„Er war der Haustyrann”

Heinrich Himmler: Großnichte Katrin über die Liebesbriefe des NS-Mörders

Interview. Heinrich Himmlers Großnichte Katrin über die Liebesbriefe des NS-Mörders

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Interview: Wolfgang Paterno

profil: Im Vorwort von "Himmler privat“ schreiben Sie, dass die Liebesbriefe Heinrich Himmlers bisweilen zum Lachen reizten. Darf man über einen Jahrhundertverbrecher lachen?
Katrin Himmler: Es ist ein Lachen, das im Halse stecken bleibt. Man muss lachen dürfen - zugleich muss man aufpassen, dass die Beschäftigung mit diesen Texten nicht ins Lächerliche kippt. Es war wichtig, von den frühen Briefen nur einen Teil abzudrucken, um so einen Eindruck zu vermitteln, wie Heinrich und Marga am Beginn ihrer Beziehung miteinander kommunizierten.

profil: Vergangene Woche feierte das Himmler-Filmprojekt "Der Anständige“ in Berlin Premiere, diesen Montag erscheint "Himmler privat“. Die "Süddeutsche Zeitung“ beanstandete, dass nun "Himmler zum Runterladen“ geboten werde.
Himmler: Der "Süddeutsche“-Text hat viel negative Berichterstattung nach sich gezogen. Problematisch ist, wenn die Entdeckung der Briefe sensationsheischend verkündet wird - das geben die Dokumente nicht her. Genauso falsch ist es zu behaupten, dass diese Briefe nur banal seien. Die Wahrheit liegt dazwischen.

profil: "Der Anständige“ kommt ohne historischen Kommentar aus. Darf man so mit jüngerer Geschichte verfahren?
Himmler: Man darf. In Deutschland tun sich viele Menschen mit dieser Form der Darstellung schwer, die auf die obligaten Historiker-Interviews verzichtet: Himmler erscheint in "Der Anständige“ nicht als Monster, sondern als Mensch, der Schreckliches getan hat. Die israelische Filmemacherin Vanessa Lapa baut darauf, dass die Zuschauer so intelligent sind, ihre eigenen Schlüsse zu ziehen.

profil: Bedeutet es für Sie Genugtuung, Ihren Großonkel der Öffentlichkeit als notorischen Spießer präsentieren zu können?
Himmler: Nein. Die Briefe sind eine wichtige Ergänzung zu jenem Bestand, den es zu Heinrich Himmler seit Langem gibt. Man erfährt neue Aspekte, die das Bild seiner Person vervollständigen.

profil: Zum Beispiel?
Himmler: Bereits in den frühen Briefen lässt sich Himmlers Bedeutung in den Aufstiegsjahren der NSDAP erkennen, die Schreiben aus der Kriegszeit wiederum berichten davon, dass der Reichsführer-SS mit sich selbst völlig im Reinen gewesen sein muss. Seine politischen Überzeugungen, die er in den 1920er-Jahren erlangt hatte, behielt er sein Leben lang bei.

profil: Lässt sich an Himmler eine Art Jekyll- und-Hyde-Syndrom diagnostizieren?
Himmler: Nein. Eine Spaltung in den brutalen Schlächter und den treuherzigen Familienvater lässt sich nicht erkennen - hier Täteralltag, da Familienidylle. Dazu gibt es zu viele Überschneidungen, charakterliche Grundzüge, die in beiden Sphären zu beobachten sind: Härte, Kälte, Unerbittlichkeit, ein Mangel an Empathie, die Strafen, vollzogen an SS-Männern wie an den eigenen Kindern. Er war ein strenger Erzieher, der die vermeintlichen Verfehlungen seiner beiden Kinder ahndete. Heinrich war der Haus- und Hoftyrann, unterstützt von seiner Frau.

profil: Himmler gab auch den Befehl zum Massenmord - und schrieb an Marga, er schlafe vorzüglich.
Himmler: Er war von seinem Tun vollkommen überzeugt, er betrachtete Massenmord als Pflicht, die so gut wie gründlich zu erledigen war.

profil: Der Befund, dass es sich bei Himmler um einen ganz normalen Mann handelte, ist zwingend - zugleich verbietet sich diese Feststellung. Wie begegnen Sie diesem Dilemma?
Himmler: Dieser Konflikt muss ambivalent bleiben, er lässt sich nicht lösen. Himmler war Kleinbürger und Jahrhundertverbrecher. Eine Erkenntnis der NS-Geschichte lautet, dass sich monströse Täter nicht auf Distanz halten lassen: Heydrich, Himmler und Höß waren in ihren Handlungen unverständliche Ungeheuer - als Personen waren sie, um ein Wort Christopher Brownings zu gebrauchen, "ganz normale Männer“. Die Einsicht, dass Normalbürger unter bestimmten Umständen zu solchen Scheußlichkeiten fähig sind, muss einen nachdenklich stimmten.

profil: In keinem der Briefe tauchen bei Marga und Heinrich auch Zweifel an der Zuverlässigkeit ihres Weltbilds auf.
Himmler: Die Eintracht zwischen Heinrich und Marga war eine wichtige Grundlage für ihn - und sein Mörderhandwerk. Sie schufen sich ein entsprechendes Umfeld von Freunden und Kameraden, ein dichtes Netz von Gesinnungsgenossen, das von selektiver Lektüre gestützt wurde.

profil:
An einer Stelle schreibt Heinrich, die ihm untergeordneten Männer der SS seien "herrliches Menschenmaterial“. Abgesehen von dieser Feststellung findet sich im Briefwechsel keine weitere dienstliche Einlassung Himmlers.
Himmler: Das sollte man auch nicht erwarten. Er war mit Marga derart konform, dass er es nicht für nötig hielt, ihr Details seiner "Arbeit“ mitzuteilen, ihr auf diese Weise unter Umständen ein schlechtes Gewissen zu verursachen - wobei Heinrich und Marga das ohnehin nie besaßen. Sie waren sich so einig, dass sich jeder Austausch erübrigte.

profil: Marga klagt in einem Brief, dass sie einen Pullover auftrennen müsse. Himmler bedauert sie mit "armes Liebi“. Die von Hannah Arendt diagnostizierte "Banalität des Bösen“ erfährt in diesen Belegen neue Dimensionen.
Himmler: Durchaus. Es sind aber noch andere wichtige Ebenen erkennbar: Es gibt frühe antisemitische und antidemokratische Äußerungen Margas, die bereits 1927 vom "Judenpack“ schreibt. Auch später saß sie nicht nur zu Hause und verfolgte das Geschehen aus der Ferne. Sie war nahe am NS-Machtzentrum und bekam viel mit. Als Oberführerin des Deutschen Roten Kreuzes besuchte sie mehrfach Konzentrationslager und die von den Nazis besetzten Länder. Sie schrieb voller Verachtung über die "Pollacken“ und wie dringend man Ordnung schaffen müsse. Sprich: Ihr Mann sollte sich darum kümmern. Zwischen den Banalitäten finden sich klare Andeutungen, die beweisen, wie verbündet Heinrich und Marga waren, wie viel Kontinuität zwischen ihnen über die Jahre hinweg bestand.

profil: Ende 1929 schreibt Heinrich: "Mit irgendeinem Fädchen ist auch der Schlechteste an die Menschlichkeit geknüpft.“
Himmler: Diese Ausdrucksweise: grauenhaft. Himmler war sicher kein Stilist.

profil: Mit einer Faser scheint Heinrich Himmler an die Humanität gebunden.
Himmler: Immerhin. Er war wohl nicht gänzlich davon überzeugt, dass seine politischen Gegner, die er maßlos verachtete, ausschließlich schlechte Menschen waren.

profil: Als Jugendliche wollten Sie den Namen Ihres Großonkels loswerden. Wollen Sie das immer noch?
Himmler: Die ewige Frage. Mit diesem Namen lässt sich äußerlich unproblematisch leben, weil man kaum je darauf angesprochen wird. Meine Generation stellt da keinen Zusammenhang mehr her. Der eigene Name bleibt der eigene Name.

Katrin Himmler
Jahrgang 1967, ist Politikwissenschafterin - und die Großnichte des NS-Kriegsverbrechers Heinrich Himmler (1900-1945). 2005 veröffentlichte Himmler den Band "Die Brüder Himmler“, eine detailliert recherchierte Familiengeschichte mit dezidiert persönlichem Zugang. Der von Katrin Himmler und dem Historiker Michael Wildt herausgegebene Band "Himmler privat“ (Piper Verlag, 400 S., EUR 25,70) versammelt erstmals die vertraulichen Nachrichten von Himmler an seine Frau Marga, eine frühe fanatische Nationalsozialistin.