Wie man eine kriminelle Karriere fördert

Ein Leben wird ruiniert: 16-Jährige nach Messerstich in Leoben verurteilt

Justizskandal. Ein Leben wird ruiniert, wenn man Gefängnis für eine Besserungsanstalt hält

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Als Mona G. am vergangenen Donnerstag mit ihrer besten Freundin auf den Stufen zum Bezirksgericht Leoben auf die Verkündung des Urteils wartete, schmiedete sie Zukunftspläne. Immer schon habe sie Ärztin werden wollen oder Krankenschwester. Das sei bis auf Weiteres nicht möglich, denn an der Krankenschwesternschule würde sie als Vorbestrafte nicht akzeptiert werden. Das habe sie sich selbst zuzuschreiben. Aber vielleicht eine Lehre als Baustofftechnikerin bei Böhler? Bloß "nie wieder in den Häfen gehen". Drei Stunden später war das Mädchen, das zum Tatzeitpunkt 14 Jahre alt war und nach wochenlangem Internet-Mobbing einem gleichaltrigen, zwei Köpfe größeren Mitschüler, der sie in den Schwitzkasten genommen hatte, mit einem Messer in den Bauch stach wegen Mordversuchs schuldig gesprochen worden.

Der Fall ist exemplarisch. Er zeugt von der Ignoranz der Erwachsenenwelt, die nichts mitbekommt vom Treiben ihrer Kinder in sozialen Netzwerken, von Shitstorms, pubertärer Gewaltsprache und ihrem Ausgeliefert sein. Er zeugt auch vom traurigen Zustand einer Pädagogik, die glaubt, ein Gefängnis sei eine Besserungsanstalt für Kinder.

„Ich zafick di“
Der pädagogische Gutachter in diesem Verfahren, Schuldirektor Oliver Kölli, hatte die Ansicht vertreten, dass im „gegenständlichen Fall eine unbedingte Haftstrafe die Möglichkeit bietet, innerhalb einer vorgegebenen Struktur den Schulabschluss nachzuholen, beziehungsweise einen Lehrberuf zu erlernen“. Vielleicht auch mit Fußfessel.

Die Schöffen, allesamt aus der Jugendarbeit kommend – Lehrer, Erzieher, Sozialarbeiter –, schlossen sich dem an. Das Urteil wurde mit fünf zu drei Stimmen gefällt. Vorläufiger Endpunkt umfassenden Behördenversagens, einschließlich der Schule, in der sich das Drama abgespielt hatte. Kein einziger ihrer Lehrer wurde gefragt, wie das passieren hatte können.
Vor drei Jahren ging Mona G. noch ins Gymnasium in Kapfenberg und war eine gute Schülerin. Sie engagierte sich beim Jugendrotkreuz und der freiwilligen Feuerwehr. Die Probleme begannen in der Pubertät.

Schulschwänzen, schlechte Noten, Reibereien mit der Mutter. Ihre neuen Freunde, mit denen sie herumhängt, sind Schulabbrecher, arbeitslos. Ein Abgrund der Entfremdung zu ihrem bisherigen Leben tut sich auf. Sie fühlt sich Gleichaltrigen überlegen, und alles, was sie tut und postet, verstärkt sich in der Parallelwelt des Internet. Auf Facebook heißt es nun: Mona trinke und ficke, sei eine „Schlampe“ und solle sich „von der Schule schleichen“. Mitten im Schuljahr 2013 kommt sie an die Hauptschule und trifft dort auf den Anführer der Klasse, ebenfalls ein schwieriges Kind, ein aggressiver Junge, der gern provoziert und sich seine Chefposition nicht nehmen lassen will. Wenige Tage vor dem Showdown werden Drohungen hin- und hergeschickt. „Ich zafick di“, simst der Junge. „I schlitz di auf“, simst das Mädchen. Es trifft sie ins Mark, als er die Nachricht – für alle sichtbar – auf Facebook stellt, ihre Mutter gehöre in „die Klapse“ und ihr Vater gleich mit. Das ist ein wunder Punkt bei Mona G.: Sie vermisst ihren Vater schmerzlich, der nur selten Zeit für sie hat. Am 7. Mai 2013 kommt sie mit einem Brotmesser von daheim in die Schule, stellt den Jungen in der Pause zur Rede und reißt ihm die Kappe vom Kopf. Er nimmt sie in den Schwitzkasten, schleift sie durchs Klassenzimmer und sie sticht mit dem Messer zu. Der Junge kommt glimpflich davon. Innere Organe sind nicht verletzt. Doch es hätte auch anders ausgehen können. Nach Ansicht der Gerichtssachverständigen hätte das Kind wissen müssen, wohin ein Stich in den Bauch führen könne. Der Staatsanwalt spricht von einem „planvollen und heimtückischen Handeln“.

„Fuck! Weihnachten“
Mona G. war damals von der Schule weg verhaftet worden. Bei ihrer ersten Einvernahme hatte das Kind – ohne vorher mit einem Anwalt oder einer Vertrauensperson gesprochen zu haben – zu Protokoll gegeben, sie sei in Panik geraten und habe keine Luft bekommen. Sie habe nicht gewusst, wo sie hinsteche, sie wollte sich nur aus der Umklammerung befreien.

Mona saß dreieinhalb Monate in der Leobner Justizstrafanstalt in Untersuchungshaft. In einer Abteilung für straffällig gewordene erwachsene Frauen. In den ersten Wochen durfte sie mit ihrer Mutter und ihrer Anwältin nur durch eine Glasscheibe sprechen. Ein Antrag auf psychologische Betreuung wurde abgelehnt. Danach kam Mona G. in eine Einrichtung der Jugendwohlfahrt im hintersten Kärnten, weit entfernt von Freunden und der Familie. Zu Weihnachten büchste sie aus. Am Heiligen Abend postete sie „Fuck! Weihnachten

Sie wolle sich nicht einfügen, wurde ihr beim ersten Prozess im Jänner 2014 vorgehalten, der ohne Ergebnis geschlossen wurde, weil sich für die Jugendrichterin der Mordverdacht erhärtet hatte und dafür Geschworene zuständig sind. Was sie denn glaube, was aus ihr einmal werden sollte: „Friseurin vielleicht“, hatte die Richterin abfällig hingeworfen, sie habe ja offenbar einen Hang zur kreativen Haarfarbe. Mona G. hatte damals ihr Haar pink gefärbt.

Vergangene Woche lautete der Vorwurf, Mona G. habe es sich angewöhnt, bis Mittag zu schlafen. Im Gefängnis sei das anders. Da herrsche eine „rigide Strukturvorgabe“. Das Strafausmaß lautet: drei Jahre, davon eines unbedingt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Monas Verteidiger ruft den Obersten Gerichtshof an. Der Staatsanwalt hat Berufung eingelegt und fordert eine höhere Strafe.