Auschwitz-Birkenau
History

Die Kälte von Auschwitz

Die neu gestaltete Österreich-Ausstellung in der Gedenkstätte des Konzentrationslagers rührt nicht ans Herz. Und tut es dann doch. Aber wie! Christa Zöchling hat es erlebt.

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Auschwitzbesuch im Jänner 2022. Man weiß, was einen erwartet. Ein peitschender Schneesturm setzt innerhalb von Minuten ein; eine Brille, die unbemerkt zu Boden fällt, ist in den nächsten Sekunden unter Weiß verschwunden; die Eiskristalle stechen, Himmel und Erde sind eins geworden. Man verstummt. Und denkt unwillkürlich, wie das jetzt wäre, läge man auf einer Pritsche in einer der Holzbaracken, die mit rauen Brettern gezimmert waren, ursprünglich für Pferdeställe gedacht, und durch deren Ritzen der Wind singt und Schnee hereinweht.

Die Natur in Auschwitz hat es den Menschen wahrlich nicht leicht gemacht. Eiseskälte im Winter, Schlamm im Frühjahr, brüllende Hitze im Sommer. Doch erst der Mensch hat es unmenschlich werden lassen.

Das System Auschwitz ist kalt. Der Nutzen zählte und das Ziel: Wer legt das billigste Angebot für Zyklon B? Eine Hamburger Firma bekam den Zuschlag. Wie viele Menschen fasst eine moderne Gaskammer? Kann sie zwecks Effektivität mit dem Krematorium verbunden werden? Zwei österreichische Architekten aus der SS-Bauleitung hatten eine Idee und dann gleich die Aufsicht über den laufenden Betrieb. Sie wurden in einem Nachkriegsprozess freigesprochen, da sie "nicht die geistigen Urheber" der Gaskammern waren.

1940 wurde eine alte Kaserne nahe dem polnischen Städtchen Auschwitz zu einem Lager umfunktioniert, 1941 mit rund 600 Baracken, vier Gaskammern und Krematorien und Verwaltungsgebäuden zu Auschwitz-Birkenau erweitert. Bahngleise wurden verlegt, um deportierte Juden aus allen von den Deutschen eroberten Gebieten von der Rampe weg zu selektieren, in die Gaskammern zu treiben oder als Arbeitssklaven zu "gebrauchen",also zu Tode zu hetzen. Später kamen weitere Lager neben Produktionsbetrieben wie den Buna-Werken hinzu.

Ab 1942 war Auschwitz als Mordmaschinerie perfekt. Es starben mehr als 1,5 Millionen Menschen, darunter 20.000 Österreicher. Erstickt, erschlagen, erschossen, erhängt, verhungert, erkrankt.

Wie soll man das, was dem Verstand widerstrebt, in einer Ausstellung zeigen?

Die erste Österreich-Ausstellung in einem der Länder-Pavillons (Deutschland hat keinen und hat auch nie darum angefragt) wurde 1978 eröffnet, am Höhepunkt der Kreisky-Ära. Am Eingang begrüßte den Besucher eine vier mal sechs Meter hohe Wand in den Farben Rot-Weiß-Rot, auf der stand: "Erstes Opfer Hitlers".Und ein plakativer Wehrmachtsstiefel trat auf die Landkarte von Österreich.

Man erfuhr viel über Widerständler und Spanienkämpfer. Nur ein kleines Foto von jubelnden Menschen-es handelte sich um das Massenspektakel am Wiener Heldenplatz zur Ankunft des "Führers"-war in einer Collage mit anderen Fotos versteckt. Überlebende, vor allem kommunistische Widerstandskämpfer, hatten damals die Ausstellung konzipiert.

Sie hatten in Auschwitz ihr Leben riskiert, um Schaltstellen zu besetzen, kriminelle und böse Kapos kleinzuhalten, Beweise für den Massenmord zu sammeln und nach draußen zu schmuggeln, um die Welt aufzurühren. Sie hatten Fluchten organisiert, um mit dem polnischen Widerstand von draußen die Lager zu befreien. Sie hatten es nicht geschafft. Die Ausstellung war ihr Aufschrei: "Wir haben gekämpft!"

Aber sie waren eben nur eine sehr kleine Minderheit gewesen. 700.000 Mitglieder hatte dagegen die NSDAP in der damaligen Ostmark. Jahrzehntelang war die österreichische Lebenslüge vom ersten Opfer Hitlers noch glatt durchgegangen. Erst SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky hatte Anfang der 1990er-Jahre die Wende eingeleitet. 2013 wurde die alte Ausstellung geschlossen und junge Historiker beauftragt.

Die neue Ausstellung empfängt den Besucher mit Funzellicht. Man steht vor weißen Raumteilern, grauen und schwarzen Flächen, kahlen Wänden, einem Zitat hier und da, maschinenschriftlichen Durchschlägen unter Glas, wenigen Exponaten. Diese Ausstellung rührt einen nicht an.

Doch halt: Da, höhnisch grinsende Männer, Frauen, sogar Kinder, die sich herandrängen, einen reizbaren Kreis bilden, zusehen, wie mehrere Männer, ganz offensichtlich Juden, die Straße reinigen. Sie lachen über eine kniende Frau in einem Mantel mit Pelzbesatz. Auf einem der Fotos hat einer der Gedemütigten den Kopf gehoben und schaut direkt in die Kamera. Es ist ein Blick, der alles vorwegnimmt: Wie könnt ihr nur?

Es stellt sich heraus: Jeder einzelne Zettel in den Vitrinen erzählt eine monströse Geschichte. Dienstreiseabrechnungen von Polizisten, die einen Deportationszug nach Birkenau begleiteten; Korrespondenz, um die Leichenverbrennung effektiver zu machen; die Meldung einer SS-Oberaufseherin aus Oberösterreich: eine Lagerinsassin habe Äpfel von einem Baum gepflückt oder "war dabeigestanden und hat es geduldet". Dafür gibt es Stehbunker.

Ein aufgeschlagenes Bunkerbuch zeigt, dass diese Höllenstrafe so gut wie niemand überlebt. Ansuchen um Spesenersatz für die Reise von Salzburg nach Auschwitz. Eine Fürsorgerin hat sich die Mühe gemacht, ein "Zigeunerkind" in Birkenau abzugeben.

Der stolze Brief des einstigen Hohenemser Bürgermeisters. Er hat die letzte Vorarlberger Jüdin in den Zug gesetzt, nach Wien geschickt und das aus eigener Tasche bezahlt! Stammkarten österreichischer SS-Oberund Unterscharführer und Unterscharführerinnen zeigen die gesellschaftliche Breite der Bewegung-vom Arbeiter bis zum Uni-Angestellten.

Irritierend: eine ausgetopfte Elster-sie stammt von jenem SS-Mann und Ornithologen Günther Niethammer, der, wenn er nicht am Haupttor Wache stand, im ausgedehnten Lagerareal das Vogelleben erkundete, in Auschwitz eine wissenschaftliche Abhandlung schrieb und nach dem Krieg zum Doyen seiner Wissenschaft aufstieg. Auschwitz war sein Karrieresprungbrett (siehe: der Vogelfänger von Auschwitz).

Da ist noch ein Foto von jenem Augenblick, in dem der inhaftierte jüdische Häftling Norbert Lopper im Jahr 1944, der an der Rampe von Auschwitz-Birkenau seinen Dienst verrichtet, seine Mutter aus einem Waggon stolpern sieht.

Und dann: eine ausgehöhlte Kleiderbürste. Dahinter steckt die unglaubliche Geschichte einer österreichischen Krankenschwester aus dem SS-Revier in Auschwitz. Maria Stromberger, die sich freiwillig nach Ausschwitz meldete, weil sie in einem Lazarett Gerüchte von den deutschen Gräueltaten gehört hatte. Sie folgte ihrem Herz und wollte den Insassen helfen. Ihr Arbeitsplatz war das SS-Krankenrevier. Nach einer Seite sah sie zum Krematorium des Stammlagers hinaus, auf der anderen zum elektrisch geladenen Zaun-2000 Volt stark, in den sich immer wieder Häftlinge stürzten, weil sie das alles nicht mehr aushielten. Stromberger kam mit ihrem Ausweis in alle Lager, auch nach Birkenau, "die wahre Hölle" von Auschwitz. Sie schmuggelte Essen, Medikamente, Nachrichten mit der Todesstatistik, die Namen der schlimmsten SS-Schergen. Sie versteckte Kranke vor der Selektion. Sie arbeitete mit polnischen Widerstandskämpfern und dem Österreicher Hermann Langbein zusammen. Die Welt sollte erfahren, was in Auschwitz vor sich ging.

Die Widerstandsgruppe hoffte, die Alliierten dazu zu bewegen, die Bahngleise zu bombardieren und so die Deportationen zu stoppen. Die BBC berichtete schon 1942 über den Massenmord in Auschwitz. Einzelnen war die Flucht aus Auschwitz gelungen. Stromberger half mit, verbotene Aufnahmen von Frauen, die nackt in die Gaskammern getrieben wurden, und Fotos von riesigen Scheiterhaufen mit Leichen nach draußen zu schleusen. Das war 1943. In aller Welt wurden die Bilder veröffentlicht, doch nichts geschah. 1944 nahm die Wehrmacht Budapest ein, und in Auschwitz-Birkenau rauchten die Kamine jetzt Tag und Nacht. Eine Schweizer Zeitung titelte: "62 Eisenbahnen voll jüdischer Kinder. Wohin?"-Man habe erfahren, die Deportation von 500.000 ungarischen Juden sei angelaufen.

Ein Aufstand des Sonderkommandos, das waren jene Häftlinge, die die Leichen aus den Gaskammern schaffen mussten, schlug fehl. Stromberger wurde Ende 1944 nach Berlin befohlen.

Nach dem Krieg, bei ihrer Schwester in Vorarlberg, wurde Stromberger denunziert. Es gab Fahndungsaufrufe in österreichischen Zeitungen. Sie verbrachte Wochen in einem Lager für mutmaßliche NS-Verbrecher, bis ehemalige Häftlinge die Öffentlichkeit mobilisierten.

Der Historiker und frühere Grünen-Nationalrat Harald Walser hat ein Buch über das Leben dieser Frau geschrieben. Glücklich war es nicht. Daran ist die österreichische Nachkriegsgesellschaft schuld. Die Einzigen, die ihr Leben würdigten, waren ehemalige polnische Häftlinge, für die sie "ein Engel in Auschwitz" war, und kommunistische Widerstandskämpfer wie Hermann Langbein.

Die Ausstellung im Österreich-Pavillon wird am Ende immer karger. Um die Jahreswende 1944/45 begann Auschwitz als Lager zu sterben. Die Rote Armee rückte näher. 60.000 Häftlinge wurden in Todesmärschen unter SS-Bewachung westwärts getrieben.

Als sowjetische Soldaten am 27. Jänner 1945 das berüchtigte Lagertor "Arbeit macht frei" passierten, fanden sie 8000 Kranke, halb Verhungerte und Sterbende vor.

Auschwitz ist Metapher geworden für den Holocaust. Man sollte wissen, was hier geschah. Es war nicht unbegreiflich, es war-eine Zeit lang-normal. Die Ausstellung zeigt das.

History-Podcast

Der profil-history-Podcast sucht die Spuren des Vergangenen im heutigen Geschehen. Er erscheint jeden zweiten Sonntag.

Christa Zöchling hat vergangene Woche mit dem Historiker und ehemaligen Grün-Politiker Harald Walser die neue Österreich-Ausstellung in der Gedenkstätte Auschwitz besucht. Sie sprechen über die unglaubliche Geschichte der Maria Stromberger, einer Krankenschwester im SS-Revier, die sich dem Widerstand anschloss.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling