„1914 wird ein schönes Jahr sein”

Erster Weltkrieg: „1914 wird ein schönes Jahr sein”

100 Jahre Erster Weltkrieg. Der Countdown zum Krieg: 1. bis 12. Jänner 1914

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Friedrich Funder war zuversichtlich: "1914 wird für Österreich ein schönes Jahr sein“, schrieb der Chefredakteur der christlichsozialen "Reichspost“ in seinem Leitartikel zur Jahreswende. Dies freilich nur dann "wenn all jene ausbauenden, entsagend-heroischen Kräfte gesteigert wirken“. In wenigen Monaten wird Funder zu jenen zählen, die den Krieg heißen Herzens herbeischreiben.

Die Monarchie und die Welt der Bürger sind zu Beginn des Jahres 1914 noch heil. Am Neujahrstag berichtet die "Reichspost“ auf Seite sechs über die Bildung eines Bürgerkomitees zur Errichtung eines Denkmals für Kaiser Josef II. im Wiener Prater. Man denke zwecks Spendensammlung auch an "die Gründung eines großen Jungdamenkomitees, das während das Faschings in Aktion treten wird“.

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Am Sonntag, den 4. Jänner, nimmt sich der 21-jährige Privatbeamte Alexander H. ein Zimmer in einem Hotel auf der Taborstraße in Wien-Leopoldstadt, obwohl er ohnehin gleich um die Ecke, in der Großen Pfarrgasse, wohnt. In der Nacht schluckt er fünf Gramm Brom. Er stirbt im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder. "Die Ursache der Tat ist Beschäftigungslosigkeit“, berichtet die "Arbeiter Zeitung“.

In derselben Nacht überfallen zwei Burschen mit gezücktem Messer in der Hörlgasse am Wiener Alsergrund ein Pferdefuhrwerk. Die "Strolche“ ("Arbeiter Zeitung“) erbeuten den Hut des Kutschers, zwei Pferdedecken und 36 Kronen.

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Nach einer zur Jahreswende veröffentlichten Statistik starben in den Jahren 1912/13 mehr als 80.000 Menschen am Balkan an der Cholera. Dort hatten zuerst Serben, Bulgaren, Rumänen, Griechen und Montenegriner gegen die Türkei gekämpft und diese vom Balkan verdrängt. Danach gerieten einander die Verbündeten beim Teilen der Beute in die Haare. Die Folge war ein zweiter Balkankrieg innerhalb weniger Monate.

Am 7. Jänner berichtet die "Neue Freie Presse“ über die Fertigstellung eines Schlachtschiffes für die Türkei aus einer Werft in Massachusetts. Fast zur selben Zeit läuft ein von Griechenland geordertes Kriegsschiff bei der "New York Shipbuilding Company“ vom Stapel. "Es könnte sich der interessante Fall ergeben, dass zwei frisch gekaufte Schlachtschiffe rivalisierender Staaten gemeinsam die Straße von Gibraltar passieren“, schreibt die "Neue Freie Presse“.

In Budapest tauchen Gerüchte über einen rumänisch-serbischen Geheimvertrag gegen Österreich-Ungarn auf. Rumänien befindet sich wegen der mehrheitlich von Rumänen bewohnten, aber von der Donaumonarchie regierten Gebiete Siebenbürgen, Bukowina und Banat in Konflikt mit Wien und Budapest. Tatsächlich wird Rumänien im Juni 1916 an der Seite der Entente in den Krieg gegen Deutschland und Österreich-Ungarn eintreten, das Engagement wird in einer Katastrophe enden: Fast die gesamte rumänische Armee wird aufgerieben. Im Frieden von Trianon erhält Rumänien 1920 dennoch die umkämpften Gebiete.

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Der Parteitag der Wiener Christlichsozialen droht der vom Kaiser eingesetzten Regierung, im Reichsrat nicht dem Lokalbahngesetz zuzustimmen, wenn die Regierung nicht den Bau einer Untergrundbahn in Wien unterstützt.

Die schrecklichen Folgen der Masturbation sind allgegenwärtig. In einem Inserat wendet sich "Dr. Rumlers Heilanstalt, Genf“ mit einer "lichtvollen und aufklärenden Schrift eines Nervenarztes“ an die Opfer, also "alle Männer, die infolge schlechter Jugendgewohnheiten, Ausschreitungen u. dgl. an dem Schwinden ihrer besten Kraft zu leiden haben“.

"Die neue Zeitung“, ein beliebtes Wiener Boulevardblatt, berichtet in Wort und Bild über einen Spaziergang der fünfjährigen Prinzessin der Niederlande, Juliana. Das Mädchen wird dereinst den Thron erben, denn, so das Blatt: "Die Ehe der Königin Wilhelmina mit Herzog Heinrich zu Mecklenburg hat nicht die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt“ - nämlich einen Thronfolger zu produzieren. Juliana wird von 1948 bis 1980 Königin der Niederlande sein und 2004 im Alter von 95 Jahren sterben.

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In Schloss Hetzendorf wird Erzherzogin Zita von einem Mädchen entbunden. Die "Reichspost“ jubelt: "Sie hat nun zu ihrem 13 Monate alten Söhnchen Otto noch ein Mädchen erhalten und derart jenes Glück gefunden, das in allen Familien, den höchsten und den niedrigsten, am heißesten ersehnt wird.“

Tatsächlich? Die "Arbeiter Zeitung“ berichtet am selben Tag: "Gestern Mittag gebar in einem Wagen der elektrischen Straßenbahn, als der Wagen von der Alserstraße in die Lange Gasse einbog, eine Frau ein Kind. Der Wagen war leer und so konnte die Frau ihn unbemerkt verlassen, während das neugeborene Kind auf dem Boden liegen blieb.“

Noch 29 Wochen bis zum Krieg.

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