CumEx Files 2.0

Millionen vom Staat für die Steuermafia – Ermittlungen massiv ausgedehnt

Internationales Rechercheprojekt: Wie die österreichische Finanz mit undurchsichtigen Aktiendeals abgezockt wurde. Und warum sich mittlerweile gleich zwei Staatsanwaltschaften damit befassen.

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Banker, Juristen, Investmentgurus – so lässt sich der Personenkreis umschreiben, den die österreichische Justiz in Zusammenhang mit einer Affäre von internationalem Ausmaß derzeit besonders im Fokus hat. Es geht um sogenannte Cum-Ex-Geschäfte: Aktiendeals, die in einer illegalen Ausformung dazu benutzt werden, Staaten abzuzocken. Der Schaden, der sich dabei aus zu Unrecht erschlichenen Steuerauszahlungen ergibt, geht weltweit in die Milliarden. Auch Österreich war in der Vergangenheit betroffen. Wie Recherchen zeigen, offenbar sogar in einer besonders aggressiven Form.

profil ist Teil einer internationalen Investigativ-Kooperation unter dem Titel „CumEx Files 2.0“, geleitet von der gemeinnützigen deutschen Rechercheplattform „CORRECTIV“. Es handelt sich um die Fortsetzung einer gleichnamigen Medienkooperation (nunmehr mit dem Zusatz „2.0“) aus dem Jahr 2018 – diesmal allerdings mit globaler Ausrichtung. Zu den 16 Projektpartnern zählen der deutsche NDR, die britische BBC und die französische Zeitung „Le Monde“ ebenso wie der US-amerikanische Fernsehsender NBC, die australische Rundfunkanstalt ABC oder die japanische Investigativplattform „Tansa“.

60 Beschuldigte, verdächtige Deals über 83 Millionen Euro

In mehreren Staaten laufen strafrechtliche Verfahren – darunter in Österreich. Die Cum-Ex-Ermittlungen der Justiz wurden in den vergangenen Monaten massiv ausgedehnt. Jene Teilverfahren mit besonders hohen Schadensbeträgen liegen bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Dort wird aktuell gegen rund 60 Beschuldigte ermittelt, wie eine Sprecherin auf Anfrage mitteilte. Zu den Beschuldigten zählen rund 40 Personen aus verschiedenen Staaten und 17 Firmen nach dem sogenannten Verbandsverantwortlichkeitsgesetz.

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Ging es in den Ermittlungsverfahren der WKStA vor rund einem Jahr noch um insgesamt 56 Millionen Euro, sind es mittlerweile bereits stolze 83 Millionen Euro. Rund 33 Millionen Euro davon sind der Republik tatsächlich durch Steuererstattungen verloren gegangen. Bei rund 50 Millionen Euro blieb die Tat gemäß Verdachtslage im Versuchsstadium stecken. Ermittelt wird wegen des Verdachts des schweren Betruges – teilweise im Rahmen einer kriminellen Vereinigung.

Zweite Staatsanwaltschaft involviert

Doch nicht nur die WKStA ermittelt. Die Causa Cum-Ex beschäftigt nunmehr auch die Staatsanwaltschaft Eisenstadt. Die WKStA hat einzelne Sachverhalte nach Eisenstadt abgetreten, die unter einer Schadensgrenze von fünf Millionen Euro angesiedelt sind. Eisenstadt ist der Sitz des für die strittigen Steuererstattungen zuständigen Finanzamtes. Bei der dortigen Staatsanwaltschaft sind derzeit sechs Cum-Ex-Teilverfahren anhängig.

Cum-Ex-Deals und ähnliche Geschäfte bringen Steuerzahler weltweit um riesige Summen: Sie bauen darauf auf, dass bestimmte Investoren – etwa durch das Ausnutzen von Doppelbesteuerungsabkommen – die automatisch abgeführte Kapitalertragsteuer auf Dividenden von der Finanz zurückfordern können. Bei den illegalen Cum-Ex-Deals werden zunächst Aktien derart im Kreis geschickt, dass die Finanz nicht mehr weiß, wem sie eigentlich gehören. Dann holen sich die Täter – mitunter mehrfach – eine Steuer von der Finanz, die sie gar nie abgeführt haben. Wie das genau funktioniert, ist hohe Finanzmarkt-Alchemie und wird hier näher beschrieben.

Der 300-Millionen-Euro-Trader

Die „CumEx-Files“ gewähren einen tiefen Einblick, wie Österreich zum mutmaßlichen Opfer der internationalen Steuermafia wurde. Der zentrale Fall bei der WKStA bezieht sich auf eine Fonds-Struktur in Luxemburg, die über eine Schweizer Privatbank mit Investorengeld versorgt wurde. Die Ermittler gehen laut Verdachtslage davon aus, dass es sich um illegale Cum-Ex-Geschäfte gehandelt hat: Dabei sollen Aktienpakete innerhalb kurzer Zeit auch gleich mehrfach zur Anrechnung gekommen sein – eine besonders aggressive Strategie, die als „Looping“ bezeichnet wird. Nicht zuletzt deshalb geht die WKStA von einer höheren kriminellen Energie aus als bei einem bereits abgeurteilten Fall in Deutschland, bei dem es um „gewöhnliche“ Cum-Ex-Geschäfte ging.

Die Hauptakteure in diesem Ermittlungsstrang der österreichischen Justiz sind ein Aktienhändler aus Großbritannien, der in Deutschland und Österreich hinter insgesamt rund 300 Millionen Euro an unberechtigten Erstattungsansprüchen stehen soll, ein talentierter Rechtsanwalt, der sich heimlich von seinem Lehrmeister emanzipieren wollte, und ein ehrgeiziger Banker, der auf seinem Karrierepfad alle erdenklichen Warnsignale konsequent ignorierte. Während der Banker jegliches strafrechtliche Fehlverhalten bestreitet, hat sich der mitbeschuldigte Anwalt den Behörden als eine Art Kronzeuge zur Verfügung gestellt und umfassend ausgepackt – zunächst in Deutschland, dann auch in Österreich.

Cum-Ex-Trader über Österreich: „Es zahlt sich aus“

Einer, der gar kein Hehl daraus macht, in Zusammenhang mit Cum-Ex-Geschäften millionenschwere Steuererstattungen vom österreichischen Staat erhalten zu haben, ist Sanjay Shah. Shah gilt international als eine der Schlüsselpersonen in der Steueraffäre. Gegen ihn laufen Ermittlungen in mehreren Ländern – von rechtlichen Problemen in Österreich wisse er allerdings nichts, wie Shah im Interview mit NDR-Panorama erzählt. Shah betont, dass er davon ausgegangenen sei, dass Cum-Ex-Deals legal wären.

Ihm zufolge war Österreich zwar ein kleinerer Cum-Ex-Markt als Deutschland, aber trotzdem nicht zu verachten: „It‘s worth making money“ – grob übersetzt: „Es zahlt sich aus.“

Das Interview wurde im Rahmen des ARD/NDR-Magazins „Panorama“ ausgestrahlt - hier können Sie es in voller Länge nachsehen.

Recherche: Stefan Melichar, Produktion: Lena Leibetseder

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).