Freiheitliche Corona-Politik: Blaues Bangen

Der oberösterreichische FPÖ-Chef Haimbuchner ist schwer an Covid erkrankt. An der blauen Corona-Politik ändert das nichts.

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Man mag es heute kaum glauben, aber der erste österreichische Spitzenpolitiker, der hierzulande einen harten Lockdown forderte, hieß weder Sebastian Kurz noch Rudolf Anschober, sondern Herbert Kickl: „Es ist notwendig, alles zu unternehmen, um einen Kollaps zu verhindern und die exponentielle Steigerung der Neuinfektionen zu durchbrechen“, formulierte es der FPÖ-Klubobmann am Vormittag des 13. März 2020. Er war damit der türkis-grünen Bundesregierung um einige Stunden voraus, die das Herunterfahren der Republik erst am Nachmittag desselben Tages ankündigte.

Ein Pandemiejahr später ist alles anders: Die FPÖ lehnt die Corona-Maßnahmen der Regierung kategorisch ab. Auch steigende Infektionszahlen und schrumpfende Intensivkapazitäten ändern daran wenig. Mitten in diese Frontstellung gerät nun der Erkrankungsfall eines freiheitlichen Spitzenpolitikers: Manfred Haimbuchner, Chef der mächtigen oberösterreichischen Landesgruppe, wurde am 11. März vor einer Landtagssitzung positiv auf Corona getestet. Nach zunächst nur leichten Symptomen begab er sich eine Woche später ins Linzer Kepler Universitätsklinikum. Sein Zustand verschlechterte sich; er musste künstlich beatmet werden und liegt auf der Intensivstation. Die Familie verhängte eine Informationssperre.

Haimbuchners Infektion ist nicht die einzige in der oberösterreichischen Landespartei: Auch Landesrat Günther Steinkellner, Klubdirektor Ferdinand Watschinger und Mandatarin Sabine Binder wurden positiv getestet, der zweite Landtagspräsident Adalbert Cramer muss sich einer Behandlung wegen Covid im Spital unterziehen. In der Partei herrscht deshalb die Annahme, dass die Ansteckung im Rahmen der Arbeit im Linzer Landtag erfolgte. Haben die Erkrankungen von FPÖ-Politikern Auswirkungen auf die Parteilinie? Die Tonalität der blauen Corona-Politik hatte sich zuletzt radikalisiert, vor allem seitens der Bundespartei: „Wir alle haben ein intaktes Immunsystem, und ein intaktes Immunsystem macht den Menschen stark gegen jede Art von Virus und all die Mutationen, die jetzt von irgendwoher neu entdeckt worden sind. Wir konnten schon immer auf unser Immunsystem zählen. Es wird von Tag zu Tag stärker und die Gegner schwächer“, tönte Herbert Kickl Anfang März auf einer Anti-Corona-Demo in Wien.

Mit Aussagen wie diesen fand Kickl nicht nur bei Maßnahmengegnern, sondern auch bei Corona-Leugnern und Verharmlosern offene Ohren. Spekulationen, dass der Fall Haimbuchner etwas an der Parteilinie ändern würde, trat Herbert Kickl offensiv entgegen: „Wenn ein FPÖ-Politiker mit dem Auto verunglückt, werde ich deshalb nicht das Autofahren verteufeln“, tönte der Klubobmann bei einer Pressekonferenz. Schwere Verläufe seien „im Einzelfall immer tragisch“, dennoch könne die Politik, „die für das Gesamte im Land verantwortlich ist“, nicht dazu übergehen, „das Kind mit dem Bade auszuschütten“. Die FPÖ würde Corona nicht verharmlosen oder leugnen, ist Kickl überzeugt.

Hinter den Kulissen sorgt Kickls Rhetorik in der Partei aber zunehmend für Irritationen. In der oberösterreichischen Landespartei will man seine Autounfall-Aussagen gleich gar nicht kommentieren. In den „Oberösterreichischen Nachrichten“ ortete der Welser Bürgermeister Andreas Rabl – der Haimbuchner derzeit vertritt –  jedenfalls kommunikativen „Gesprächsbedarf“. Inhaltlich solle es vorerst aber keine Änderungen an der Corona-Politik geben. „Das wäre auch nicht im Sinne vom Manfred“, sagt ein Vertrauter Haimbuchners.

Der oberösterreichischen FPÖ stehen heuer Landtagswahlen bevor. Für parteiinterne Kritik habe zuletzt auch das Verhalten von FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch gesorgt, erzählen Funktionäre. Belakowitsch hatte auf Facebook Fake News über Tausende Tote nach Impfungen geteilt. „Ich würde mir wünschen, dass wir uns auf die Maßnahmen der Regierung konzentrieren und keine medizinischen Debatten führen. Da können wir nur verlieren“, sagt ein Mitglied des Bundesparteivorstandes zu profil. Die Stoßrichtung der FPÖ ist derzeit klar: Die Regierung stifte mit unübersichtlichen Maßnahmen Verwirrung und Chaos. Gleichzeitig steckt die Haltung der Freiheitlichen voller Widersprüche: Man kampagnisiert gegen den „Impfzwang“, prangert aber Versäumnisse bei der Impfstoffbeschaffung an; man kritisiert die Toten in den Altersheimen, will die Senioren aber gleichzeitig nicht abschotten.

Im Rückblick auf das vergangene Pandemie-Jahr sei die strategische Rolle der FPÖ keine einfache gewesen, meint der FPÖ-nahe Historiker und Berater Lothar Höbelt. „Es gab zwei strategische Nachteile. Einerseits den Krisenmodus und nationalen Schulterschluss zu Beginn der Pandemie. Da haben in Europa durchwegs alle Regierungen an Zustimmung gewonnen. Auf der anderen Seite wurde das für die FPÖ wichtige Zuwandererthema in den Hintergrund gedrängt.“ Auch der blaue Kampf für Grund- und Freiheitsrechte funktionierte für Höbelt zunächst nur graduell, weil auch etliche freiheitliche Wähler beim Thema Gesundheit auf Nummer sicher gehen.

Im Wiener Wahlkampf versuchte es die Partei dann mit einer Corona-Variante des ewigen blauen Ausländerthemas: Spitzenkandidat Dominik Nepp polterte gegen „Asylantenvirus“ und „Asylheime als Corona-Hotspots“. Parteikenner Höbelt glaubt, dass auch die FPÖ – wenn sie in Regierungsverantwortung gewesen wäre – mehrere Lockdowns mitbeschlossen hätte. „Wir sehen das quer in Europa und über die Parteigrenzen hinweg“, so der Historiker, und verweist dabei etwa auf Maßnahmen im rechtskonservativen Ungarn oder Polen. Herbert Kickls Auftritte auf den Corona-Demos beurteilt der einstige Berater als bedingt zielführend. „Für Leute, die Aktivitäten schätzen, ist das vermutlich ein Angebot.“ Viele andere aber verschrecke man:„Grundsätzlich macht man sich mit Demonstrationen in der breiten Bevölkerung auf Dauer eher unbeliebt.“ Entscheidend sei laut Höbelt der Mittelstand. 

Pragmatischer als im Bund ist die Haltung der FPÖ derzeit in den Ländern. Die Ankündigung des jüngsten Bund-Länder-Gipfels, Maßnahmen künftig verstärkt regional zu setzen, hält man etwa in Kärnten für durchaus sinnvoll. „Wir haben eine regionale Vorgehensweise bei den Maßnahmen schon vor einem Jahr gefordert“, sagt Landeschef Gernot Darmann zu profil. Zum Vergleich: Herbert Kickl bezeichnete die Regionalisierung zuletzt als „Versuch, die zu Recht verschrottete Corona-Ampel wieder zum Blinken zu bringen“. Zufrieden ist Darmann mit dem Ergebnis des Gipfels freilich auch nicht: „Das darf jetzt nicht nur in die eine Richtung gehen. Es braucht endlich eine Erweiterung des Tunnelblickes, weg vom ,VIP-Thema‘ Corona.“

Gastronomie und Hotels sollten bestenfalls ohne Zutrittstests öffnen, es gebe Hygienekonzepte, die sich bewährt hätten. Beim Thema Impfen solle ausschließlich der eigene Hausarzt mitreden. Für Darmann selbst ist eine Impfung derzeit kein Thema, er hat im Februar eine Corona-Infektion überstanden. Mit hohem Fieber und einer Lungenentzündung habe er die Erkrankung daheim durchgestanden und „die Zähne zusammengebissen“, sagt er. Was er aus dieser Erfahrung mitgenommen habe? Es brauche „mehr Aufklärung“, was Vorbeugung, Medikation oder den „Vitaminhaushalt“ betrifft. Ein Kritiker vieler aktueller Maßnahmen bleibe er aber  – weil der „Hausverstand“ oft fehlt.

Andere in der Partei geben sich dezidiert impfwillig – wie etwa der Tiroler Landesparteiobmann Markus Abwerzger: „Ich nehme die Krankheit sehr ernst, bin ein durchgeimpfter Mensch und lasse mich auch jedes Jahr gegen die Influenza impfen“, sagt er zu profil. Die Medizin biete den besten Weg aus der Krise, ob nun über eine Impfung oder Medikamente. Die Regierung habe bei der Impfstoffbeschaffung aber eindeutig Fehler begangen, meint Abwerzger. Als Positivbeispiel führt er Israel an – jenen Staat, dessen Impfstrategie Klubobmann Kickl  als „Massenexperiment“ bezeichnet hat.