Reduktion des Contact Tracing nicht angedacht
Corona

Contact-Tracer: "Dann kann ich die Polizei vorbeischicken"

Ein Contact-Tracer bei einer Bezirksbehörde spricht anonym über seine schwierigsten Fälle: Infizierte, die sich nicht einsperren lassen wollen, Menschen, die sich bei Affären anstecken, und Hypochonder.

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profil: In der Bevölkerung wächst der Unmut über Corona - die einen sind verängstigt, die anderen halten die Maßnahmen für überzogen. Merken Sie das beim Telefonieren?

Contact-Tracer: Etwa jedes zehnte Gespräch ist schwierig-das sind dann Leute, die keine Einsicht zeigen und überhaupt nicht akzeptieren wollen, dass sie in Quarantäne müssen. Es gibt sogar welche, die sagen: Ich lasse mich von euch ganz sicher nicht einsperren.

profil: Wie gehen Sie mit solchen Menschen um?

Contact-Tracer: Wenn einer am Telefon schon sagt, dass er die Quarantäne nicht einhalten wird, ist das sogar gut. Dann kann ich die Polizei vorbeischicken. Aber das kommt wirklich selten vor. Den anderen versuche ich zu erklären, dass ich die Gesetze nicht ändern kann-und dass ich das mache, um zu helfen. Bei den meisten wirkt es auch, wenn man betont, dass sie mit ihrem Verhalten ihr Umfeld gefährden können.


profil: Welcher war der schwierigste Fall in Ihrer Abteilung?

Contact-Tracer: Wir hatten eine anonyme Anruferin, die mit einem Corona-Fall Kontakt hatte. Sie wollte uns aber ihren Namen nicht verraten. Nach einer halben Stunde Gespräch kam dann raus, dass ihr Kontakt eine Affäre war-der Nachbar. Letztlich konnten wir sie überzeugen, dass sie ihre Identität preisgibt. Unsere Aufgabe ist, die Leute so lange zu befragen, bis wir die Infos haben. Was sie dann ihrem Mann erzählt hat, wo sie sich angesteckt hat, weiß ich nicht.

profil: Was ist Ihr Eindruck: Sind die Menschen zu unvorsichtig?

Contact-Tracer: Wir rufen ja die positiven Corona-Fälle durch, die schon ihr Testergebnis kennen, um zu erfahren, mit wem sie Kontakt hatten. Teilweise merken wir dann beim Telefonieren, dass die gerade draußen unterwegs sind. Die sagen das auch ganz offen, weil ihnen gar nicht bewusst ist, was Quarantäne bedeutet. Ein besonders krasser Fall war eine Mitarbeiterin eines Krankenhauses-die war bereits positiv getestet, und als ein Kollege sie anrief, war sie gerade in der Arbeit. Da fehlt es an Eigenverantwortung.


profil: Kommt da auch Druck vom Arbeitgeber?

Contact-Tracer: Viele Firmen testen ihre Mitarbeiter freiwillig, die wollen ja den Betrieb nicht sperren. Aber es gibt schon Fälle, wo ich das Gefühl habe: Da wird zu spät reagiert. In Betrieben mit Großraumbüro oder Pausenraum kann es sehr schnell gehen. Da hatten wir den Fall eines großen Arbeitgebers. Nach dem ersten positiven Fall wurde der Pausenraum nicht gesperrt, wo die Leute 30 Minuten und länger ohne Maske sitzen. Und dann gab es plötzlich ziemlich viele Corona-Erkrankte in der Firma.


profil: Wir haben viel über Leichtsinn gesprochen. Auf der anderen Seite gibt es auch Hypochonder-haben die derzeit Hochsaison?

Contact-Tracer: Ich hatte einen Fall, der hat darauf bestanden, dass er innerhalb von 14 Tagen vier Mal getestet wird-er hatte Halskratzen und Fieber. Und er war vier Mal negativ. Unser Amtsarzt wollte ihm den Test nicht verweigern, denn es kann ja immer was sein. Ich glaube auch, dass manche ihre Symptome dramatischer darstellen, als sie sind, um einen Test zu bekommen. Mir ist es aber im Zweifel lieber, die Leute sind vorsichtiger und melden sich.

profil: Egal, wie viele Kontakte von Coronafällen Sie zurückverfolgen-die Zahlen steigen derzeit trotzdem weiter. Ist das nicht frustrierend?

Contact-Tracer: Es gibt bei dieser Arbeit kein fertig. Es ist ein Spiel gegen die Zeit. Wenn die Zahlen so explodieren wie jetzt, kann es passieren, dass man mit dem Einschulen von Mitarbeitern nicht mehr nachkommt. Im Lockdown wird es hoffentlich besser, weil wir dann weniger Kontakte zu verfolgen haben-aber es wird noch zwei Wochen dauern, bis wir das merken.

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.