EU-Beitritt stand auf der Kippe

25 Jahre Ende der Beitrittsverhandlungen: Als Österreichs Verhandler in Brüssel mit der Heimreise drohten.

Drucken

Schriftgröße

Österreichs Verhandler drohten vor 25 Jahren in Brüssel mehrfach mit Abbruch und Heimreise. Erst nach turbulenten drei Tage dauernden Marathonverhandlungen war am 1. März 1994 der Weg Österreichs in die EU frei. Bei einem „Zeitzeugengespräch“ des „Bürgerforum Europa“ und des „Vereins zur Dokumentation der Zeitgeschichte“ wurde am Mittwoch Abend in der „Raiffeisen Bank International“ über den Abschluss der Beitrittsverhandlungen Österreichs mit der EU vor genau 25 Jahren diskutiert.

Franz Fischler, damals Landwirtschaftsminister, berichtete über die plötzliche Kehrtwende der EU, die Agrarpreise in Österreich sofort auf das niedrigere EU-Niveau zu senken. „Jetzt sind bei uns die Ayatollahs am Werk, sagte mir ein hoher Beamter der EU-Kommission und gab mir den Rat: „Reißt denen soviel Geld wie möglich heraus“, so der spätere EU-Kommissar. „Wir stellten fest, dass wir zwei Jahre lang umsonst über eine Übergangsfrist verhandelt hatten“.

Da Österreich die hohen EU-Direktförderungen an die eigenen Bauern ko-finanzieren musste, stellte der damalige Finanzminister Ferdinand Lacina (SPÖ) Budgetmittel zur Verfügung. „Die sofortige Übernahme des EU-Modells stellte sich als besser für Österreich heraus, weil sonst eine längere Versteinerung der Agrarstrukturen die Folge gewesen wäre.“ Zuvor hatte der damalige Präsident der Landwirtschaftskammer, Rudolf Schwarzböck, aus Protest seine Abreise aus Brüssel angedroht. Lacina durchkreuzte diesen Plan energisch und lautstark: „Ich habe ihn angeschrien: Entweder fahren alle heim, oder alle bleiben da“, so der SPÖ-Politiker heute.

Ähnlich agierte der damalige Vize-Kanzler Erhard Busek auf die Ankündigung von Außenminister Alois Mock, die Verhandlungen abzubrechen, als die EU beim Transitvertrag für Lkw und beim Agrarkapitel nicht nachgeben wollte. „Ich erteilte ihm die Weisung, in Brüssel zu bleiben, weil ich auf seine Loyalität als Beamter setzte“, so Busek.

"Österreich ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems"

Einig waren sich alle Zeitzeugen darin, dass der EU-Beitritt für Österreich überwiegend Vorteile brachte: Exporte und Auslandsinvestitionen stiegen deutlich. „Österreich erfuhr eine Modernisierung, die wir alleine nicht geschafft hätten“, so Lacina. „Leider gibt es jetzt deutliche Auflösungstendenzen der EU, vor allem durch eine steigende Nationalisierung.“ Die EU habe in der Finanzkrise und zuletzt beim Flüchtlingsproblem zu zögerlich agiert. „Ich bin enttäuscht über den Egoismus von Deutschland und anderen EU-Ländern beim Umgang mit südlichen Mitgliedsstaaten in der Finanzkrise. Das waren schwere Sünden an der europäischen Idee“. (Lacina)

Die EU habe die Formulierung einer gemeinsamen Industriepolitik versäumt. Es gehe nicht an, dass Brüssel oft vor der Gefahr durch China warne, aber dann zulasse, dass China den strategisch wichtigen griechischen Hafen von Piräus kaufen konnte.

Österreich habe sich für die soziale Dimension in der EU zu wenig eingesetzt: „Österreich ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems“, kritisierte Lacina. „Ich bin nicht sicher, ob Österreich in Zukunft einem Kerneuropa angehören wird. Das liegt auch daran, dass die FPÖ im Europaparlament in einer Fraktion, die Europa zerstören will, sitzt.“

Erhard Busek vermisste einen „Diskurs über Europa, bei dem wir klären, welche Rolle Österreich in der EU spielen soll.“ Es fehle auch ein Dialog der Regierung mit den Bürgern über europäische Themen.

Fischler kritisiert eine wachsende Kluft in der EU bei der Einkommensverteilung. „Leider haben die EU-Politiker zugeschaut, wie die Ungleichheit in Europa wieder gewachsen ist. Aber es gibt keine stabile Demokratie ohne soziales Gleichgewicht.“