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Der Beruf Landarzt droht auszusterben

Medizin. Der Beruf Landarzt droht auszusterben

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Im unteren Drautal in Kärnten, am Rande der Gailtaler Alpen und rund 60 Kilometer entfernt von Klagenfurt, liegt die kleine Gemeinde Weißenstein. Sie zählt 3079 Einwohner, einen Eishockeyclub, einen Männergesangsverein, den Kameradschaftsbund – und den Gemeindedoktor Gert Wiegele, der mit seinem bärtigen Teddybärengesicht anstandslos jedes Casting für einen Landarzt gewinnen würde.
Wiegele wirkt seit über drei Jahrzehnten als Hausarzt in Weißenstein, und mittlerweile beginnt es, ihm anstrengend zu werden: „Ich habe 15 Nachtdienste im Quartal. Das war kein Problem, als ich 30 Jahre alt war. Jetzt mit 60 tue ich mir schwer.“ Irgendwann in den nächsten fünf bis zehn Jahren wird Wiegele in Pension gehen – und mit ihm satte 60 Prozent der praktischen Ärzte Kärntens. Ob sich Nachfolger für sie finden, ist mehr als fraglich, seufzt Wiegele: „Wir Landärzte drohen auszusterben. Das System steht an der Kippe.“
Nur als Fernsehserie sind der „Bergdoktor“ und „der Landarzt“ nach wie vor Renner. Doch in der Realität scheint der Hausarzt zur Mangelware zu werden. Noch vor zehn, 15 Jahren konnten Ärztekammer und Krankenkassen für jede frei werdende Stelle zwischen drei bis fünf Bewerbern auswählen. Mittlerweile sind sie froh, wenn sich überhaupt ein einziger Landarzt in spe meldet. Quer durch Österreich bleiben immer öfter Hausarztstellen unbesetzt – neuerdings sogar in Regionen, die alles andere als abgelegene und verschlafene Dörfer sind: So fand sich für eine Ordination in St. Pölten zuletzt genauso wenig ein Interessent wie für eine Kinderarztstelle in Feldkirch in Vorarlberg oder eine Frauenarztstelle in Herzogenburg nahe von St. Pölten. „Es ist alarmierend, dass sich im Jänner erstmals auch für ausgeschriebene Stellen in Städten niemand bewarb“, sagt Michael Dihlmann von der niederösterreichischen Ärztekammer.
Damit kann die über Jahrzehnte viel zitierte Warnung vor der Ärzteschwemme in Österreich wohl genauso getrost vergessen werden wie das Klischeebild vom Jungarzt, der sich als Taxifahrer durchschlägt, weil er nirgendwo mit Stethoskop arbeiten kann. Neuerdings ist eher vom Ärztemangel die Rede, vor allem auch deshalb, weil die Generation Babyboomer unter den Ärzten sich rasant auf das Pensionsalter zubewegt. In den kommenden zehn Jahren wird die Hälfte der derzeit 1563 Landärzte die Ordination mit dem Ruhestand tauschen. Ein doppeltes demografisches Problem: auf der einen Seite verwaiste Praxen – auf der anderen die wachsende Behandlungsbedürftigkeit durch die Alterung der Gesellschaft, vor allem auf dem Land.

„Es ist fünf vor zwölf“, warnt die Ärztekammer. Denn der neue Trend zu Ordinationen ohne (Land-)Arzt widerspricht allen gesundheitspolitischen Zielen: Seit Jahren bemühen sich alle Gesundheitsminister, Patienten vom Weg in die teureren Spitalsambulanzen abzuhalten und zum Hausarzt zu bringen. Das wird nun schier unmöglich.
Was aber macht den Beruf des Allgemeinmediziners, wie der Hausarzt im Fachsprech heißt, eigentlich so unattraktiv – zumal in ländlichen Regionen? Wer das wissen will, kann zum Beispiel Christoph Fürthauer fragen, der im Salzburger Kleinort Pfarrwerfen seine Ordination betreibt und in der lokalen Ärztekammer für die Hausärzte spricht. „Wir haben eine völlig veraltete Ausbildungsordnung“, zählt Fürthauer als ersten Grund auf. Denn: „Vor 40 Jahren wurde Medizin im Spital nicht viel anders ausgeübt als in Landarztpraxen. Heute ist das völlig anders.“ Im Turnus im Krankenhaus würden Jungärzte für vieles geschult, aber nicht für die Hausarzttätigkeit. Daher kommen viele gar nicht auf die Idee, sich als Hausarzt niederzulassen. Das Land Salzburg experimentiert mit Lehrpraxen, bei denen Jungärzte erfahrene Landmediziner begleiten und so auch Lust auf und das Selbstbewusstsein für diese Laufbahn bekommen sollen.
Ein Problem wird auch diese Landarztlehre nicht lösen können: den Zeitaufwand. Zu den Ordinationszeiten kommen Nacht- und Wochenenddienste, etwa neun bis zehn im Monat – und mit jeder unbesetzten Landarztstelle mehr. Für-thauer rechnet vor, dass er dafür 70.000 Euro netto im Jahre verdient: „Ich bin finanziell zufrieden. Aber auf denselben Betrag kann man in anderen Bereichen der Medizin wesentlich lockerer kommen.“

Zumal ein lukrativer Nebenverdienst für Landärzte sukzessive wegfällt: die Hausapotheke. Durch eine Gesetzesänderung sperren mehr Apotheken in ländlichen Gebieten auf, was zur Folge hat, dass Landärzte ihre Hausapothekenlizenz und damit Geld verlieren.
Da fällt die Antwort auf die Frage „Lohnt sich eine Hausarztpraxis?“ immer öfter mit Nein aus – gerade dann, wenn es sich um eine Landstelle handelt, bei der die Dienstzeiten darauf ausgerichtet sind, dass der Partner sich um die Familie kümmert. Je ruraler die Region, desto öfter sind Kindergärten und Schulen schon nachmittags zu, abends und an Wochenenden sowieso. Andererseits verweiblicht gerade die Allgemeinmedizin rasant: Seit dem Jahr 2001 nahm die Zahl der praktischen Ärztinnen mit Krankenkassenvertrag um 33 Prozent zu, während jene der männlichen Kollegen um 15 Prozent auf 2723 absank. „Wir müssen uns angesichts der Verweiblichung des Berufs andere Modelle überlegen, etwa jenes, dass sich zwei Kolleginnen eine Praxis und damit auch Nacht- und Wochenenddienste teilen“, schlägt der Kärntner Arzt und Standesvertreter Wiegele vor.
Bleibt noch eine spezielle Schwierigkeit, unter der speziell Vorarlberg, Tirol und Salzburg leiden: der Ärzteexodus über die nahe Grenze nach Deutschland, Liechtenstein und in die Schweiz, die ebenfalls unter Ärztemangel leiden. Der deutsche Gesundheitsökonom Günter Neubauer hält das Aussterben des Hausarztes für unaufhaltbar und hat einen radikalen Vorschlag: Ärzte sollen durch medizinisches Hilfspersonal ersetzt werden. Denn: „80 Prozent der Patienten wollen ohnehin nur Zuwendung und Zuspruch.“ Und dafür braucht es kein Medizinstudium – sondern quasi nur Arztdarsteller.

„Formularkriege“
Was Christian Schwarz (Foto), 54, Landarzt in Oberndorf an der Melk,
seinen Beruf verleidet.

„Ich bin seit 26 Jahren Arzt in Oberndorf. Nur alle zwei, drei Wochen kommt ein Patient, den ich noch nie gesehen habe. Es macht viele Diagnosen leichter, die Menschen so lange zu kennen. Ich liebe meinen Beruf, weil er so abwechslungsreich ist – aber er wird mir zusehends verleidet. Ich verbringe viel zu viel Zeit mit Bürokratiekram und zu wenig mit den Patienten.
Ich muss für viele Medikamente umständliche Begründungen für die Krankenkasse schreiben und Formularkriege führen. Besonders kompliziert ist es, wenn Patienten im Spital waren und zur Nachbehandlung kommen. Das Krankenhaus verordnet oft Medikamente, die wir Allgemeinmediziner nicht so einfach verschreiben dürfen. Dann muss ich ewig Zeit verbringen, um den zuständigen Spitalsarzt ans Telefon zu bekommen und die Verschreibung korrigieren zu lassen. Solche Dinge passieren viel zu oft. Damit vertue ich wahnsinnig viel Zeit.
Ich bin sehr gerne Arzt, aber sehr ungern Gesundheitsdienstleister. Unser Verdienst hängt daran, wie viele Patienten wir durchschleusen. Zum Beispiel habe ich gestern einem Patienten die Nähte gezogen, nachdem ich ihm eine Woche davor eine Talgdrüse operativ entfernt hatte. Finanziell klüger wäre es allerdings gewesen, ich hätte ihm sofort bei der Erstbehandlung eine Überweisung ins Spital geschrieben – das dauert eine Minute, ich hätte genauso viel verdient und mein Besteck nicht sterilisieren müssen. Selbst bei der Nahtentfernung wäre das klüger gewesen. Das ist doch absurd.“

Foto: Monika Saulich für profil

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin