Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Von Zahlen und Wahlen

Von Zahlen und Wahlen

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Vom Pfingsturlaub zurückgekehrt, entdeckte ich auf der Meinungsseite der Tageszeitung „Die Presse“ vom 5. Juni eine überaus angriffige Polemik gegen mich. Der allseits geachtete Mathematik-Popularisierer Rudolf Taschner stellt in einem Gastkommentar apodiktisch fest: „Bei den Voraussagen von Georg Hoffmann-Ostenhof kann man fast sicher darauf setzen, dass sie sich nicht erfüllen.“ Er meint zu wissen warum: Der profil-Kolumnist sei, so schreibt Taschner, „unbeirrbar davon überzeugt, man gelange schnurstracks ins Paradies, wenn man bei jeder Kreuzung links abbiege“.

Was aber hat den Mann, der dem Publikum die Primzahlen, den Zufall und die Unendlichkeit in gefälliger Form nahebringt, so erzürnt, dass er eine halbe Zeitungsseite darauf verwendet, mich als falschen „Propheten“ zu entlarven?

Zunächst: Im Artikel, den er zum Anlass für seine Attacke nimmt, wird überhaupt nichts prophezeit. Auch werfe ich keinen Blick auf irgendein Paradies. Ich weise in meinem Kommentar „Lebendige Urnen“ lediglich darauf hin, dass inmitten der allseits beklagten Krise der Demokratie und des bedrohlichen Comebacks der Autokraten durchaus auch erfreuliche Gegentendenzen zu erkennen sind:

In den Maitagen dieses Jahres wurde in Indien, in der EU und in der Ukraine zur gleichen Zeit gewählt – in Ländern, die zusammen ein Viertel der Weltbevölkerung ausmachen. Im Gegensatz zur allgemeinen Erwartung, die Menschen würden sich weltweit immer mehr von der Politik abwenden, ist die Wahlbeteiligung bei allen drei demokratischen Urnengängen gestiegen. In der EU wurde zudem das Straßburger Parlament gegenüber den nationalen Regierungen gestärkt. In Indien haben die Wähler eine jahrzehntelang herrschende Dynastie – den Nehru-Gandhi-Clan – abgewählt. Und die Ukrainer gaben sich nach ihrer Maidan-Revolution, trotz Chaos und Bürgerkriegsgefahr, mittels massenhafter Stimmabgabe eine legitime politische Führung. Dass ich angesichts dieser Entwicklungen zu bedenken gebe, die viel beschworene globale Krise der Demokratie sei möglicherweise so tief nicht, klingt für Taschner „wie eine gefährliche Drohung“.

Wie das? Zu Indien fällt ihm ein, dass „sehr selten Lichtgestalten demokratisch gewählt wurden“ und Demokratie das Vordringen von Rattenfängern nicht verhindere. Kaum Positives erblickt er auch in den ukrainischen Wahlen: Sie könnten ja nicht als Zeichen „eines auf festem Fundament gegründeten Gemeinwesens“ gelten, moniert er. Und für das Europaparlament hat Taschner von vornherein nicht viel übrig, denn – so zitiert er einen Herrn Mussler aus der „FAZ“ – solange es keine europäische Öffentlichkeit gebe, mangle es der Abgeordnetenversammlung in Straßburg auch an Legitimität. Er schließt seine Ausführung mit der Diagnose: „Nicht die Krise der Demokratie, sondern die Krise einer sich von der Aufklärung abwendenden Gesellschaft sollte uns Sorgen bereiten.“

Begreift denn Taschner nicht, dass Demokratie mit Aufklärung zu tun hat und diese unter autokratischen Bedingungen nie und nimmer gedeihen kann? Offenbar wartet er auf die „Lichtgestalt“, welche die Aufklärung unters Volk bringt. Das ist aber, mit Verlaub, ein höchst unaufgeklärter Standpunkt.

Gewiss: Wahlen sind noch kein Garant für Fortschritt, und Demokratie ohne entwickelte Institutionen der Rechtsstaatlichkeit bleibt fragil. Aber dass demokratische Verhältnisse, in denen das Volk der Souverän ist, in letzter Instanz die notwendige Voraussetzung für eine gute Zukunft der Menschen darstellen, darüber sollte doch in unseren Breiten Konsens herrschen. Tut es aber offenbar nicht – wie die Ansichten Rudolf Taschners, des Mathematiklehrers der Nation, zeigen.

Noch ein Wort zu meinen Voraussagen, die sich in Taschners Lesart immer als falsch herausstellen. In der Erkenntnis, dass der Geschichtsverlauf überaus komplex ist, dass er nicht linear, sondern in Brüchen vor sich geht und immer wieder mit völlig Überraschendem aufwartet, habe ich es seit vielen Jahren aufgegeben, Prognosen aufzustellen. Im Übrigen lag ich in meiner publizistischen Jugend mit meinen oft optimistischen Voraussagen besser als meine pessimistischen Kollegen. Aber, wie gesagt, ich prophezeie nicht mehr. Was ich aber sehr wohl tue: In meinen Analysen versuche ich immer wieder, jeweils mögliche alternative Entwicklungen aufzuzeigen. Ich bemühe mich auch, dem fragwürdigen journalistischen Grundsatz, wonach nur bad news good news sind, systematisch zuwider zu handeln.

Gerade der Möglichkeitssinn geht in diesem Land weitgehend ab. Schlechte Laune und Mieselsucht gelten nur allzu oft als Ausweis kritischen Geistes. Und nichts scheint mehr zu provozieren als die altmodische Überzeugung, dass es trotz allem so etwas wie einen menschlichen Fortschritt gibt. Wenn man genau hinsieht, ist der auch empirisch zu belegen. Das will aber – gerade in Krisenzeiten – niemand wissen.

Dem Mathematiker Rudolf Taschner aber, der sich so gern als öffentlicher Intellektueller geriert, möchte ich raten, wieder zur ewigen Schönheit der Formeln und Zahlen zurückzukehren. Davon, so höre ich, versteht er etwas.

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