Hupfer in der Hofburg: Fünf Punkte, die gegen Van der Bellen sprechen

Alexander Van der Bellens Gegner hocken nicht nur im Krawall-Eck. Dennoch: Die Unterstützung ist groß.

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Der Bundespräsident beliebte zu scherzen. Er fühle sich besser gerüstet als bei seinem Amtsantritt 2017. Damals sei er ja noch "ein junger Hupfer" gewesen. Dass der 78-Jährige wieder zur Wahl im Herbst antritt, war allgemein erwartet worden. Grüne und NEOS werden eine Wahlempfehlung abgeben, ÖVP und SPÖ äußern Sympathien. Nur die FPÖ übt harsche Kritik an Van der Bellens bisheriger Amtsführung.

Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Unique research können sich derzeit 46 Prozent der Bevölkerung vorstellen, Van der Bellen zu wählen. Ein Drittel ist noch unentschieden. "Eine Wahlprognose ist aufgrund fehlender Gegenkandidaten nicht möglich. Die Favoritenrolle von Van der Bellen ist aber evident. Die Mobilisierung der Wähler wird die große Herausforderung", sagt Meinungsforscher Peter Hayek.

Wer die Unterstützung von vier der fünf Parlamentsparteien genießt, muss etwas richtig gemacht haben. Allerdings kommen Einwände gegen Alexander Van der Bellen nicht nur aus dem politischen Krawall-Eck. Im linken Lager sieht man seine Betonung des Heimatbegriffs skeptisch. Rechts wundert man sich über seinen Vorstoß für eine raschere Verleihung von Staatsbürgerschaften an Nichtösterreicher.

Alexander Van der Bellen ist also auch in der breiten Mitte nicht immer unumstritten, auch wenn er von ihr wieder ins Amt gewählt werden wird. Fünf Punkte, die gegen den Bundespräsidenten eingewendet werden.

VdB ist ein Mann

Auf der einen Seite der Amtsinhaber: Jahrgang 1944; männlich; zeitlebens im Staatsdienst; väterliches Gehabe. Auf der anderen die mögliche Herausforderin: Jahrgang 1969; weiblich; Rechtsanwältin seit 2002; Frauen-Power. Neutral betrachtet wäre Susanne Fürst, blaue Nationalratsabgeordnete aus Linz, bei der Bundespräsidentenwahl im Oktober die modernere Kandidatin – falls FPÖ-Chef Herbert Kickl sie tatsächlich dazu kürt.

Gerade bei einer Persönlichkeitswahl zählt das Weltbild mehr als das Geschlecht. "Feministisch zu wählen, heißt nicht, blindlings eine Frau zu wählen", meint profil-Autorin Elfriede Hammerl. 2004 lehnten linksliberale Feministinnen die ÖVP-Kandidatin Benita Ferrero-Waldner ab, 2016 die bürgerliche Irmgard Griss. Als Freiheitliche darf Susanne Fürst kaum auf Frauensolidarität hoffen, zumal Gleichberechtigung und Feminismus auf dem FPÖ-Themenkatalog eher unten stehen.

Dennoch ist es unter Umständen der FPÖ allein zu verdanken, dass die Wahl gegendert werden wird, also nicht "Bundespräsidentenwahl", sondern "Bundespräsident:innenwahl" oder auch "Wahl zum Bundespräsiden/zur Bundespräsidentin". Alexander Van der Bellen ist dies klarerweise nicht anzulasten. Die Kritik muss sich gegen die anderen Parteien richten, die ihren Wählerinnen keine Frauen als Alternative für das höchste Amt im Staat bieten.

VdB ist kein aktiver Bundespräsident

Für Kritiker rechts und links verhielt sich Van der Bellen in der Vergangenheit zu passiv. "Die Presse" hielt ihm vor, sich "brav entlang des linksliberalen Mainstreams" zu bewegen. "Der Standard" vermisste den Einsatz für ein Informationsfreiheitsgesetz. Rechts wünschte man sich deutlichere Worte zu den Problemen bei Zuwanderung und Integration, links mehr Widerstand gegen die Abschiebung von minderjährigen Asylwerbern. Doch Van der Bellen hielt an einem klassischen Amtsverständnis fest. Konkrete inhaltliche Positionen bezog er nie. Schon im Wahlkampf 2016 machte Van der Bellen klar, seine Rolle zurückhaltend anzulegen.

Formal hat ein österreichischer Bundespräsident viel Macht. Er ernennt die Regierung. Er kann über Umwege den Nationalrat im Alleingang auflösen. Er führt den Oberbefehl über das Bundesheer. Er wirkt am Gesetzgebungsprozess mit. Neben der verfassungsrechtlichen Kompetenz verfügt er auch über die höchste politische Legitimation: Er ist der einzige Spitzenpolitiker, der von der Bevölkerung direkt gewählt wird.

Da ein Bundespräsident seine Macht in der Praxis nicht einsetzt, nennen ihn Verfassungsexperten "einen schlafenden Riesen". Van der Bellen war keine Ruhe vergönnt, er musste in den vergangenen drei Jahren hellwach sein. Im Grunde war er in der Anwendung seiner Kompetenzen der aktivste Bundespräsident überhaupt. Kein anderer vor ihm nominierte eine Expertenregierung; kein anderer entließ – auf Vorschlag des Bundeskanzlers – ein Regierungsmitglied, wie Van der Bellen dies in Bezug auf Innenminister Herbert Kickl tat; kein anderer musste so viele Bundeskanzler und Minister angeloben und ihres Amtes wieder entheben.

Überdies ist es einem Bundespräsidenten kaum möglich, die Politik der Regierung zu beeinflussen, geschweige denn zu steuern. Die "Checks and Balances" unter den obersten Organen der Republik funktionieren. Ein Bundespräsident, der allzu aktiv sein will, wäre in der innenpolitischen Wirklichkeit ein aufgeschmissener Aktionist.

VdB ist ein ÖVP-Versteher

Alexander Van der Bellen ist der Ansicht, Heinz-Christian Straches Aussagen auf Ibiza im Jahr 2017 seien verwerflicher als jene Sprache und Denke, die in zahlreichen Chats von ÖVP-Vertretern deutlich werden. So äußerte sich der Bundespräsident vergangene Woche sinngemäß in mehreren Interviews. Bei Ibiza, so Van der Bellen, sei es darum gegangen, die Vergabe öffentliche Aufträge zu steuern, illegale Parteienfinanzierung zu betreiben und die Medienfreiheit zu unterminieren. In Zusammenhang mit der ÖVP meinte Van der Bellen, manche Dinge seien zwar "besorgniserregend", allerdings gelte die Unschuldsvermutung. Überdies müsse man sich nicht über jeden Chat erregen, sondern könne ruhig einmal abwarten.

Womit Van der Bellen recht hat: Solange kein rechtskräftiges Urteil vorliegt, sollte sich ein Staatsoberhaupt in der Beurteilung von Spitzenpolitikern zurückhalten. Immerhin hat er sie selbst angelobt. Allerdings hat Ex-Vizekanzler Strache denselben Anspruch auf präsidentielle Schonung wie ehemalige türkise Regierungsmitglieder. Wenn man nicht jeden ÖVP-Chat überbewerten sollte, gilt dies wohl auch für Teile der alkoholinduzierten Protzereien in einer Finca auf Ibiza.

Mit Sebastian Kurz verband Van der Bellen durchaus ein Vertrauensverhältnis, allerdings eines auf professioneller Basis. Die Republik funktioniert nur, wenn Staatsoberhaupt und Regierungschef kooperieren. Seit der Wahl im Oktober 2017 ist die ÖVP stärkste Partei im Land. Mit ihrem aktuellen Koalitionspartner, den Grünen, verfügt sie über eine stabile Mehrheit im Parlament. Die Volkspartei hat also die – legitimierte – Macht im Land. Optik und Ästhetik sind keine politischen Kategorien. So viel Unappetitliches der laufende ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss auch thematisiert, über die Volkspartei richten werden die Justiz und vor allem – spätestens 2024 – die Wählerinnen und Wähler. Der im Herbst neu vereidigte Bundespräsident Van der Bellen muss also davon ausgehen, zwei weitere Jahre mit einem ÖVP-Bundeskanzler zu kooperieren. Harsche Kritik an der Volkspartei würde also nicht nur schwarz-türkise Sympathisanten vor der Bundespräsidentenwahl vergrämen, sondern auch die zukünftige Arbeit mit der ÖVP belasten.

VdB fehlt die Leidenschaft

Alexander Van der Bellen weiß, dass die Präsidentschaftskanzlei ein ideologiefreier Ort zu sein hat. Pragmatismus ist notwendige Voraussetzung für das Amt. Auch Bundespräsident Heinz Fischer unterdrückte seine rote Gesinnung und fand zu ihr erst wieder außer Dienst zurück.

Viele Kommentatoren vermissen eine grundsätzliche Rede des Bundespräsidenten zum Zustand des Landes nach Vorbild von Rudolf Kirchschläger. Im August 1980 hatte das damalige Staatsoberhaupt bei der Eröffnung der Welser Messe gefordert, "Sümpfe" und "saure Wiesen" trockenzulegen. Anlass waren Korruptionsenthüllungen um den Bau des Wiener AKH. Allerdings klang Kirchschläger in dieser Rede wie Van der Bellen 40 Jahre später: "Vielleicht erwarten manche von Ihnen von mir mehr konkrete verurteilende Aussagen. Ich glaube an die Qualität der österreichischen Rechtsprechung, und ich glaube auch an das ehrliche Bemühen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, die Wahrheit zu finden. Ich weiß, wie schwer diese Aufgabe ist; sie zu präjudizieren, steht mir nicht zu.“ Im Gegensatz zu Van der Bellen ("So sind wir nicht") kritisierte Kirchschläger allerdings auch die alltäglichen "Kavaliersdelikte" der Österreicher wie "Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit", "Fahren unter Alkoholeinfluss" sowie "Steuer-, Devisen- oder Zolldelikte" und appellierte an die Bürger, auch die eigene Moral zu überdenken. Das wollte uns Van der Bellen bisher nicht zumuten.

VdB ist zu alt

Das durchschnittliche Amtsantrittsalter österreichischer Bundespräsidenten in der Zweiten Republik liegt bei 68 Jahren. Alexander Van der Bellen wurde am 18. Jänner 1944 geboren. Am Ende seiner zweiten Amtszeit im Herbst 2028 wäre er 84 Jahre alt. Joe Biden wurde am 20. November 1942 geboren. Auch das Arbeitspensum von Papst Franziskus (Jahrgang 1936) und des italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella (Jahrgang 1941) ist fordernd. Queen Elizabeth tritt erst jetzt, mit 96 Jahren, etwas kürzer.

Die Frage nach dem Alter eines Politikers ist im Jahr 2022 ohnehin verpönt. Man durfte Sebastian Kurz einiges vorhalten, sein Geburtsjahr nicht. Ebenso wenig sind Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Religionsbekenntnis ein Maßstab für die Eignung zu einem hohen Amt.

Rein rechtlich ist Jugend, nicht Alter ein Limit für die Hofburg. Die Bundesverfassung legt das Mindestalter des Bundespräsidenten bei 35 Jahren fest. Sebastian Kurz (Jahrgang 1986) dürfte somit heuer das erste Mal kandidieren. Norbert Hofer war 2016, als er "arschknapp" (Van der Bellen) nicht Bundespräsident wurde, 45 Jahre alt.

Im Gegensatz zum Alter ist die Gesundheit eines Staatsoberhaupts keine Privatsache. Wer die gesamte Regierung ohne Vorschlag des Bundeskanzlers per Dekret entlassen kann und den Oberbefehl über das Bundesheer führt, muss die Öffentlichkeit über allfällige Erkrankungen informieren. Thomas Klestil litt während seiner Amtszeit unter Lungenprobleme, wollte diese aber nicht publik machen. Alexander Van der Bellen ist fit – auch wenn er kein junger Hupfer mehr ist.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.