Georg Willi über Rudi Anschober: „Zwischen Mühlsteinen“

Der grüne Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi über seinen zurückgetretenen Parteifreund Rudi Anschober und empathische Typen in der Spitzenpolitik.

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profil: Sie kennen Rudi Anschober schon lange. Seine Amtszeit begann mit hohen Beliebtheitswerten. Ist er nun an der Pandemie gescheitert, am Regierungspartner ÖVP oder doch eher an sich selbst?

Willi: Wenn du 14 Monate lang jeden Tag arbeitest, alle von dir etwas wollen, du aber im Sinne der Gesundheit aller hoffentlich richtigen Entscheidungen zu fällen hast, ist das, als würdest du ständig zwischen zwei Mühlsteinen bearbeitet. Wir haben uns viel ausgetauscht. Auch meine Interessen sind öfter anders gelegen als seine. Trotzdem hat er versucht, geduldig auf mich einzuwirken.

profil: Zum Beispiel? Es ging vermutlich um die Pandemie.

Willi: Ja, klar, habe ich bei manchen Schritte gesagt, dass uns da die Leute nicht mitgehen. Aber er hatte die Nicht-Überlastung der Intensivbetten im Auge und musste so handeln. Nun bin ich ein Parteifreund von ihm. Andere sind viel massiver reingefahren mit ihren Wünschen.

profil: Hat er schließlich die Geduld verloren?

Willi: Was mich erstaunt hat, war, wie der Mann trotz des ständigen Drucks bei jedem Auftritt immer noch alles erklärt hat und nie ausfällig geworden ist. Ich könnte das nicht. Irgendwann gibt es den Punkt, wo man diese ständigen Sitzungen, den Druck von allen Seiten, die Arbeit bis tief in die Nacht, nicht mehr aushält. Er hat für sich erkannt, dass er entweder selbst vor die Hunde geht oder die Reißleine ziehen muss.

profil: Haben es empathische Typen in der Spitzenpolitik generell schwerer?

Willi: Ja, und Grüne versuchen eben faktenbezogen und im Sinne des Großen und Ganzen Entscheidungen zu fällen. Das Wissen, dass man bei manchen nur 55 Prozent Sicherheit und nicht 90 Prozent hat, reibt dich auf. Das merke ich bei mir selbst, dass ich manchmal schlecht schlafe, weil ich mir nicht sicher bin, was die beste Entscheidung ist. Er ist jemand, der alles sehr ernst nimmt. Die Ansprüche an sich selbst waren sehr hoch.

profil: Daraus kann man zwei Schlüsse ziehen: Muss sich die Spitzenpolitik ändern oder müssen die Grünen lernen, besser damit umzugehen?

Willi: Ich bin gegen die Anpassung. In normalen Zeiten hätte der Gesundheitsminister die Zeit ohne persönliche Reibungsverlust überstanden. Wenn wir wollen, dass wir an der Spitze von Institutionen, in diesem Fall Ministerien, die besten Leute haben, sollen die nach besten Wissen und Gewissen mit aller Expertise, die sie sich holen, entscheiden, das aber auch mit Herzblut und Empathie machen. Wenn wir abgeschliffene, emotionslose Wesen dort hätten, kommen vielleicht nicht die ganz falschen, aber jedenfalls nicht die besten Entscheidungen heraus.

profil: Glauben Sie, dass ein Quereinsteiger wie Wolfgang Mückstein reüssieren kann?

Willi: Leonore Gewessler war vorher auch nicht in der Politik. Aber sie hat gelernt, wie politische Prozesse laufen. Das ist der Punkt. Letztlich geht es um Interessensausgleich. Das kann man innerhalb der Politik genauso lernen wie außerhalb.

profil: Wird die Koalition halten?

Willi: Vom Vorsatz her ja, wir wollen gemeinsam durch die Pandemie kommen und dann hoffentlich in normalen Zeiten die vielen Projekte umsetzen, die wir für den Klimaschutz brauchen. Österreich tun die Grünen in Regierungsverantwortung sehr gut.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges