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Es ist furchtbar, aber nicht alles

Warum die gereizten Islam-Debatten auch ein gutes Zeichen sind und populistische Politik uns allen schadet.

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Ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist: Wir bemühen uns neuerdings, der Nachrichtenlage auch ein paar freundliche, heitere, mitunter sogar zuversichtliche Seiten abzutrotzen. Dass das nicht immer leicht ist, liegt in der Natur der Ereignisse. Dafür bräuchten wir noch gar nicht eine Pandemie. Diese Woche aber gelang unserem Artdirektor Erich Schillinger das Kunststück, ein an sich bleischweres Thema wie Long Covid am Titelblatt mit einer fröhlichen Note zu versehen: Virus folgt auf Virus folgt auf Virus. Am Ende aber lacht ein roter „Smiley“.

Nett, oder? Und die mitschwingende Botschaft ist nicht einmal übertrieben, denn meist verschwinden selbst die hartnäckigsten Folgen einer Corona-Erkrankung irgendwann wieder. Nur Geduld!

Dass die ÖVP ihr Verhältnis zu den Muslimen im Land grundsätzlich überdenkt, ist auf absehbare Zeit hingegen nicht zu erwarten. Das zeigte sich einmal mehr angesichts einer Islam-Landkarte, die eigentlich ein alter Hut ist, aber kürzlich als neue Errungenschaft der Dokumentationsstelle Politischer Islam präsentiert wurde. 600 muslimische Vereine werden hier angeführt und dürfen sich mitgemeint fühlen, wenn es um den religiös begründeten Extremismus geht, den zu beobachten Sinn und Zweck der erwähnten staatlichen Stelle ist. Die Aufregung war groß. Inzwischen ist die Islam-Landkarte offline, zumindest vorübergehend. Man darf davon ausgehen, dass sie bei nächster, passender Gelegenheit erneut aus dem Hut gezaubert wird. Ginge es der Regierung und der mit Integration befassten Ministerin Susanne Raab (ÖVP) um sicherheitspolitische Anliegen oder gar um den gesellschaftlichen Zusammenhalt, hätte man sich diese Vor- und Zurück-Aktion lieber gespart. Aber natürlich ging es dabei weder um das eine noch um das andere, wie Clemens Neuhold im aktuellen profil beschreibt.

Konflikte gehören dazu

Wie aber kommt das alles in der Praxis an, bei den Betroffenen, in den Islam-Vereinen? Eva Grabherr ist Integrationsexpertin in Vorarlberg und – „im Unterschied zu Spitzenpolitikern fast täglich mit Moscheen in Kontakt“, wie sie im profil-Interview sagt. Ihre Linie ist klar: Vereine und Gebetshäuser müssen sich beobachten und kritisieren lassen; die Islam-Landkarte aber lehnt sie genauso ab, wie eine populistische Politik auf Bundesebene. „Wenn man Muslime instrumentalisiert, um Bevölkerungsgruppen, die Ressentiments haben und eine starke Hand wollen, als Wähler zu binden, verlieren wir hier Menschen. Das wird uns allen auf den Kopf fallen“, warnt sie. Und das klingt natürlich auch wieder einigermaßen düster. Wenn man aber genau liest, versteckt sich zwischen ihren Zeilen auch ein wenig Zuversicht. Konflikte gehören zur „Beheimatung“ einer neuen, religiösen Gemeinschaft schlicht dazu, sagt die Integrationsexpertin.

Sind die gereizten Debatten letztlich ein gutes Zeichen dafür, dass sich Gastarbeiter und Ausländer einleben? „Auf jeden Fall auch das“ (Grabherr). Übrigens: Diese Einsicht ist ein noch älterer Hut als die Islam-Landkarte und findet sich in dem Soziologie-Klassiker „Etablierte und Außenseiter“ von Norbert Elias wunderbar beschrieben. Ich möchte Ihnen dieses 1965 erschienene Buch ans Herz legen, weil es – anders als die meisten Soziologie-Klassiker – gut lesbar ist und weil es helfen könnte, die Aufregungen der Gegenwart eine Spur gelassener zu nehmen.

Herzlich, Ihre Edith Meinhart

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Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges