Wer mit Nayeb-Hashem und Zamini spricht, hat trotz allem zwei heitere Menschen vor sich, die keine Scheu vor Knochenarbeit, die kaum sichtbar ist, haben. Und die zwar physisch in Wien sind – geistig und mental jedoch in einem Iran leben, irgendwo zwischen Vergangenheit und Vision, in den sie als freie Menschen zurückkehren könnten, ohne gleich verhaftet zu werden. Sie sind prononcierte Gegner des Regimes, doch selbst wenn sie dies nicht wären, wären sie im Iran nicht sicher, wie viele Beispiele aus der Vergangenheit gezeit haben. Dieser Tage sind die beiden bloß einmal in der Woche vor der UNO. Es gab aber eine Zeit, wo der Platz unter der Brücke der U-Bahn-Linie 1 quasi ihr zweites Zuhause war.
Wichtigstes Protestcamp Europas
Nachdem im September 2022 die 22-jährige kurdische Iranerin Mahsa Jina Amini in Gewahrsam der Sittenpolizei ums Leben gekommen war und ihr Tod eine Welle der Proteste auslöste, organisierten die Eheleute Nayeb-Hashem und Zamini ein Protestcamp vor der Wiener UNO, das seinesgleichen in Europa suchte. In ihrem kleinen Protestzelt unter den Schienen der U-Bahn, ausgestattet mit WLAN, einem Kühlschrank, Wasserkocher und zwei Sofas, campierten sie mit anderen Aktivistinnen und Aktivisten bei jedem Wind und Wetter abwechselnd für exakt 700 Tage und Nächte. Es war die längste Kundgebung dieser Art.
Von der österreichischen Öffentlichkeit und Politik kaum beachtet, wurde in dieser Zeit das Zelt für die exiliranische Community, nicht nur in Österreich, sondern auch in Europa, ein wichtiger Hub. Von hier aus gastierten Hassan Nayeb-Hashem und Sholeh Zamini als Dauergesprächspartner in iranischen Exil-Medien als Interviewpartner; in ihr Protestzelt kamen prominente Mitstreiterinnen und Mitstreiter, wie etwa Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, eine iranische Menschenrechtsanwältin, die 2003 als erste muslimische Frau mit dieser Auszeichnung geehrt wurde – und auch deshalb Geschichte schrieb, weil sie sie ohne Kopftuch entgegennahm.
Sie könnten vielleicht nicht von Kaisermühlen aus das Teheraner Regime erschüttern, aber den Menschen, die unter den Repressalien im Iran leiden, ein wenig Hoffnung und Mut machen, sagt Zamini. Die Arbeit von Zamini und Nayeb-Hashem, sie ist der zerrende Kampf gegen das Vergessen und Verdrängen – auch als sie für diverse Nichtregierungsorganisationen im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen saßen und ihre Berichte über Verletzungen vom Menschen- und Frauenrechten im Iran vortrugen.
Der Vorleser
Hassan Nayeb-Hashem und Sholeh Zamini, heute beide österreichische Staatsbürger, lernen einander erst in Wien kennen. Er flüchtet im Jahr 1983 aus politischen Gründen, bekommt bald Asyl und beginnt mit der Facharztausbildung für Psychiatrie. 1988 kommt es zu Massenhinrichtungen im Iran. Für Nayeb-Hashem, der bereits davor in Wien kleine Tapeziertische am Schottentor und am Karlsplatz aufbaute und Passanten über die Verbrechen der Islamischen Republik informierte, sind die Exekutionen ein Wendepunkt. Viele seiner Freunde und Weggefährten werden in dieser Zeit vom Teheraner Regime getötet; in Wien bricht Nayeb-Hashem zu dieser Zeit seine Ausbildung zum Psychiater ab und wird Allgemeinmediziner.
Seine spätere Frau, heute 60 Jahre alt, kommt erst Anfang der 1990er-Jahre nach Österreich. Eigentlich wollte sie ihren Magister in Physik in den USA absolvieren, aber als ehemalige Mitarbeiterin der Atomenergiebehörde wird ihr ein Visum verwehrt, also geht sie nach Wien an die Technische Universität, wo sie später auch promoviert.
Hassan Nayeb-Hashem und Sholeh Zamini treffen in einem Physikzirkel aufeinander, da ist sie gerade einmal ein Jahr in Wien. Junge Iranerinnen und Iraner, die sich für Naturwissenschaften interessieren, trafen sich dabei in ihrer Freizeit, um über Mathematik und Physik zu diskutieren. Die beiden freundeten sich an. Bei einem Fest zur längsten Nacht des Jahres, der sogenannten Yalda-Nacht, die die Wintersonnenwende markiert, habe sie erstmals gemerkt, sagt Zamini, dass „Hassan für mich ein anderer Mensch ist“, wie sie sagt. An diesem Abend hatte Hassan, laut seiner Frau ein begnadeter Gedichtevorleser, alte persische Verse inmitten einer Runde vorgetragen. Dass er dabei ihre Hand hielt, merkten die beiden erst, als sie in die Gesichter ihrer Freunde sahen.
Iran in Floridsdorf
Es passiert nicht häufig, dass sich ihre Welt der Ordination und jene des Aktivismus berühren, vergangenen Juni jedoch war das, was im Iran passierte, von dem, was in ihrer Floridsdorfer Praxis geschah, nicht zu trennen. Viele Patientinnen und Patienten, die das Ehepaar betreut, stammen selbst aus dem Iran, viele haben immer noch Familien dort. Viele bangten um ihre Liebsten, nachdem Israel und Iran in einen mehrtägigen Krieg eingetreten waren. Verstörte und verunsicherte Besucher waren in der Praxis an der Tagesordnung, erzählt Zamini: „In dieser Zeit gab es aus unserer Ordination viele Verschreibungen für Beruhigungsmittel.“
Exil-Iraner, die sich als Monarchisten bezeichnen, hätten dabei Israel unterstützt, das Ehepaar jedoch nicht. Das heißt jedoch nicht, dass sie gegen das Existenzrecht Israels sind. „Die Islamische Republik erkennt Israel nicht an, wir jedoch schon“, sagt Nayeb-Hashem. „Was wir nicht unterstützen können, ist Krieg, egal wo er stattfindet, denn wir sind Pazifisten. Bei jedem Krieg werden Menschenrechte verletzt, und der Tod jedes einzelnen Zivilisten ist ein Kriegsverbrechen.“