Einengung der ­Kampfzone

Die Nationalratswahlen ­werden in Ober- und ­Niederösterreich entschieden

Wahlkampf. Die "Swing States" Ober- und Niederösterreich

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Es war im November 2012 kurz vor Mitternacht, als sich bei den US-Demokraten Jubelstimmung auszubreiten begann. Barack Obama hatte eben den Zwölf-Millionen-Einwohner- Staat Ohio für sich entschieden und damit 18 Wahlmännerstimmen eingesammelt. Ein Sieg mit Symbolkraft: Ohio, der Bundesstaat im Nordosten an den Großen Seen, hatte bei den vergangenen zwölf Präsidentschaftswahlen verlässlich den Gewinner gekürt. Wer in Ohio vorn lag, sicherte sich die Präsidentschaft – der bisher Letzte, dem es gelang, ohne Erfolg in Ohio ins Weiße Haus einzuziehen, war John F. Kennedy im Jahr 1960 gewesen. Ansonsten schwankte die Wählerschaft immer zwischen Republikanern und Demokraten, aber stets zum späteren Präsidenten – kein Wunder, dass Ohio als einer der Swing-States in jedem US-Wahlkampf besonders umkämpft ist. In sogenannten Battleground-States wie Ohio entscheidet sich die amerikanische Wahl.
Österreich hat kein antiquiertes System mit Wahlmännern und auch kein The-winner-takes-it-all-Prinzip, sondern ein Verhältniswahlrecht. Dennoch kristallisieren sich auch hierzulande einzelne Bundesländer als Battleground-Gebiete heraus, in denen fixiert wird, wer am Wahlabend bundesweit die Nase vorn hat: Oberösterreich und Niederösterreich.

Oberösterreich als Trendsetter
Bei einer Landtagswahl würde seit Jahrzehnten niemand Wetten darauf annehmen, welche der Großparteien in Führung liegt – zu sichere Bänke sind beide Bundesländer für die ÖVP. Bei nationalen Urnengängen aber sind die Ergebnisse wesentlich unberechenbarer und knapper. Zu diesem wechselhaften Wahlverhalten kommen andere Faktoren, die Ober- und Niederösterreich zu besonders umkämpftem Terrain machen: Beide Bundesländer verfügen über jeweils mehr als eine Million Wahlberechtigte und stellen damit gemeinsam ein Drittel aller Wähler in ganz Österreich. Noch dazu ist vom Inn- bis zum Waldviertel die Wahlbeteiligung deutlich höher als etwa in Wien – einer der Gründe dafür, warum die traditionell schwache niederösterreichische SPÖ bei der Nationalratswahl 2008 in absoluten Zahlen mehr Stimmen holte als die Genossen im roten Wien.

Oberösterreich ist überhaupt ein Swing-State und erfüllt damit oft die Funktion als Trendsetter: Als bei der Nationalratswahl 2006 das Landesergebnis aus Linz einging und die SPÖ knapp vor der ÖVP lag, ließ Alfred Gusenbauer in Wien die ersten Sektflaschen öffnen – zu Recht: Die SPÖ sollte auch bundesweit überraschend den ersten Platz schaffen. Im Jahr 2002 wiederum hatte sich der Erdrutschsieg der ÖVP schon mit deutlichen Gewinnen der Volkspartei in Oberösterreich abgezeichnet.
„Wer in Oberösterreich vorne liegt, ist auch im Bund die Nummer eins“, sagt Christian Horner, der Geschäftsführer der SPÖ Oberösterreich, nicht ohne lokalpatriotischen Stolz. Das Ergebnis in Oberösterreich ist insofern besonders spannend, als die Wähler bei regionalen Wahlen völlig anders votieren als bei bundesweiten Urnengängen. Bei der Landtagswahl im Jahr 2009 war die SPÖ mit fast 20 Prozentpunkten meilenweit hinter der ÖVP gelegen und hatte satte Verluste eingefahren – nur ein Jahr davor bei der Nationalratswahl hatte hingegen die SPÖ die lokale ÖVP deutlich abgehängt (siehe Grafik). Polemisch formuliert: Bei Landeswahlen spiegelt sich im Ergebnis, dass Oberösterreich über die Rekordzahl von 481 Blasmusikkapellen und 116 Trachtenvereine verfügt; bei Bundeswahlen hingegen zeigt sich, dass mit einem Drittel der Beschäftigten nirgendwo sonst in Österreich noch so viele Arbeiter werken wie im Industrieland Oberösterreich.

Retro-Strategie
Horner setzt diesmal auf eine Retro-Strategie, die er sich von den französischen Sozialdemokraten abgeschaut hat: den Hausbesuch, eigentlich eine Wahlkampfmethode aus der Zeit, als noch bei Weitem nicht in jedem Haushalt ein Fernseher stand. François Hollande hat dieses Uraltmuster wiederbelebt und in Paris Klinken geputzt; in Oberösterreich wandeln Genossen von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (geboren in Ottnang am Hausruck) und Gesundheitsminister Alois Stöger (gebürtiger Linzer) abwärts auf seinen Spuren. An 40.000 Türen will die SPÖ Oberösterreich bis zum Wahlabend klingeln: „Das ist das Einzige, was in Zeiten der Politikverdrossenheit noch zieht“, glaubt Horner.

Zu ähnlichen Schlüssen ist die ÖVP gekommen. „Unsere große Stärke sind unsere 70.000 Funktionäre. So können wir mit persönlichen Kontakten wahlkämpfen“, sagt ÖVP-Generalsekretär Hannes Rauch. Seine Partei war vergangene Woche kameragerecht in Oberösterreich wandern, die Lokalheroen, Finanzministerin Maria Fekter (geboren in Attnang-Puchheim) und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (gebürtiger Helfenberger), verteilen seit Tagen in ihrem Heimatbundesland Eis und Wahl-broschüren.
Ähnlich umkämpft ist nur Niederösterreich. Dort schlägt der Landeshauptmannbonus nur bei Landtagswahlen durch; bei Nationalratswahlen hingegen liegt die ÖVP stets deutlich unter und die SPÖ deutlich über ihrem Landtagswahl-Ergebnis (siehe Grafik). Insofern lässt sich aus der absoluten Mehrheit, die Erwin Pröll und sein Team bei den Landtagswahlen im März verteidigen konnten, wenig ablesen – im Gegenteil: Bei Nationalratswahlen erweist sich Niederösterreich nachgerade als Homebase der SPÖ. Fast ein Viertel ihrer Stimmen kamen bei der Nationalratswahl 2008 von dort. Anders gerechnet: Niederösterreich lieferte so viele SPÖ-Stimmen wie Kärnten, Salzburg, Tirol, das Burgenland und Vorarlberg zusammen – und mehr als Wien.

Das benachbarte Wien hat zwar deutlich mehr Einwohner, aber erstens sind unter ihnen viele Migranten, die nicht wählen dürfen; zweitens gingen dort mit 73 Prozent um über zehn Prozentpunkte weniger Wahlberechtigte zur Wahl als in Niederösterreich. Dadurch bringen auch bessere Prozent-Ergebnisse in absoluten Stimmen nicht so viel wie vermutet. Und drittens zeigt sich in Wien bei Bundeswahlen der umgekehrte Niederösterreich-Effekt: Die Wiener SPÖ kam etwa bei der Nationalratswahl 2008 auf vergleichsweise magere 35 Prozent. Bei der Wien-Wahl nur zwei Jahre später fuhr sie mit 44 Prozent ein deutlich besseres Ergebnis ein.
Ein Faktor macht die Prognose für Ober- und Niederösterreich diesmal fast unmöglich: In beiden Battleground-States schnitt im Jahr 2008 das BZÖ in Jörg Haiders letztem Wahlkampf mit neun und sechs Prozent für ein Bundesland abseits des Wörthersees recht passabel ab. Diese damaligen BZÖ-Stimmen sind wohl diesmal auf dem Markt und sowohl für die SPÖ als auch für die ÖVP theoretisch gewinnbar. Sie werden damit das Match um Platz eins mitentscheiden.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin