Warum haben Sie Elfriede Jelinek für tot erklärt, Herr Debenedetti?
Ein Tweet reicht – und die halbe österreichische Medienlandschaft erklärt die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek für tot. Zum zweiten Mal. Denn genau dasselbe ist schon im Sommer 2024 passiert. Das Muster dahinter ist immer dasselbe. Ein Account mit knapp 400 Followern auf Elon Musks Kurznachrichtenplattform X ändert regelmäßig seinen Benutzernamen. Am Dienstag hieß der Account „RowohltAT“, angelehnt an den deutschen Rowohlt Verlag. Und dieser Account erklärte Elfriede Jelinek für tot.
Sehr schnell fanden sich Meldungen wie „Schriftstellerin Elfriede Jelinek laut Verlag gestorben“ im Internet, auch auf normalerweise sehr vertrauenswürdigen Nachrichtenseiten. Der echte Account heißt aber nur „Rowohlt“ und hat im Vergleich zum falschen Profil 17.000 Follower, nicht 422. Ein Re-Check beim Verlag, bei Jelineks Management oder Personen, die ihr nahestehen, hätte an einem Wochentag eigentlich kein Problem sein können. Zumal das fragwürdige Spiel bekannt ist. Neben Jelinek, die es bereits zum zweiten Mal traf, wurde auch schon der Rowohlt-Autor Daniel Kehlmann auf einem Fake-Account für tot erklärt.
Der Fake-Account schlüpft regelmäßig in andere Rollen, einmal gibt er sich als Diogenes-Verlag aus, dann als Penguin-Verlag. Und wenn keiner dieser Buchverlage gerade eine Autorin oder einen Autor für tot erklärt, dann heißt derselbe Account Franz Lackner (Erzbischof von Salzburg) oder Wolfgang Hattmannsdorfer. Der falsche Lackner hat im März Papst Franziskus für tot erklärt, der falsche Account des Wirtschaftsministers Hattmannsdorfer den Gouverneur der österreichischen Nationalbank Robert Holzmann. In englischer Sprache.
Der Chat mit dem Hoaxer
Eigentlich sehr makaber, dachten wir uns im faktiv-Team vor wenigen Monaten. Meine Kollegen Jakob Winter, Kevin Yang und ich haben im März einen Faktencheck verfasst und darin beschrieben, was dahintersteckt; wieso dieses Muster so oft aufgeht; wie man diese Fake News erkennen kann und auch, wie sich Betroffene rechtlich wehren können.
Als ich gestern Abend nach Hause ging, war ich froh, dass wir nicht auf die falsche Jelinek-Todesmeldung hereingefallen sind. Und ich wollte schauen, in welches Kostüm der Account als Nächstes schlüpft. Also zückte ich mein Handy und gab „RowohltAT“ in der X-Suchleiste ein. Den Account fand ich nicht mehr, stattdessen stand als Suchergebnis „Pino del Gatto“, der neue Name des Accounts. Und – Überraschung – in meinem eigenen X-Profil fand ich eine Nachricht vom 24. März, die ich bisher übersehen hatte: eine Antwort auf unseren Artikel über die Fake-Todesmeldungen.
Wir schrieben uns kurz hin und her, und ich bat ihn um ein kurzes Interview. Debenedetti erklärte sich bereit, einige Fragen schriftlich zu beantworten.
Warum erklären Sie prominente Menschen, meist aus dem Kunst- und Kulturbereich, für tot?
Tommaso Debenedetti
Um wieder einmal zu zeigen, wie einfach es ist, Fake News zu verbreiten, denn viele Journalisten nutzen soziale Medien wie eine Presseagentur. Aber soziale Medien sind keine verlässliche Informationsquelle, sondern eine Quelle für Fake News!
Hat es Sie überrascht, dass so viele Medien Ihren Tweet über den Tod von Elfriede Jelinek ungeprüft veröffentlicht haben?
Debenedetti
Ich war mir fast sicher, dass niemand die Nachricht von Elfriede Jelineks Tod glauben würde. Aus zwei Gründen. Weil ich bereits im Sommer 2024 ihren Tod mit einem Fake-Account X verkündet hatte. Und weil ich seit Monaten immer wieder den Tod eines deutschen oder österreichischen Autors verkündet hatte.
Handelt es sich dabei um einen „Spaß“, indem Sie Medien überprüfen, um zu sehen, wie sie arbeiten? Oder steckt da mehr dahinter?
Debenedetti
Ich mache das, um zu sehen, wie unvorbereitet Zeitungen, Radiosender und Websites auf Fake News sind. Und leider muss ich feststellen, dass sich die Situation seit meinen Anfängen im Jahr 2011 nicht wesentlich verändert hat.
Finden Sie das nicht ein bisschen pietätlos? Manche Menschen, die Sie für tot erklärt haben – etwa Papst Franziskus im März – sind oder waren wirklich in einer schlechten körperlichen Verfassung.
Debenedetti
Pietätlos? Wahrscheinlich schon, aber das ist meine „Arbeit“.
Juristen sagen, dass Sie mit dieser Vorgehensweise Identitätsdiebstahl begehen und die Betroffenen Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche geltend machen könnten. Fürchten Sie keine rechtlichen Konsequenzen?
Debenedetti
Nein. Denn jedes Mal, wenn ich auf dem gefälschten Konto schreibe, dass die Nachrichten nicht wahr sind, wird die Situation aufgeklärt und dass das Konto ein Schwindel ist. Ich glaube nicht, dass dies zu rechtlichen Problemen führen kann.
Wurden Sie jemals verklagt deshalb? Und wie lange werden Sie damit weitermachen?
Debenedetti
Ich bin bislang nicht verklagt worden und werde so lange weitermachen, wie die Presse an meine Fake News glaubt.
Wen werden Sie als Nächstes für tot erklären?
Debenedetti
Sicherlich keinen österreichischen oder deutschen Autor. Vielleicht einen ehemaligen Premierminister in Skandinavien.
Wie aber nun auf Nummer sicher gehen, dass ich hier nicht selbst auf einen Hoax hereinfalle? Schließlich könnte sich jede und jeder einen Gratis-E-Mail-Account anlegen und sich als Debenedetti ausgeben. Der italienische Journalist hat mir seine Identität via abfotografierten Ausweis bestätigt.
Zur Person
Tommaso Debenedetti, 56, wurde 1969 in Rom geboren. Er interessiert sich für Literatur; sein Vater war Journalist und Schriftsteller. In den frühen 2000er-Jahren begann er laut ORF-defacto Recherchen, Interviews zu fälschen – bis er aufflog. Seit 2011 verbreitet er über Fake-Accounts gezielt Falschmeldungen über den Tod prominenter Persönlichkeiten. Damit will er das Geschäftsmodell klickgetriebener Medienplattformen kritisch hinterfragen.