Der Widergänger

Die Grünen wollen Van der Bellen aus der Gleitpension locken

Bundespräsidentschaftswahl. Die Grünen wollen Van der Bellen aus der Gleitpension locken

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Alexander Van der Bellen legt die Stirn in Falten, trommelt unwirsch mit den Fingern und lässt keine Zweifel aufkommen: "Ich mag Fototermine gar nicht." Darum pfeift er auch auf alle Konventionen, mit denen sich Politiker bevorzugt ins Bild zu rücken pflegen: Er schaut grantig und schert sich keinen Deut darum, ob die Frisur sitzt; lieber zündet er sich eine Zigarette an. Und gerade, als das schier Unmögliche einzutreten droht, nämlich ein Wutanfall des sonst so langmütigen Van der Bellen, findet er seine Fähigkeit zur Selbstironie wieder: "Im Nationalratswahlkampf 2008 wollten sie Fotos für Plakate mit mir machen. Das habe ich verweigert und gesagt:,Nehmt's doch die alten Bilder von 2006.'" Gegrinster Zusatz: "Womöglich haben wir deshalb damals nur bescheiden abgeschnitten."

Rebellion war gestern
Spätestens in einem Jahr wären Fototermine unvermeidlich - als unangenehmer Nebeneffekt, wenn sich Van der Bellen zur Kandidatur bei der Bundespräsidentschaftswahl überreden lassen sollte. Die Grünen leisten derzeit vielstimmige öffentliche Überzeugungsarbeit: Die Website vdb.2016 ist reserviert, von Parteichefin Eva Glawischnig abwärts betonen alle, welche Idealbesetzung der honorige Van der Bellen wäre. Selbst der notorische Querkopf Peter Pilz, der das "völlig überflüssige" Amt des Bundespräsidenten einst abschaffen oder zumindest dadaistisch mit Ostbahn-Kurti besetzen wollte, gerät ins Schwärmen: "Van der Bellen wäre der perfekte Kandidat."

Rebellion war gestern, die Sehnsucht, die Republik aus den Angeln zu heben, auch. Es gäbe kühnere Varianten als jene, für die Hofburg einen bedächtigen älteren Herrn aufzustellen und Van der Bellen aus seiner Gleitpension auf der Hinterbank im Wiener Gemeinderat zu locken. Wenn er will. Es wäre nicht Van der Bellen, wenn er sich mit der Antwort nicht ausgiebig Zeit ließe. Zuerst sagt er: "Ich wäre mit Freude in ein Personenkomitee einer Präsidentschaftskandidatin Barbara Prammer gegangen." Um nach einer längeren Nachdenkpause hinzuzufügen: "Heinz Fischer übt das Amt des Bundespräsidenten gut aus. Ich finde es geradezu unhöflich, eineinhalb Jahre vor Ablauf seiner Amtszeit über eine Kandidatur zu spekulieren, auch wenn Fischer das wahrscheinlich mit einer gewissen Amüsiertheit betrachtet."

Ein Nein klingt anders.

Deutlicher will Van der Bellen erst ein gutes halbes Jahr vor der Bundespräsidentschaftswahl werden, also planmäßig Ende 2015. Er wäre der erste Grüne Kandidat seit Jahrzehnten. Erst zwei Mal hatten die Ökos die Wahl für die Hofburg nicht von den Zuschauerrängen verfolgt: Im Frühjahr 1986 trat Freda Meissner-Blau für die außerparlamentarische Opposition (und gegen Kurt Waldheim) an und verschaffte den Grünen den Rückenwind, mit dem sie im Herbst 1986 erstmals ins Parlament segelten. 1992 stellten die Ökos Zukunftsforscher Robert Jungk auf, mehr eine Hommage an den betagten alternativen Nobelpreisträger als ernsthafte Kandidatur. Seither hielten sich die Grünen aus den Wahlen um das verstaubte, aber formal höchste Amt der Republik heraus -auch im Sinne einer pragmatischen Kosten-Nutzen-Rechnung. Van der Bellen selbst rechnete, ganz Volkswirt, 2004 vor: Ein Wahlkampf koste eine Million Euro, und angesichts der "sehr, sehr kleinen Siegeschancen ist der Mitteleinsatz nicht angemessen verzinst".

Die Kalkulation gilt im Prinzip bis heute, neben Kandidaten von SPÖ (aller Voraussicht nach Sozialminister Rudolf Hundstorfer) und ÖVP (unentschieden) winkt von der Papierform her für die Grünen höchstens ein Achtungserfolg. Die einzige neue Variable im Spiel ist Van der Bellens Naturell, das dem Anforderungsprofil einer ruhigen, ausgeglichenen Respektsperson recht nahekommt.

Vorwurf gegen Van der Bellen senior
Ein jugendlicher Feuerkopf war der Spross der gehobenen russischen Bourgeoisie in der Tat nie, im Gegenteil. In der wohlsituierten Familie, die vor der Roten Armee über Estland und Wien ins Tiroler Kaunertal flüchtete, wurde so gut wie nie über Politik gesprochen. Umso mehr traf es Van der Bellen, als der damalige Tiroler Landeshauptmann Herwig van Staa vor einem Jahrzehnt Van der Bellen senior der Nazi-Nähe beschuldigte - ein Vorwurf, der sich nach peniblem Aktenstudium als haltlos herausstellte. "Herwig Van Staa ist der einzige Politiker in Österreich, dem ich nicht mehr zu begegnen wünsche", sagt Van der Bellen noch heute.

So nachgerade angriffige Sätze hört man von dem Universitätsprofessor selten. Ihm ist das seltene Kunststück gelungen, weniger für seine Aussagen berühmt zu sein als für die ausgedehnten Pausen dazwischen. Der großväterlich-bedächtige Habitus war stets das Markenzeichen des Ökonomen, der sich als Anti-Politiker Respekt erarbeitete - wenn auch nach einer gehörigen Anlaufzeit, wie er sich nicht ohne gewisse Koketterie erinnert: "Ich galt am Anfang als skurril, als trockener Wissenschafter ohne Charisma. Dieses Atypische wurde zunächst ins Negative gewendet." Erst ein heillos zerstrittener Haufen von Grünen Alpha-Menschen ließ die Sehnsucht nach einem Ruhepol an der Spitze laut werden. 1994 war Van der Bellen erstmals in den Nationalrat gewählt worden; schon drei Jahre später avancierte er zum Bundessprecher.

Das Fremdeln der Partei mit dem unkonventionellen Professor war ein beidseitiges. Van der Bellen hatte mit 18 Jahren die ÖVP gewählt, war dann Kreisky-Fan und SPÖ-Mitglied und wurde selbst als Grüner Nationalrat kein Parteimitglied. "Als ich Parteichef wurde, hat man mir sanft nahegelegt, dass ich jetzt Parteimitglied werden sollte. Dann bin ich halt in Wien beigetreten." Das hinderte ihn aber mitnichten daran, lustvoll gegen grüne Tabus zu verstoßen: Auf einem Fahrrad wurde er nie gesichtet, dafür in einer Dreckschleuder von Alfa Romeo; er war stets für Studiengebühren und verweigerte sich bewusst der Hysterie gegen Schwarz-Blau: "Ich habe auch demonstriert. Aber mir sind damals jene Menschen auf die Nerven gegangen, die zu Hause in ihren Fauteuils bei einem Glas Wein darüber philosophiert haben, dass angeblich der Faschismus vor der Tür steht." Daran hält er bis heute fest: "Ich schätze Wolfgang Schüssel - etwa, weil er sich damals keinen Deut um die ,Kronen Zeitung' geschert hat."

Knietief im Morast
Dennoch war Schüssel jener Mann, der Van der Bellen die wohl tiefste Wunde seiner Politkarriere zufügte - die gescheiterten Koalitionsverhandlungen des Jahres 2003, in denen Van der Bellen viel von seinem politischen Kapital verbrauchte. Danach wirkte er lustlos, müde, zermürbt. Heute gesteht er offen ein, dass ihm der Job als Bundessprecher damals gehörig auf die Nerven ging: "Als Minister hat man's ja super, da muss man sich nur zu seinem Fachgebiet äußern. Aber der Bundeskanzler und die Parteichefs stecken oft knietief im Morast. Zu allem und jedem sollst du eine fundierte Meinung haben, und zwar gefälligst binnen fünf Minuten."

Wer ihn so reden hört, könnte fast glauben, dass er die Ruhe als Hinterbänkler im Wiener Gemeinderat genießt. Fast: Sein Mandat im Rathaus hat er mit eineinhalb Jahren Zeitverzögerung angenommen - eine selbst für seine Verhältnisse übertrieben lange Grübelphase. Sein größtes Atout, die Glaubwürdigkeit, wurde damit erschüttert: Van der Bellen hatte bei der Wiener Wahl 2010 am aussichtslosen Platz 29 kandidiert und zur Überraschung aller 11.952 Vorzugsstimmen geholt. Das katapultierte ihn auf den Listenplatz 1. Van der Bellen blieb dennoch im Nationalrat. "Das war ein Fehler", räumt er heute freimütig ein. Und: "Über die Vorzugsstimmen waren alle total überrascht. Das darf doch nicht wahr sein, habe ich mir gedacht."

Seit Mitte 2012 sitzt Van der Bellen im Gemeinderat und erlebt die rot-grüne Stadtregierung letzte Reihe fußfrei mit. Als Erfolge hat er bislang aufzuzählen, dass der Dr.-Karl-Lueger-Ring in Universitätsring umbenannt und auf dem Stadtplan alle Hochschulen eingezeichnet sind. Womöglich hat er sich das lang ersehnte Mitregieren nervenzerfetzender vorgestellt.

Das gibt Zeit, Pointen zurechtzulegen. 2016 steht die Bundespräsidentschaftswahl an, Van der Bellen wäre dann 72. Darüber witzelt er routiniert: "In China wäre ich in dem Alter bestenfalls der dritte Untersekretär im fünften Vorzimmer."

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin