Heinz-Christian Strache: Wahlkampf unter der Brücke
Einst war Heinz-Christian Strache einer der gefürchtetsten rechten Anführer Europas. Heute kämpft er um den Einzug in den Wiener Gemeinderat bei U-Bahn-Stationen.
Wien-Liesing, Station Alterlaa, unter der U-Bahn-Brücke. Hackler in Blaumännern schlurfen heimwärts, tätowierte Frauen mit Kinderwagen hasten über den Zebrastreifen, ältere Pärchen in Jogginghosen flanieren, zwei serbische Burschen spitzen auf die blau gefärbten Ostereier, die auf Heinz-Christian Straches Wahlkampfstand drapiert sind; „wegen der Proteine“, sagt der größere der beiden.
Heinz-Christian Strache, blaue Jacke, ausgewaschene Jeans, weiße 800-Euro-Sneaker der Marke Celine, bewegt sich unterdessen zwischen Fahrbahn und U-Bahn-Aufgang von Passant zu Passant wie ein erfahrener Wirtshauskellner: geschmeidiger Schritt, voller Kontakt und sein wichtigstes Asset – der unnachgiebige Blick.
Heinz-Christian Strache an einem Stand von „Team Strache – Allianz für Österreich“.
Straches politisches Geschick fußt auf dieser intuitiven Beislmentalität. Für manche ist er hier eine Art Pop-up-Beichtvater: Eine ältere Dame vertraut ihm an, dass sie keine Gemeindewohnung bekommen kann, weil sie nirgends gemeldet ist. Ein Mann mittleren Alters schwärmt von seiner Kindheit in Alterlaa; eine junge Frau erzählt von ihrem neuen Freund, der bei Wiener Wohnen arbeitet, und davon, dass sich die Ausländer nicht benehmen und jedem, der sie zurechtweist, Ausländerfeindlichkeit vorwerfen. Strache sagt gar nicht viel. Er hört vor allem zu. Da und dort ein „schrecklich“, dann ein „Wahnsinn“, ein Schulterklopfen.
Vor zehn Jahren erreichte die Wiener FPÖ mit Strache an der Spitze 30,8 Prozent der Stimmen und damit das historisch beste blaue Ergebnis bei einer Wiener Wahl. Diesmal muss Strache, aus seiner früheren Partei hinausgeschmissen, um den Einzug in den Gemeinderat an U-Bahn-Ausgängen wie diesem um jede einzelne Stimme kämpfen. Und das tut er vornehmlich in Liesing, Favoriten, Donaustadt und vor allem Floridsdorf, also in den klassischen blauen Battlegrounds.
Strache ist politisch immer noch blau, „das Original“, wie er sagt. Und er bringt immer noch seine Evergreens über gewalttätige Banden aus dem Ausland; Ausländer, die sich nicht integrieren, die nix arbeiten wollen, über das Parkpickerl. Doch es ist mehr als fraglich, ob seine Truppe bei der Wahl am 27. April überhaupt die Hürde von fünf Prozent nehmen wird. Schon 2020 scheiterte sie daran.
Kippbild Strache
Ein Radfahrer empört sich lautstark, als er Strache beim Herannahen erblickt: „Welcher Trottel sponsert Sie?“, brüllt er. Und: „An Ihrer Stelle würde ich unterirdisch gehen.“ Das Gekeife perlt an Strache ab. Die meisten hier sind sowieso, zumindest moralisch, Team HC. In vielen Menschen, Autochthonen wie Migranten, rührt Strache etwas. Sein Schicksal hat etwas Tragisches.
Ihm fliegen die Herzen zu, auch wenn er zuweilen seine Leiden überinszeniert, wie auf Social Media, wo er seinen „Fall“ nach der Ibiza-Affäre (oder „Ibiza-Falle“, wie er es zuweilen nennt) bei gedämmtem Licht betulich erzählt. Dennoch: Vielfach sagen die Liesinger, die hier in Alterlaa mit Strache reden, es sei „gemein“, was ihm nach Ibiza passiert ist: all die Gerichtsprozesse, der Rauswurf aus der eigenen Partei, der er sein ganzes Leben gewidmet hat.
Zwei Männer unterhalten sich auf der Straße, einer mit Tennisschlägern im Rucksack.
„Ich hätte als Parteichef nicht zurücktreten dürfen.“
Im Nachhinein ist man meist schlauer. Heinz-Christian Strache hat die Vergangenheit gelehrt, dass er FPÖ-Chef hätte bleiben sollen.
Ein junger Student fragt Strache mit ehrlichem Interesse, wie es ihm geht. Es ist der eine Moment, in dem Straches Blickkontakt entgleitet, eher er ihn wieder aufnimmt und Sätze sagt wie: „Man muss nach vorn schauen.“ Viele sprechen dem einstigen Spitzenpolitiker Mut zu. „Sie schauen noch besser als im Fernsehen aus.“ Oder: „Ich finde Sie gut, egal, was die anderen sagen.“ Oder: „Ich mag Sie einfach so gern.“ Heinz-Christian Strache im Jahr 2025 ist wie ein Kippbild: Den einen erscheint er als serviler Politclown, der von Talkshow zu Talkshow tingelt und vom gerechten Karma für all seine hetzerische und skrupellose Politik ereilt wurde.
„Welcher Trottel sponsert Sie? An Ihrer Stelle würde ich unterirdisch gehen.“
Ein Radfahrer
empört sich über Strache
Die allermeisten hier in Alterlaa, denen er ein Feuerzeug reicht oder mit denen er für Selfies posiert, sehen in ihm einen fehlbaren Menschen aus Fleisch und Blut. Einen Gefallenen und Verlassenen. Jemanden, der womöglich nicht viel anders agiert als die anderen, aber eben erwischt wurde. Und nun dafür büßen muss. Straches Absturz ist für viele hier ein Paradebeispiel für die Ungerechtigkeit des Politsystems – und ja, auch ein bisschen des Lebens an sich.
Auf die Frage, ob es ein Fehler gewesen war, nach Ibiza zurückzutreten, sagt Strache: „Ich hätte als Parteichef nicht zurücktreten dürfen.“ Dass er fallengelassen wurde von den eigenen Leuten, die er so viele Jahre kannte, denen er vertraut hatte, das sei hart gewesen. Andererseits wird die FPÖ noch heute von Straches Chatverhalten verfolgt. Der steirische FPÖ-Landeshauptmann Mario Kunasek musste etwa erklären, warum Strache ihn, damals als Verteidigungsminister, im März 2019 aufforderte: „alle unsere Leute in Führungskräfteebene festsetzen!!!“. Und die Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt (es gilt die Unschuldsvermutung) gegen die einstige FPÖ-Regierungsmannschaft von Herbert Kickl abwärts wegen des Verdachts der Untreue, weil Strache seinen Ministern schrieb, wann sie in der Mediengruppe „Österreich“ werben sollten.
In der Zeit nach Ibiza habe er Mentaltraining gemacht, erzählt Strache. Und er habe begonnen, sich mit der Philosophie der Stoiker zu beschäftigen und mit dem Konzept der radikalen Akzeptanz: „Was man nicht ändern kann, muss man bedingungslos annehmen und akzeptieren“, sagt Heinz-Christian Strache.
Viel Selbsterkenntnis, doch wenig Schuldeinsicht. Den jüngsten Bericht des „Standard“, wonach er unter anderem 3225,28 Euro für „Zigaretten und Süßigkeiten“ damals noch aus der blauen Parteikassa und somit aus Steuergeldern bezahlt haben soll oder 90.225,64 Euro für Urlaube sowie 9564,00 Euro für die Observation seiner ersten Frau, kommentiert er mit: Alles sei von der Partei genehmigt und entlastet worden. „Jörg Haider hatte jährlich ein weitaus höheres Budget für sich und sein Team genehmigt erhalten“, sagt Strache. Es sei nicht klar definiert, wofür die Parteienförderung verwendet werden darf, man sei sich keiner Schuld bewusst, heißt es aus dem Team HC Strache.
Wie es um den Umgang mit Parteienförderung und somit Steuergeld in Straches neuer Partei bestellt ist, bleibt unbekannt. Straches Liste war im Jahr 2020 erstmals angetreten, sie schaffte es zwar nicht in den Gemeinderat, sehr wohl aber in zwölf Bezirksvertretungen. Aufgrund dessen bekam Straches Liste bis 2024 in Summe knapp 1,2 Millionen Euro aus dem Topf der Wiener Parteienförderung ausbezahlt.
Die Partei selbst hat keine Mitarbeiter und auch kein Büro, lediglich eine Adresse, an die die Post zugestellt wird. Genaue Angaben darüber, wofür diese Mittel ausgegeben wurden, sind öffentlich nicht zugänglich. Zwar hatten beeidete Wirtschaftsprüfer der für die gesetzlich vorgegebenen Prüfungen zuständigen Magistratsabteilung 5 (Finanzwesen) keinerlei Beanstandungen gemeldet – Rechnungen und Zahlenflüsse liegen jedoch nicht vor. Künftig soll das anders werden: Die rot-pinke Stadtkoalition hat im Jahr 2023 das Wiener Parteienförderungsgesetz geändert. Beginnend mit dem Jahr 2024 (in dem das Team HC Strache 333.635,46 Euro erhalten hat) soll der Stadtrechnungshof die Finanzen aller Parteien nun genauer durchleuchten können. Die Einreichfrist für diese Berichte endet allerdings erst Ende Juni.
Auf Nachfrage, wofür Straches Kleinstpartei 1,2 Millionen Euro verwendet hat, liefert das Team HC Strache lediglich Kostenpunkte wie „IT Admin“, „Veranstaltungen“, „Pressearbeit“ oder „Beratungskosten“ auf. Welche Summen an wen ausbezahlt wurden, möchte man nicht sagen. Für den laufenden Wahlkampf habe Straches Partei auch ein Darlehen von bis zu einer halben Million Euro aufgenommen.
Mit seiner Erfahrung, sagt Strache seinen Fans, wolle er dem System etwas entgegensetzen, damit sich etwas ändert. Doch der Politiker Strache selbst scheint sich nicht zu ändern.