fremde Sprache und hinterlässt uns neue Wörter; leider meistens welche, die wir am liebsten nie gehört hätten.

Erinnern Sie sich noch an „Credit Default Swaps“ und „Subprime-Kredite“ (Finanzkrise, 2007ff)? An „Rettungsschirm“ und „Nulldefizit“ (Euro-Krise, 2010)? Oder an „Terrormiliz“ und „Kalifat“ (nennen wir es mal Islamistenkrise, seit 2014)? An „Balkanroute“ und „Asylkritiker“ (Flüchtlingskrise 2015)? An „Flugscham“ und „Permafrostboden“ (Klimakrise, aktuell)?

Ein paar davon sind glücklicherweise vergessen, andere haben sich aber im allgemeinen Sprachgebrauch eingenistet wie Kellerasseln in der Speisekammer.

Die Corona-Krise hat in dieser Hinsicht großes Potenzial, sie produziert besonders scheußliche Wörter ohne Unterlass: „Herdenimmunität“; „Viruslast“; „Durchseuchungsrate“; „soziale Distanzierung“… Und ständig lernen wir neue dazu, während die bereits bekannten immer wieder repetiert werden. Es ist, als wären wir in einer endlosen Corona-Vokabel-Lektion gefangen, wie in der Schulzeit in einer besonders öden Stunde.

Pause bitte!, möchte man rufen. Oder, wie unsere Kinder, denen beim Home-Learning das erlösende Bimmeln der Schulglocke fehlt: „Kann es nicht endlich läuten?“

Geben Sie die Hoffnung nicht auf: Auch Schulstunden enden irgendwann.

Und bis dahin: Bleiben Sie gesund!

Martin Staudinger und Michael Nikbakhsh

Zahlen bitte!

Inzwischen ist es deutlich schwieriger geworden, Sie hier möglichst zeitnah über die Entwicklung der Pandemie in Österreich zu informieren: Bis gestern war auf der Website des Gesundheitsministeriums das so genannte „Dashboard“ online, auf dem Informationen über die Zahl der Infektionen, der Hospitalisierungen und der Intensivpatienten alle 15 Minuten aktualisiert wurden. Seither ist die Seite nicht mehr zugänglich. „Dashboard derzeit leider offline, Wartungsarbeiten“, heißt es dort knapp. Eine profil-Anfrage an das Ministerium läuft.

Vorerst müssen wir uns also mit den zweimal täglich veröffentlichten Daten begnügen.

Demnach sind heute mit Stand 08:00 Uhr bei 35.995 Testungen 5888 Personen in Österreich am Coronavirus infiziert und 34 verstorben. Das sind um 419 Erkrankte und vier Tote mehr als gestern, ein deutlich geringerer Zuwachs als in den vergangenen Tagen. Allerdings zeigt die Erfahrung der vergangenen Tage, dass die Zahlen vor allem am Vormittag aufgrund neu eintreffender Testergebnisse deutlich ansteigen.

Eine spannende interaktive Grafik zum besseren Verständnis der Belastung unterschiedlicher Länder durch die Pandemie erstellt der Corona-Chroniken-Leser Michael Steidl täglich auf seiner Website. Daraus ergibt sich unter anderem, dass Österreich prozentuell deutlich stärker vom Virus betroffen ist, als etwa Deutschland und die Niederlande.

Steidl ist IT-Berater, war für den internationalen technischen Verband von Nachrichtenagenturen und anderen Medienunternahmen tätig und ist dort immer noch Leiter einer Arbeitsgruppe.

„Bei den Zahlen von Erkrankten und Toten werden meist die Zahlen eines ganzen Landes verglichen: z.B. 159 Tote in Deutschland und 132 in der Schweiz“, schreibt uns Steidl: „Allerdings leben in Deutschland über 80 Mio. Menschen, in der Schweiz 8,5 Mio. Das ergibt 0,2 Tote/100.000 Einwohner in Deutschland, aber 1,55 Tote/100.000 Einwohner in der Schweiz. Diese Relationen fehlen mir in der Berichterstattung, denn sie werfen ein ganz anderes Licht auf die Betroffenheit der Bevölkerung in den Staaten als die absoluten Werte.“

Als Grundlage zieht Steidl die Johns Hopkins Universität heran, die die aus offiziellen Quellen gesammelten Daten in einem leicht verarbeitbaren Format über eine öffentlich zugängliche Quelle, Github, anbietet. Stand ist das tägliche Update um 24:00 Uhr UTC ( 01:00 Uhr in Österreich).

Und für Österreichs Bundesländer gibt es hier eine Karte mit den Zahlen/je 100.000 Einwohnern.

Nachrichten der vergangenen 24 Stunden

Die guten … +Der deutsche Volkswagen-Konzern erwartet, dass seine stillgelegte Produktion bis zum Sommer wieder läuft: „Wir gehen davon aus, dass es in Deutschland im Sommer wieder zu einer Normalisierung kommt“, so ein Vorstandsmitglied gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ +15 der größten Pharmaunternehmen haben sich zu einem Informations- und Forschungsverband zusammengeschlossen, um die Bekämpfung des Virus zu beschleunigen

Die schlechten … - Möglicherweise hat sich die Epidemie auch in Österreich bereits deutlich früher ausgebreitet, als vermutet: Ein britischer Urlauber und drei seiner Freunde aus Dänemark und den USA erkrankten laut einem Bericht des „Daily Telegraph“ nach einem Aufenthalt in Ischgl bereits Mitte Jänner an Corona-Symptomen. - New York City meldet bereits mehr als 20.000 Corona-Erkrankte und 280 Todesfälle, 81 davon binnen 24 Stunden

"Das Unternehmen pfeift auf uns"

Angst vor Ansteckung bei Wiener Linien: Busfahrer fühlen sich nicht ausreichend geschützt, hat CHRISTINA HIPTMAYR recherchiert.

Ende vergangener Woche erwartete die Mitarbeiter der Wiener Linien bei Dienstantritt ein Aushang: „Sie führen die Krankenschwestern, das Pflegepersonal, die Angestellten der Lebensmittelgeschäfte und viele weitere zwingend erforderliche Berufsgruppen weiterhin jeden Tag in die Arbeit. Deshalb möchte ich Ihnen herzlichst danken für Ihren Einsatz und Ihre Zuverlässigkeit! Ohne Sie geht es nicht! Sie gehören zu den Helden der Zeit!“ Man kann dem Verfasser dieser Zeilen nur beipflichten, doch nicht bei allen Adressaten kam das Schreiben gut an. Andreas P. (Name der Redaktion bekannt) fühlt sich dadurch gefrotzelt. Er ist Buslenker bei den Wiener Linien und wenn er dieser Tage zur Arbeit geht, beschleicht ihn regelmäßig ein mulmiges Gefühl. „Anders als die U-Bahnen und die Niederflur-Straßenbahnen haben die Busse der Wiener Linien keine geschlossenen Fahrerkabinen. Das heißt, wir sind einer permanenten Ansteckungsgefahr ausgesetzt. Und das über mehrere Stunden täglich“, sagt Andreas P. Er mache sich Sorgen um seine Gesundheit und die seiner Kollegen, aber „das Unternehmen pfeift auf uns“. P. bemängelt, dass dem Fahrpersonal etwa keine Desinfektionsmittel zur Verfügung gestellt und Reinigungsmaßnahmen und Hygienevorkehrungen generell nur mangelhaft vorgenommen würden. Dass die Busse täglich desinfiziert würden, bezweifelt er …

100 Post-Mitarbeiter von Grenzschließungen betroffen

Auch Zusteller der Post-Tochter Feibra fehlen in Ostösterreich. Verteilung von Werbeflugblättern vielfach storniert.

Von Stefan Melichar

Die Österreichische Post ist – vor allem in Ostösterreich – von den Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus betroffen. Es geht um rund einhundert, aus dem benachbarten Ausland stammende Mitarbeiter. Wegen der Grenzschließung durch die Slowakei fehlen von dort rund 40 Beschäftigte, heißt es in einer Stellungnahme der Post auf Anfrage von profil. Mit Freitag werde auch die Grenze nach Tschechien schließen, wovon rund 60 weitere Mitarbeiter betroffen seien …

„Glaube nicht, dass man Fake News unter Strafe stellen sollte“

Der Menschenrechtsexperte Manfred Nowak spricht im profil-Podcast mit STEFAN MELICHAR über Meinungsfreiheit und andere Grundrechte in Zeiten der Coronavirus-Krise.

Manfred Nowak ist einer der renommiertes Experten die Österreich – auch auf internationaler Ebene – in Bezug auf das Thema Menschenrechte zu bieten hat. Zurzeit hat der Gründer des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte auch jene Maßnahmen genau im Blick, die in verschiedenen Ländern zur Bekämpfung der Coronavirus-Epidemie zur Anwendung kommen. Eine der Problemstellung dabei ist der richtige Umgang mit Falschnachrichten, etwa in sozialen Netzwerken.

„Ich glaube nicht, dass man Fake News unter Strafe stellen sollte“, sagt Nowak im profil-Podcast. Eine Ausnahme seien etwa Hetzkampagnen, bei denen zum Hass gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen aufgerufen werde. Ansonsten müsse die Meinungsfreiheit aber umfassen, dass es auch einmal Falschinformationen geben könne. Nowak spricht sich im Kampf gegen Verschwörungstheorien für Aufklärungsarbeit aus. Es sei wesentlich, dass Medien eine entsprechende Verantwortung wahrnehmen und nicht unterdrückt würden.

„Gerade in Zeiten der Krise ist die Meinungsfreiheit unglaublich wichtig“, sagt Nowak. Aufpassen müsse man, wenn – wie derzeit in Ungarn diskutiert – sogenannte Falschnachrichten unter Strafe gestellt würden, „wobei nicht klar ist, wer genau entscheidet, welche Nachricht falsch und richtig ist“. Mit Blick auf Ungarn warnt Nowak auch davor, die Coronavirus-Epidemie dazu zu nutzen, um auf Dauer die demokratischen Institutionen zu untergraben: „Der Ausnahmezustand darf nicht zur Regel werden.“

profil veröffentlicht diese Woche mehrere Podcasts mit hochrangigen Experten zum Thema Grund- und Menschenrechte in der Coronavirus-Krise. Bereits erschienen ist ein Interview mit dem Verfassungsrechtler Theo Öhlinger.

Social Media-Fundstück des Tages

Countersound: Phoebe Bridgers schenkt uns eine Playlist

Philip Dulle findet Musik gegen Corona.

Krisensongs-Playlists auf diversen Streamingportalen sind in Zeiten der Heimquarantäne fast so inflationär wie Virologen-Podcasts, YouTube-Yoga-Tutorials, Instagram-Challenges oder Selfies vom prekären Leben im Home Office (Motto: Zeig mir deinen Heimarbeitsplatz, und ich sage dir, wer du bist). Eine Songsammlung soll an dieser Stelle dennoch hervorgehoben werden. Die US-amerikanische Musikerin Phoebe Bridgers, 25, hat mit ihrem Debüt „Stranger in the Alps“ (2017) nicht nur eines der besten Indie-Alben der Zehnerjahre eingespielt und erst kürzlich die wunderbare Düster-Single „Garden Song“ veröffentlicht – sie hat zudem einen krisensicheren Musikgeschmack. Zu hören ist der Nur-keine-Panik-Mix jetzt auf der Spotify-Playlist „catch me inside“: Neuere Songs von Big Thief („Not“) und Soccer Mommy („Circle the Drain“), aber auch gut abgehangenes von Guided By Voices oder Yo La Tengo. Als unverzichtbare Zugabe: das glücklich-machende Bruce-Springsteen-Meisterstück „Dancing in The Dark“ in der Interpretation von Lucy Dacus.

Alles wird gut.

Gibt es etwas, das wir an den „Corona-Chroniken“ verbessern können? Das Sie ärgert? Erfreut? Wenn ja, lassen Sie es uns unter der Adresse [email protected] wissen.