"Das Leid bekommt ein Gesicht"

Fall Aliyev: Hat das kasachische Regime versucht, das Verfahren in Österreich zu beeinflussen?

Fall Aliyev. Hat das kasachische Regime versucht, das Verfahren in Österreich zu beeinflussen

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Erste Frage: Wessen Interessen vertritt der Wiener Rechtsanwalt Gabriel Lansky im Fall des unter Mord- und Entführungsverdacht stehenden früheren kasachischen Diplomaten Rakhat Shoraz, vormals Aliyev?
Zweite Frage: Hat das kasachische Regime versucht, Druck auf das heimische Rechtssystem auszuüben, um ein anhängiges Strafverfahren in die richtigen Bahnen zu lenken?

Seit 2012 suchen Beamte des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) im Auftrag der Staatsanwaltschaft Wien nach Antworten. Gegen Lansky und zumindest zwei weitere Personen wird wegen des Verdachts „geheimer nachrichtendienstlicher Tätigkeit zum Nachteil Österreichs“ ermittelt (profil berichtete ausführlich).

Längst überlagert dieser vermeintliche Nebenschauplatz die Ermittlungen gegen Rakhat Shoraz. Der bald 52-jährige Kasache (einst Geheimdienstoffizier, Botschafter seines Landes und Schwiegersohn von Staatspräsident Nursultan Nasarbajew) soll 2007 zwei unbequem gewordene Geschäftspartner entführen und ermorden haben lassen. Und sich obendrein mit Hunderten Millionen Dollar Staatsvermögen abgesetzt haben. Erst nach Österreich, dann nach Malta. Seit Juni dieses Jahres sitzt Shoraz in Wien in Untersuchungshaft. In seiner Heimat wurde er bereits zu 40 Jahren Haft verurteilt. Österreich hat die von Kasachstan begehrte Auslieferung zwischen 2007 und 2011 unter Verweis auf die Menschenrechtssituation ebendort zwei Mal verweigert. Und wird Shoraz nach nicht ganz einfachen Ermittlungen demnächst in Wien vor Gericht stellen.

Und da kommt Anwalt Lansky ins Spiel.

Offiziell vertritt der renommierte Advokat und ausgewiesene Menschenrechtsexperte seit Juli 2009 den kasachischen Fonds „Tagdyr“, hinter welchem die Witwen der mutmaßlich von Shoraz und Komplizen ermordeten Banker stehen. „Tagdyr“ versteht sich als „Opferverein“, der „kasachische Staatsbürger vor Übergriffen durch die Staatsmacht und die organisierte Kriminalität“ schützen und die „Aufklärung des Kriminalfalls Aliyev“ vorantreiben will. Tatsächlich mehren sich aber die Hinweise, dass hinter „Tagdyr“ eben jene kasachische „Staatsmacht“ steht, die zwei Ziele verfolgt: a) die Rückholung Aliyevs in die Heimat oder b) dessen Verurteilung in Österreich. Und dies unter Einsatz beträchtlicher Summen.

Nach profil-Recherchen verrechnete die Kanzlei LGP dem Opferverein zwischen 2009 und 2012 in Summe über 14 Millionen Euro. Woher das Geld kam? Staatsanwaltschaft und Oberlandesgericht Wien gehen davon aus, dass „Tagdyr“ eine „Tarnorganisation des kasachischen Geheimdienstes“ sei – welcher wiederum direkt Nasarbajew untersteht. Lansky bestreitet das mit aller Vehemenz. Er will zu keinem Zeitpunkt für den Staat Kasachstan oder den KNB tätig gewesen sein. Vielmehr würde „Tagdyr“ von wohlhabenden kasachischen Privatpersonen gespeist. Punkt.

profil liegt nun ein umfangreiches Dossier vor, das die Wiener Anwaltskanzlei PHH – die Aliyev zusammen mit anderen Anwälten vertritt – der Staatsanwaltschaft Wien vor wenigen Tagen übermittelte. Die darin geschilderten Vorgänge rücken den Fall in ein zunehmend diffuses Licht. Da ist etwa von „unumwunden dargelegten geplanten und wohl auch zumindest versuchten Angriffen auf das österreichische Rechtssystem“ die Rede. Und davon, dass „dem Beschuldigten Lansky und seinen Mittätern schon bei bzw. vor Beginn ihrer Handlungen klar war, dass sie nicht für einen ,Opferverein’, sondern im Geheimen für den kasachischen Staat tätig sind bzw. sein sollen“.

Untermauert wird dies durch Datenträger und Dokumente, welche den Aliyev-Anwälten nach eigener Darstellung „zugespielt“ worden sein sollen. Demnach hätte das kasachische Regime im Frühjahr 2009, also wenige Wochen, bevor „Tagdyr“ in Erscheinung treten sollte, direkte Verhandlungen mit Lansky geführt. Mehr noch: Lansky entwickelte für die Kasachen (und nicht etwa den Opferverein) damals eine „Gesamtstrategie“, die nur darauf abgestellt war, Aliyevs habhaft zu werden – oder zumindest dessen Verurteilung in Österreich zu erwirken.

Im Kern geht es um ein Schreiben an die kasachische Botschaft in Wien, das am 15. Mai 2009 in der Kanzlei LGP aufgesetzt wurde. Für ein monatliches Salär von 400.000 Euro, exklusive Spesen, bot die Lansky ein „Optimiertes Gesamtpaket“ an, konkret: „Rechtsberatung sowie politisches und rechtliches Lobbying sowie Litigation PR“. „Mit der Beauftragung des Gesamtpakets garantieren wir Ihnen, die Vornahme sämtlicher notwendiger und zulässiger Mittel, um die gewünschten Ergebnisse, nämlich entweder die Auslieferung des Aliyev oder seine strafrechtliche Verfolgung in Österreich zu erreichen“, versprach Lansky.

Und weiter: „Bei einem optimalen Zusammenwirken aller Beteiligten und mit Unterstützung durch die Republik Kasachstan besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass eines der Ziele Kasachstans vollständig oder teilweise umgesetzt werden kann.“

Erste Frage also: Wessen Interessen vertritt Gabriel Lansky wirklich?
Im Mai 2009 war es jedenfalls noch nicht „Tagdyr“. Das Schreiben an die Botschaft war die unmittelbare Konsequenz eines Meetings tags zuvor.
Am 14. Mai 2009 fanden sich Vertreter des kasachischen Regimes in der Kanzlei Lanskys ein, um dort eine Präsentation – Titel: „Projekt Aliyev“ – zu gewärtigen. Auf 44 Din-A4-Folien legte der Anwalt anschaulich dar, wie ein rechtsstaatliches Verfahren in Österreich bestmöglich „begleitet“ und die öffentliche Meinung „beeinflusst“ werden können.

Im Kapitel „Weitere Vorgehensweise/Medien und Lobbying“ heißt es unter anderem: „Beeinflussung der Öffentlichkeit durch die Medien: positive Berichterstattung über Kasachstan; starker medialer Druck beim Forcieren des anhängigen Strafverfahrens; Druck auf das österreichische politische System“. Vor allem: „Lobbying Target – Justizminister C. Bandion-Ortner und die andere Akteure“. Die Präsentation führt in weiterer Folge die Namen mehrerer teils noch aktiver Repräsentanten des Justizapparats auf, „mit welchen zu arbeiten“ sei. Darunter ein damals für den Fall Aliyev zuständiger Staatsanwalt, ein Oberstaatsanwalt, ein Beamter des Justizressorts, ein Richter am Landesgericht für Strafsachen Wien und die damalige Justizministerin Claudia Bandion-Ortner.

Zum besseren Verständnis: 2009 lag der österreichischen Justiz ein zweiter Auslieferungsantrag der Kasachen vor, nachdem ein erster 2007 gescheitert war (auch dieser zweite Antrag sollte 2011 abgelehnt werden). Es gibt zwar kein Indiz dafür, dass Lansky oder dessen Emissäre in weiterer Folge tatsächlich versuchten, Vertreter des Justizapparats für die Ziele Kasachstans zu vereinnahmen. Das gilt insbesondere für die frühere Justizministerin Bandion-Ortner (eine profil-Anfrage blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet). Vielmehr ist davon auszugehen, dass die von Lansky ins Auge gefassten Personen ohne deren Zutun und Wissen auf die Liste kamen.

Und doch: Das Dossier enthält eine Reihe von Vorschlägen, wie auf das System eingewirkt werden könnte. Da ist etwa die Rede von der „energischen Weiterbegleitung des anhängigen Auslieferungsverfahrens“, respektive vom „energischen Führen des Aktes“, vom „Forcieren des anhängigen Strafverfahrens in Österreich gegen Aliyev“, von „politischem und medialem Druck“ und: „Zeugentraining“.

Der Anwalt erweckte also gegenüber Vertretern eines autokratischen Systems den Eindruck, als könne Kasachstan sich mit den richtigen Beziehungen ein hoheitliches Verfahren in Österreich erkaufen. Das ist bedenklich.

Da passt es nur zu gut ins Bild, dass auch die Wahrnehmung Kasachstans in der österreichischen Öffentlichkeit einer Korrektur bedurfte. Oder andersrum: Rakhat Shoraz, für den bis zu einer allfälligen rechtskräftigen Verurteilung immer noch die Unschuldsvermutung gilt, sollte gezielt diskreditiert werden. Im Kapitel „PR-Strategie“ heißt es dazu: „Darstellung der schamlosen Ausnutzung der Vorurteile der österreichischen Behörden gegenüber Kasachstan durch Aliyev und seine Verteidiger“; „Entlarvung Aliyevs als Tatverdächtiger“; „Penible Überprüfung sämtlicher Aussagen Aliyevs auf Lügen und Halbwahrheiten“; „Erschütterung der Glaubwürdigkeit“.

Dass das Regime Nasarbajew bis heute ein eher unentspanntes Verhältnis zu Menschenrechten pflegt, schien den Menschenrechtsexperten Lansky eher wenig zu bekümmern. Laut seiner „PR-Strategie“ sollten „Vorurteile gegenüber Kasachstan sukzessive“ widerlegt werden, denn: „Kasachstan ist ein Rechtsstaat“. Dass in kasachischen Gefängnissen gefoltert werde, kam an diesem 14. Mai 2009 ebenfalls zur Sprache. Lanskys „Antithesen“: „Pauschalurteil – positive Gutachten, Lobbying, Pressearbeit“. Wie überhaupt die Öffentlichkeitsarbeit breiten Raum einnahm. An anderer Stelle wird wie selbstverständlich vorausgesetzt, dass die Öffentlichkeit „leicht über Medien beeinflussbar“ sei und das „Image Kasachstans positiv aufgebaut“ werden könne.

profil hat Gabriel Lansky vergangene Woche um Stellungnahme ersucht. Er ließ den umfangreichen Fragenkatalog unbeantwortet. Und beließ es bei der Feststellung: „Weder die Republik Kasachstan noch deren Botschaft wurden oder werden im Zusammenhang mit Rakhat Aliyev in Österreich von LGP vertreten. LGP hat daher auch keine Präsentationen, Konzepte oder sonstige Maßnahmen für die Republik Kasachstan oder deren Botschaft umgesetzt.“

Tatsache ist: Rakhat Shoraz, vormals Aliyev, soll demnächst in Österreich vor Gericht gestellt werden. Womit zumindest eines der Ziele der kasachischen Seite erreicht worden wäre. Auch wenn seither fast sechs Jahre vergangen sind, über 14 Millionen Euro geflossen sind und Lansky keine der Lobbying-Maßnahmen – von zahlreichen Pressekonferenzen einmal abgesehen – umgesetzt haben will.

Tatsache ist aber auch, dass Lanskys Präsentation vom 14. Mai 2009 den späteren Auftraggeber „Tagdyr“ mit keinem Wort erwähnt – wiewohl der Verein zu diesem Zeitpunkt bereits existierte (Gründungsdatum: Dezember 2008). Genau genommen kommen die Angehörigen der mutmaßlichen Aliyev-Opfer darin nur am Rande vor. Im Kapitel „PR-Strategie“ wird ausgeführt: „Vermenschlichung des Falls“; „Auftritt der Angehörigen der (Anm. damals noch) Vermissten in den Medien“; „Das Leid bekommt ein Gesicht“.

Am 16. Juli 2009 schloss die Kanzlei Lansky schließlich den ersten von mehreren Mandats- und Rechtsberatungsverträgen mit „Tagdyr“. In diesen wird das kasachische Regime mit keinem Wort erwähnt. Womit Frage zwei beantwortet scheint: Die kasachische Politik hat die Finger nicht im Spiel.
Jedenfalls nicht offiziell.