Ein Mann will den Krieg

100 Jahre Erster Weltkrieg: Ein Mann will den Krieg

100 Jahre Erster Weltkrieg. Der Countdown zum Krieg: 11.-17. Mai 1914

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Franz Conrad von Hötzendorf (Foto), Generalstabschef der Armee Österreich-Ungarns, hat sich nach Karlsbad begeben. Dem 62-Jährigen fehlt nichts, im Gegenteil: Er ist bei bester Gesundheit. Kurgast ist hingegen der Mann, den er besucht. Helmuth von Moltke, Generalstabschef des deutschen Kaiserreichs und damit Conrads direktes Gegenüber, hat es im Magen und an den Nieren. Conrad zählt in Wien zu jenen, die einen Präventivschlag gegen Serbien führen wollen, er kracht deshalb immer wieder mit dem diesbezüglich eher zögerlichen Thronfolger Franz Ferdinand zusammen. In Karlsbad will er von Moltke vor allem eines wissen: Wie schnell könnte Deutschland Österreich beistehen, falls Russland nach einem Angriff der k. u. k. Armee auf Serbien seinen slawischen Verbündeten zu Hilfe kommt. Moltkes für Conrad enttäuschende Antwort: Deutschland müsse sich auf Frankreich konzentrieren, das in diesem Fall ja ebenfalls in den Krieg eintreten würde. Er denke aber, dass sein Heer in sechs Wochen mit Frankreich fertig sein werde.

Am nächsten Tag reisen die beiden Generalstabschefs in ihre jeweiligen Hauptstädte zurück. Obwohl Verbündete, werden sie einander nie wieder treffen.

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Conrad von Hötzendorf hat ein Verhältnis mit Virginia („Gina“) Reininghaus, der Frau des steirischen Brau-Magnaten. Ihr schreibt er in diesem Frühjahr 1914 heiße Briefe, die von Ungeduld nach einem Krieg getragen sind. Ein „erbarmungsloses, elendes Schicksal“ enthalte ihm diesen vor. Wenn er aus dem ersehnten Krieg „von Erfolg gekrönt“ zurückkehren werde, „dann, Gina, breche ich alle Fesseln, um das höchste Glück meines Lebens, um Dich zu erringen, Dich als meine teure Frau“.

Tatsächlich heiratet Conrad Virginia Reininghaus bereits 1915, der Krieg wird noch mehr als drei Jahre toben. Als Generalstabschef wird er im März 1917 von Kaiser Karl seines Dienstes enthoben. Er stirbt 1925 an einem Gallenleiden und wird mit militärischen Ehren am Hietzinger Friedhof in Wien beigesetzt. Seine Frau überlebt ihn um 36 Jahre.

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Die Dienstmagd Josefa Beck aus Eisenerz steht am selben Dienstag, an dem Generalstabschef Conrad in Karlsbad weilt, in Leoben vor Gericht. Sie hatte am 31. Jänner ein Mädchen geboren, bereits das zweite Kind, für das kein Vater aufkommen will. Ihre wochenlange Suche nach einer Pflegemutter für das Kind, das sie selbst nicht ernähren kann, schlägt fehl. Ende März steckt sie das Baby und dessen Taufkerze in ein Bündel Wäsche und wirft es in den Leopoldsteiner See. Vier Wochen später wird die Leiche samt Taufkerze, auf welcher der Name vermerkt ist, am Ufer des Sees aufgefunden. Josefa Beck wird wegen Mordes zum Tod durch den Strang verurteilt.

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Der Franzose Emile Bachelet hat eine bemerkenswerte Erfindung gemacht, und der Erste Lord der britischen Admiralität, Winston Churchill, lässt sich diese „schwebende Eisenbahn“ auf einem Feld nahe London vorführen. Die nach dem Prinzip des Magnetismus funktionierende Maschine werde schon bald Geschwindigkeiten von 500 Stundenkilometern erreichen, preist Bachelet sein Gerät an. Die Entfernung Wien–Berlin sei dann in zwei Stunden zu bewältigen, die Strecke Paris–Petersburg in nur noch einer Tagesreise. Churchill gratuliert dem Erfinder laut Aussagen des Pressebüros „sehr herzlich“.

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Die junge Erzherzogin Zita, Liebling der kaisertreuen Klatschpresse, feiert im Schloss Hetzendorf ihren 22. Geburtstag. Niemand ahnt, dass sie in zwei Jahren Kaiserin von Österreich sein wird.

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Am Wiener Ostbahnhof findet eine militärische Übung statt, bei der getestet wird, ob durchreisende Truppen entsprechend verpflegt werden können. Zu diesem Zweck werden vier Infanterieregimenter zu je 1000 Mann innerhalb von dreieinhalb Stunden durch den Bahnhof geschleust und dabei ausgespeist. Zwischen Eintreffen eines Regiments und dessen Weiterfahrt stehen nur 40 Minuten zur Verfügung. Es sei eine „äußerst lehrreiche Übung“ gewesen, gibt das Büro für das Etappenwesen nach deren Beendigung bekannt.

Noch 11 Wochen bis zum Krieg.

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„Wiener Bürger gegen den Tango”: Der Countdown zum Krieg, Teil V: 2.-8. Februar 1914

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Der Kaiser fährt aus: Der Countdown zum Krieg, Teil II: 12. bis 18. Jänner 1914

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