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Krise. Die Europäische Zentralbank als einzige handlungsfähige Institution Europas

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Ein "willfähriger Handlanger der Politik“ sei er, der die "Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank aufs Spiel setze“ und sie zur "größten Bad Bank Europas“ mache.

Die letzten Monate seiner Amtszeit wäre EZB-Präsident Jean-Claude Trichet gerne ruhig angegangen. Stattdessen wurde er nun zum Buhmann.

Was war geschehen?
In der Meinung, genug getan zu haben, um die Märkte zu beruhigen, verabschiedete sich die europäische Führungsriege nach dem EU-Sondergipfel am 21. Juli in die Sommerferien. Ein Irrtum, wie sich nur kurze Zeit später herausstellen sollte. Anfang August wurden Italien und Spanien Opfer massiver Spekulantenangriffe, welche die Zinsen für Staatsanleihen der beiden Länder auf Rekordwerte steigen ließen. Sie näherten sich bedrohlich schnell der kritischen Grenze von sieben Prozent, bei der in der Vergangenheit - Irland, Griechenland und Portugal - der Ruf nach dem Rettungsschirm ertönte. Ab diesem Zeitpunkt wurden die betroffenen Länder von den Kapitalmärkten ausgeschlossen.

Die am Gipfel beschlossenen Maßnahmen konnten freilich keine Hilfe bieten, denn der erweiterte Rettungsfonds EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität) wurde von den nationalen Parlamenten nicht ratifiziert und ist auch nicht für Schwergewichte wie Italien und Spanien konzipiert.

Seit Monaten wird Europa nicht von seinen Parlamenten, sondern von den Finanzmärkten regiert. Die Politik sieht hilflos zu, wie ein EU-Land nach dem anderen schwer in die Bredouille gerät. Das immer gleiche Muster: so wenig wie möglich und das so spät wie möglich tun. Mit ihren Entscheidungen und Beschlüssen hinkt die Politik den Realitäten hinterher.

De facto gab es in der aktuellen Situation nur eine einzige handlungsfähige Institution: die EZB. Sie reagierte überraschend schnell und übernahm das Ruder. In einer hektisch einberufenen Telefonkonferenz beorderte Trichet seine Direktoren und Ratsmitglieder von ihren Urlaubsdomizilen zurück. Die Leitungen glühten, nach einigen Stunden heißer Debatten rangen sich die Notenbanker zur Entscheidung durch, spanische und italienische Staatsanleihen aufzukaufen, um deren Kurs zu stützen.

Schon beim Start des Securities Markets Programme (SMP) - Anlass war die Griechenland-Krise im Mai 2010 -, in dessen Rahmen die EZB Staatsanleihen krisengebeutelter Länder auf dem Sekundärmarkt aufkaufen kann, sprachen Kritiker von einem "unverzeihlichen Sündenfall“. Auch EZB-intern ist die neue Initiative höchst umstritten. Besonders Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank, hatte sich bis zuletzt vehement gegen die Ankäufe ausgesprochen.

Trichet setzte sich durch und sprang mit dieser Entscheidung über seinen eigenen Schatten. Schließlich ist die EZB laut Statuten für die Preisstabilität im Euroraum zuständig. Die Finanzierung von Staatsdefiziten gehört nicht zu ihren Aufgaben. "Außerordentliche Situationen verlangen unkonventionelle Maßnahmen“, meint Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister. "Dieser Schritt der EZB ist sehr zu respektieren.“

Mehr als das:
Tatsächlich war er der einzig richtige und mögliche. Denn Alternativen haben auch die schärfsten Kritiker nicht zur Hand. Hätte die EZB nicht interveniert, wären die Zinsen für italienische und spanische Staatsanleihen immer weiter gestiegen, die Staaten hätten ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen können. Es ist evident, dass der bestehende Schutzschirm kaum Spanien retten könnte. Und Italien, als Europas drittgrößte Volkswirtschaft und mit einem Schuldenstand von 1,8 Billionen Euro, findet unter keinem noch so hoch dotierten Rettungsschirm Platz. Fällt Italien, fällt die gesamte Eurozone.

Um das zu verhindern, blätterten die Währungshüter in den vergangenen Tagen 22 Milliarden Euro auf den Tisch. Insgesamt hat sich die EZB seit dem Start des Aufkaufprogramms Staatsanleihen in Höhe von insgesamt 96 Milliarden Euro in die Bücher geholt. Der Erfolg der jüngsten Aktion gibt der EZB Recht, das müssen auch ihre Kritiker eingestehen: Die Renditen für zehnjährige italienische und spanische Staatsanleihen sanken von über sechs auf unter fünf Prozent.

Mit ihrer Intervention für Italien und Spanien hat die EZB gezeigt, dass es möglich ist, Euroländer vor spekulativen Angriffen in Schutz zu nehmen. Da klingt der Gedanke, das Securities Markets Programme zu einer permanenten Einrichtung zu machen, verlockend. Mit der Zentralbank als größter Gläubigerin der europäischen Schuldenstaaten könnte sich die Eurozone mit einem Schlag einiger ihrer Probleme entledigen: Die Staatshaushalte wären nicht länger den Turbulenzen auf den Finanzmärkten ausgesetzt, die Bewertungen der Ratingagenturen hätten deutlich weniger Gewicht, und die Krisenstaaten müssten weitaus geringere Zinsen für ihre Schulden zahlen.

"Das SMP ist ein sinnvolles und wirksames Instrument, aber keine dauerhafte Einrichtung“, betont der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank, Ewald Nowotny. Noch nicht. Denn bis die Parlamente die Neuerungen im EFSF ratifiziert haben, muss die EZB im Spiel bleiben und wird, wenn es die Entwicklung auf den Märkten verlangt, strauchelnde Staaten auch weiterhin mit Anleihenkäufen stützen. Und das könnte nun deutlich länger der Fall sein als bislang angenommen. "Ich fürchte, dass der avisierte Termin Ende Oktober nicht halten wird“, so der Notenbanker.

Die US-Notenbank Fed fährt ebendiesen Kurs - und zumindest mit Angriffen von Spekulanten auf ihre Währung haben die Amerikaner kein Problem. In Europa scheint eine solche Vorgehensweise dennoch undenkbar. "Die EZB als Zentralbank für 17 unabhängige Staaten hat ein völlig anderes Selbstbild als die US-Notenbank“, sagt Stephan Schulmeister. Dass die Interessen der Einzelstaaten kaum unter einen Hut zu bringen sind, zeigt sich schließlich bei jeder Gelegenheit. "Ein Umdenken müsste auf politischer Ebene stattfinden. Das ist freilich ein mühsamer und oft zu langwieriger Prozess“, meint Ewald Nowotny.

Die EZB verfügt über viel Munition, um Spekulationen zu verhindern. Das Geld kann ihr zumindest definitionsgemäß niemals ausgehen, denn das produziert sie ja selbst, und zwar zum Nulltarif. Es geht also darum, den Marktteilnehmern klarzumachen, dass sie ihre Macht tatsächlich einsetzen wird, um den Spekulanten Einhalt zu gebieten.

Frei von Risiken ist ein solcher Kurs dennoch nicht. Vor allem droht hier Inflation. Derzeit wird das im Rahmen des SMP in den Markt geschleuste Geld an anderer Stelle entzogen. Es kommt somit zu keiner Ausweitung der Geldmenge, wie Nowotny beteuert. Doch wäre die Notenbank gezwungen, immer größere Teile der Staatsschulden aufzukaufen, ließen sich diese Liquiditätsinfusionen nicht mehr so leicht sterilisieren. Angesichts der gegenwärtigen Extremsituation muss freilich auch ein Anziehen der Inflation akzeptabel sein.

Käme es allerdings tatsächlich zu einer Staatspleite, müsste die EZB die Ramschanleihen als Verlust verbuchen und gegen ihre Gewinne verrechnen. Unter dem Strich könnte dann ein Minus stehen. Dann müsste mit dem Grundkapital der EZB gegengerechnet werden. Das liegt bei 10,76 Milliarden Euro. Angesichts des Gesamtvolumens der Anleihenkäufe ist das ein mickriger Betrag. Sollte er nicht reichen, müssten die nationalen Notenbanken als Eigentümer die EZB nach einem bestimmten Schlüssel rekapitalisieren, was letztlich zulasten der nationalen Budgets, also im Endeffekt auf Kosten der Steuerzahler, gehen würde. Pleitegehen kann die Notenbank praktisch nicht. Rein technisch kann sie Verluste in die Zukunft verschieben, also wie Geschäftsbanken auch über Jahre Gewinne gegen Verlustvorträge rechnen.

Fazit:
Die Anleihenkäufe durch die EZB sind ein wichtiger Schritt, um den Spekulationsattacken auf die Krisenländer Einhalt zu gebieten und ihnen so Zeit zu verschaffen, ihre grundlegenden ökonomischen Probleme in den Griff zu bekommen.