Rudolf Gelbard: Der letzte Kämpfer

Rudolf Gelbard, Festredner bei der Befreiungsfeier in Mauthausen, über den Sinn des Überlebens und warum das Heute so ist, wie es ist.

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Dieser Artikel erschien im profil Nr. 19 / 2018 vom 07.05.2018. Rudolf Gelbard ist in der Nacht auf Mittwoch im Alter von 87 Jahren in Wien verstorben.

Dem Herrn geht es gar nicht gut, sagen die Ärzte. Doch Rudolf Gelbard liegt in seinem Krankenhauszimmer nicht etwa im Bett, sondern sitzt aufrecht an einem Tischchen. Mit jedem Tag seines Aufenthalts hier werden es mehr Bücher sein, die er um sich versammelt wie eine Armee des Geistes; mit einer Willensstärke, die einfach nicht zulässt, dass er aufgibt. Nach allem, was er als junger Mensch gesehen hat, im Konzentrationslager Theresienstadt und danach. Das Relativieren und Wegducken, das kommt für ihn nicht infrage. Seit sieben Jahrzehnten kämpft er dagegen an. Er ist jetzt 87 Jahre alt. Er will nicht über Konzentrationslager reden, sondern über die Jahre danach und warum das Heute so geworden ist, wie es ist. Für ihn ist das keineswegs Routine.

Das Heimkommen 1945 war nicht schön. Vater und Mutter waren gebrochen an Leib und Seele, ein Großteil der Verwandtschaft ermordet, in ihrer Wohnung in der Wiener Leopoldstadt saßen fremde Leute.

"Wieso seid's es wieder da? Ich hab denkt, ihr seid's alle vergast wurdn. - Mein Vater musste mühsam erklären, wieso wir nicht vergast wurden. Für die muss es fürchterlich gewesen sein, dass sie den Krieg verloren haben und ein paar von uns überlebten", sagt Gelbard, und die Stimme schwillt an vor Empörung.

Gelbard hat lange Zeit seinen ehemaligen Heimatbezirk gemieden. Es tat zu weh, durch Straßen zu streifen, wo man erniedrigt, aus der Schule geworfen, in Sammelwohnungen gepfercht und mit Lastkraftwagen abgeholt worden war.

"Im August 1945 standen wir vier Buben aus Theresienstadt an einer Kinokasse in Hernals. Der Film war ausverkauft, und einer von uns fragte, ob wir Stehplätze kriegen können. Plötzlich sind wir umringt. "Es Hurnjuden, es Scheißjudn. Wieso sad's es net vergast wurdn. - Wir rannten in alle Richtungen davon."

Der 15-Jährige wäre damals gern nach Palästina ausgewandert. Er blieb seiner Eltern wegen, holte die versäumte Schulbildung mit Privatunterricht nach, den sich die Familie vom Mund absparte. Er war befreundet mit seinesgleichen, Menschen, die im KZ gewesen waren, Spanienkämpfern, Widerstandskämpfern.

Als er ein Mädel kennenlernte und deren Eltern fast in Ohnmacht fielen, als sie hörten, dass er Jude ist, sagte Gelbard: "Ich bin sicher nach ihrer Diktion sechs bis acht Generationen rein nicht arisch" (Zitiert nach Walter Kohl: Die dunkle Seite des Planeten). Er hat die Familie nie wieder gesehen.

Warum schlug ihnen so großer Hass entgegen? Warum hatte er überlebt und so viele andere nicht? Das ließ ihn nie wieder los.

Als es 1946 an der Wiener Universität zu antisemitischen Ausschreitungen kam, bei denen NS-Opfer verhöhnt wurden, protestierten sie machtvoll, besetzten Hörsäle.

Im Jahr 1948 geschah etwas Unglaubliches. Ehemalige Ariseure jüdischen Eigentums schlossen sich zu einem Verein zusammen. Sie nannten sich "Schutzverband der Rückstellungsbetroffenen", waren von SPÖ-Innenminister Oskar Helmer zugelassen worden und wollten im Wiener Hotel Wimberger ihre Gründungsversammlung abhalten. Für die Medien ließen sie blonde Kinder mit Transparenten aufmarschieren, auf denen stand: "Gebt uns Kindern unser Heim wieder." Wieder war Gelbard vor Ort. Hunderte Antifaschisten besetzten den Tagungsraum des Hotels. Die Vereinsgründung platzte.

Verhindert haben Gelbard und andere auch einen Vortrag von Fritz Stüber, Mitbegründer des VDU, einer Vorläuferpartei der Freiheitlichen, der 1955 im Wiener Hotel "Münchnerhof" über "Hungerrenten und jüdische Forderungen an Österreich" reden wollte.

Verunmöglicht haben sie 1956 in Wien eine Versammlung der Kameradschaft IV, der Veteranen der Waffen-SS.

Rosa Jochmann ging mitten unter diese Leute und sagte: Ich war in Ravensbrück. Sagen Sie mir doch ins Gesicht, dass das alles nicht wahr ist.

Die Schillerfeier im November 1959, bei der erstmals nach dem Staatsvertrag schlagende Burschenschaften, Turnerbund und ein "Bund heimattreuer Jugend" wieder am Ring marschierten, mit Fackeln, Trommeln, weißen Stutzen und Uniform-Versatzstücken, erinnert Gelbard an einen bösen Spuk.

"Rosa Jochmann, damals schon 60 Jahre alt, ging mitten unter diese Leute und sagte: Ich war in Ravensbrück. Sagen Sie mir doch ins Gesicht, dass das alles nicht wahr ist." Der 29-Jährige hat Jochmann gewaltig bewundert.

1965 starb ein kommunistischer Widerstandskämpfer bei Demonstrationen gegen einen antisemitischen Professor an der Universität für Welthandel. Taras Borodajkewycz hatte in seinen Vorlesungen zum Gaudium vieler seiner Zuhörer jüdische Politiker und Professoren verhöhnt, doch ein junger Student namens Ferdinand Lacina, später Finanzminister, hatte eine Mitschrift angelegt. Als sie öffentlich gemacht wurde, gingen rechte Studenten auf die Straße, provozierten mit "Hoch Boro"-und "Hoch Auschwitz"-Rufen. In der Nähe der Opfer kam es zu Schlägereien, der alte Mann wurde niedergestoßen, und starb. Borodajkewycz wurde 1971 zwangspensioniert. Bei vollen Bezügen.

Als David Irving 1989 im Hübner'schen Parkhotel in Schönbrunn den Holocaust als eine "Fantasie" von Überlebenden bezeichnete, stand Gelbard ebenfalls in der ersten Reihe der Gegendemonstranten. Auf der Seite der Irving-Anhänger: Heinz-Christian Strache. Gegen Irving wurde damals ein Haftbefehl ausgestellt, und als der Brite im Jahr 2006 wieder österreichischen Boden betrat, wurde er festgenommen und vor Gericht gestellt.

Was mich noch immer empört - dass es noch immer Menschen gibt, die die Verbrechen des Nationalsozialismus relativieren.

Gelbard beobachtete natürlich auch alle wichtigen Gerichtsverhandlungen in den Nachkriegsjahren, in denen es um NS-Verbrechen ging, und später dann die Neonazi-Prozesse. Er ist in dieser Hinsicht ein wandelndes Archiv.

"Was mich noch immer empört - dass es noch immer Menschen gibt, die die Verbrechen des Nationalsozialismus relativieren. Dass sie die Dimension nicht wahrhaben wollen. Zwei Drittel des europäischen Judentums aus 25 Ländern wurden ausgerottet, davon eineinhalb Millionen Kleinkinder; Roma, Sinti, kranke Menschen " Gelbard wird jetzt still. Wie oft hat er das schon gesagt?

Seine Lehre aus dem Leben: "Widerstehe den Anfängen, denn wenn eine gefährliche Entwicklung sehr weit gediehen ist, muss man sehr viel Mut aufbringen."

Woher weiß man, wann es anfängt? - Das ist schwierig zu bestimmen, sagt Gelbard.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling