Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Angela, die Große

Angela, die Große

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Die Deutschen haben Europa im vergangenen Jahrhundert in zwei Weltkriege geführt. Und jetzt drohen sie die nach 1945 mühsam aufgebaute europäische Einigung zu zerstören.“ Ganz so drastisch, wie sich ein französischer Freund am Telefon ausdrückte, wird von offizieller Seite und in den Mainstream-Medien Europas nicht formuliert. Da findet man vorsichtigere Worte. Immerhin hängt vom Riesen Deutschland, dem bevölkerungsreichsten und ökonomisch stärksten Staat auf dem Kontinent, letztlich ab, ob der Euro und damit die EU gerettet oder der Weg in den Abgrund unvermeidlich wird. Aber ganz schön erbost ist man allerorten doch über die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Und das zu Recht.

Merkel hat ja bisher weitgehend bestimmt, wie Europa auf die immer schärfer werdende Finanzkrise reagiert. Und ihr Kurs war eindeutig zu nationalegoistisch. Auch jetzt – ihre Rede vor dem Bundestag am vergangenen Freitag zeigt das – hält sie offenbar an ihrem Kurs fest. Obwohl schon bisher klar wurde, dass er nur ins Desaster führt.

Es lag an Frau Merkel, dass die verschiedenen Rettungsschirme jeweils zu klein waren und zu spät aufgespannt wurden. Und die deutsche Vorstellung, die den notleidenden Staaten verschriebenen radikalen Sparkuren würden sie wieder kreditwürdiger machen, entpuppte sich als Illusion.

Zwar gelang es, Politiker, die an der verantwortungslosen Gestion ihrer Länder in den vergangenen Jahren schuld oder zumindest mit schuld waren, auszuhebeln. Aber haben die Nachfolger von Giorgos Papandreou, Silvio Berlusconi und Co die Märkte tatsächlich beeindruckt? Nicht wirklich: Der allseits gepriesene Wirtschaftsfachmann Mario Monti – Super-Mario genannt – hat in Rom ein wirklich brutales Konsolidierungs- und Reformprogramm vorgestellt und erfreut sich wunderbarerweise gleichzeitig der Zustimmung des Volks. Die Zinsen für italienische Anleihen sind aber Mitte vergangener Woche auf sagenhafte acht Prozent geklettert. Und Italien muss sich allein kommendes Jahr 530 Milliarden Dollar ausborgen. Auch sonst will kaum jemand mehr Staatsanleihen von EU-Ländern kaufen. Selbst solche von robusten Staaten sind immer schwerer an den Mann zu bringen.

Ganz abgesehen davon, dass, wenn alle gleichzeitig sparen, eine tiefe Rezession unvermeidlich ist, zeigt sich also, dass nicht so sehr die Performance der maroden Einzelstaaten, sondern vielmehr die allgemeine Perspektive eines möglichen Zusammenbruchs der Eurozone das Vertrauen der Investoren erschüttert.

„Aber das offizielle Deutschland besteht weiter darauf, dass die verschwenderischen Nachbarn für ihren sündhaften Lebenswandel büßen müssen, die tugendhaften deutschen Steuerzahler nicht gezwungen werden dürfen, die Rechnung zu begleichen.“ So ätzt die „New York Times“ in einem Leitartikel. Das mag ungerecht sein. Ein wenig hat sich Frau Merkel doch bewegt. Die Verhältnisse haben sie gezwungen, zögerlich, aber doch, immer wieder Teile der finanzpolitischen deutschen Orthodoxie hinter sich zu lassen. Und die Dramatik der Situation dürfte sie verspätet doch noch erkannt haben. Aber ist sie fähig und willig, ­daraus die richtigen politischen Schlüsse zu ziehen?

Nach wie vor beharrt sie auf einem Nein, wenn es um Eurobonds geht. Zuerst müsse sichergestellt sein, dass die Problemstaaten tatsächlich sparen, bevor man ihnen verkraftbare Zinsenzahlungen gewährt, argumentiert sie. Und ist damit zunehmend isoliert. Inzwischen befürworten die meisten EU-Regierungen, das Europäische Parlament und die Mehrheit der Ökonomen europäische Anleihen. Noch gravierender: Merkel will der Europäischen Zentralbank EZB partout jene Kompetenzen nicht zugestehen, welche die meisten Zentralbanken sonst auf der Welt haben – das Mandat, dann massiv und schnell zu intervenieren, wenn die Märkte in gefährliche Panik verfallen, und auch Geld zu drucken, wenn es notwendig ist.

Die Zeit drängt. Der Kollaps der europäischen Wirtschaft rückt bedrohlich näher. Und alle sind sich einig: Kleine Schritte werden nicht ausreichen, um das Ärgste zu verhindern. Vom Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs am kommenden Freitag wird Großes erwartet.

Klare Signale sind notwendig. Erstens muss dezidiert erklärt werden, dass man ohne jede Ambivalenz gewillt ist, die gemeinsame Währung aufrechtzuerhalten, dass man schwächere Länder nicht vor die Hunde gehen lässt oder aus der Eurozone hinausdrängt und dass die EZB in dieser oder jener Form als „lender of last resort“ mit unbegrenzten Geldmitteln fungieren wird. Zweitens gilt es klarzumachen, dass konkrete Schritte hin zu einer gemeinsamen Finanzpolitik gemacht werden, die auch unmittelbar auf die Budgetpolitik der Nationalstaaten zugreifen kann. Und drittens muss der ernste Wille zu einem grundlegenden Umbau der EU, einem großen politischen Integrationsschub mit tief greifender Demokratisierung erkennbar werden.

Macht Frau Merkel doch noch einen Schwenk? Springt sie über ihren Schatten? Der Freitag-Gipfel wird zumindest vorläufig die Frage beantworten, die über einem Artikel des britischen „Guardian“ steht: „Angela Merkel: Retterin Europas – oder dessen größtes Problem?“

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