Der Schatten-Kanzler-Schatten

Josef Ostermayer: Der mächtigste Mann in der Regierung

Porträt. Viele halten Josef Ostermayer für den mächtigsten Mann der Regierung

Drucken

Schriftgröße

Vergangenen Dienstag saß er ganz allein auf der Regierungsbank. Während sich unten im Plenum des Nationalrats Parlamentsneulinge mit glühenden Backen unter sicherheitshalber mit einem Mandat ausgestattete Minister mischten, hielt Josef Ostermayer, 52, allein Wache auf der Bank. Er braucht keine Sicherheiten, mit ihm geht es stetig bergauf – und das seit 25 Jahren. Schon demnächst dürfte der Jurist aus dem burgenländischen Schattendorf den vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere erreichen: Im Kabinett Faymann II ist für ihn der Posten eines Kanzleramtsministers vorgesehen. Mit welchen Agenden das neue Amt ausgestattet wird, ist noch Thema der Koalitionsverhandlungen. Spekuliert wird, Ostermayer könnte künftig für Beamte, Medien und Kunst zuständig sein, vielleicht auch für den Sport, der ohnehin nicht so recht ins Verteidigungsressort passt.

Die wichtigste Aufgabe steht nicht im Ministeriengesetz: Wie schon bisher wird Ostermayer der Kontaktmann zur ÖVP sein, der rote Koalitionskoordinator. Sein bisheriges Visavis, Finanzministerin Maria Fekter, dürfte ihm abhanden kommen. Denkbar, dass ÖVP-Obmann Michael Spindelegger zwecks Augenhöhe seinen Kabinettschef Jochen Danninger zum Staatssekretär erhöht, der dann der schwarze Koordinator wäre.
Dann hätte auch Spindelegger seinen Ostermayer.

Der Koalitionspartner weiß, wie wertvoll dieser getreue Eckhard für den Kanzler ist, denn Ostermayer hält Werner Faymann nicht nur Kleinkram vom Hals, er ist auch für weit unangenehmere Missionen zu haben. Wer trat in der Präsidentschaftskanzlei zum Rapport an, nachdem Heinz Fischer das letzte Sparpaket als „überhastet“ gerügt hatte? Josef O. Wer kam an Stelle des Kanzlers im Oktober 2012 in den peinigenden Untersuchungsausschuss zur Inseratenaffäre? Der treue Josef natürlich.

Solche Gefolgsleute wünscht sich jeder: sachkundig, loyal, persönlich weitgehend ehrgeizlos – und heftig, wenn die Lage es erfordert. Als Faymann im Frühjahr 2009, bald nach seinem Amtsantritt, ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz loswerden wollte, zeigte der opferbereite Staatsekretär, dass er auch spitz kann: „Mit bestimmten Personen könnte es Gefahren für das Unternehmen geben“, meinte Ostermayer damals in einem profil-Interview – und schob wenig später nach, es gebe „Handlungsbedarf im Stiftungsrat“, sollte das Management „nicht fähig“ sein, den ORF zu führen, was Landeshauptmann Erwin Pröll sogleich zum Schluss kommen ließ, der ORF müsse „personell neu aufgestellt“ werden.

Dass Wrabetz diese geballten Angriffe überstand und zwei Jahre später sogar noch einmal gewählt wurde, weist ihn als Überlebenskünstler aus. Denn Ostermayer ist kein leichter Gegner, wie Akteure der schwarzen Regierungsfraktion wissen: „Seine Überlegungen sind immer: Kommt eine Maßnahme gut in den Zeitungen und schwächt sie die ÖVP? Das sind seine Hauptkriterien.“

Der sanfte Josef Ostermayer – in Wahrheit eine politische Kampfmaschine? Mag sein, dass die vom Koalitionspartner wahrgenommene Angriffslust eigentlich eine Verteidigungsmaßnahme ist. Ein kritischer Geist in der SPÖ beschreibt das so: „Er hat einen defensiven Machtbegriff: Ich muss die Burgtore schließen und sie verteidigen.“ „Machterhaltungspragmatiker“ nennt ihn ein anderer Sozialdemokrat. Ostermayer sei das diametrale Gegenteil des früheren Justizministers Christian Broda: Dieser habe langfristige Visionen verfolgt; was am nächsten Tag über diese Ideen in der „Kronen Zeitung“ stand, sei ihm egal gewesen. Bei Ostermayer sei es genau umgekehrt.

Nennenswerte Parteifunktionen bekleidete Ostermayer – anders als sein Chef – in der SPÖ nie. In punkto Partei kann er nur mit einer Geschichte aufwarten: Der kleine Bub, der im 1927er-Jahr in Schattendorf von rechten Milizionären erschossen wurde, war der Bruder seiner Großmutter. Die Täter wurden freigesprochen, eine empörte Menge steckte daraufhin den Justizpalast in Brand.

Wenn er also die Luken dichtmacht und gleichzeitig trachtet, das Spielfeld für die Seinen zu vergrößern, geschieht dies meist zum Wohle des Kanzlers und Freundes. Dieser wiederum kümmert sich – anders als Ostermayer – äußerst nachhaltig um die Partei, betreibt unermüdliche Kontaktpflege und ist der intern agilste SPÖ-Obmann seit Fred Sinowatz.

Hausmacht in der Partei braucht Ostermayer daher keine: Den Schutzschirm spannt Werner Faymann auf, der – als er Kanzler wurde – seinen langjährigen Kabinettschef zwecks Ausstattung mit mehr Autorität zum Staatssekretär erhob.

Als Kanzleramtsminister wäre Ostermayer künftig eine der zentralen Gestalten der österreichischen Politik. Dabei bedürfe es nach Meinung kritischer Genossen gar keiner hierarchischen Unterfütterung, um Ostermayers Position abzusichern: „Er sitzt in unmittelbarer Nähe des Kanzlers, er hat mit ihm eine breite Vertrauensbasis, und er ist ein schlauer Jurist – das schafft große Macht.“

Sie ist dem beinahe schüchtern auftretenden Burgenländer sehr langsam zugewachsen. 1985, er ist 24, schließt er sein Jusstudium ab, macht das Gerichtsjahr und tritt 1987 in der Rechtsabteilung der SPÖ-nahen Mietervereinigung seinen ersten Job an. Deren Wiener Obmann ist ein gleichaltriger junger Mann aus Wien-Liesing, der sein Jusstudium rasch abgebrochen und sich auf seine politische Karriere konzentriert hat: Werner Faymann macht den fleißigen Juristen zu seinem engsten Mitarbeiter. Bis 1992 taucht sein Name nur als Fußzeile bei Presseaussendungen Faymanns auf: „Rückfragehinweis: Dr. Josef Ostermayer, Tel. …“. Im Mai 1994, mittlerweile ist er schon sieben Jahre im Job, hat er bereits eigene Auftritte: In den Stützpunkten der Gebietsbetreuung referiert Ostermayer in Abendveranstaltungen über „Das neue Mietrecht“.

Noch im selben Jahr macht Werner Faymann, inzwischen 33, seinen ersten großen Karriereschritt und wird Wiener Wohnbaustadtrat. Ostermayer nimmt er mit.

Dieser hat jetzt immer wichtigere Aufgaben. Faymann schickt ihn etwa als Experten in den Bautenausschuss des Nationalrats, als dort eine Wohnrechtsnovelle verhandelt wird. Laut Parlamentskorrespondenz zerpflückt der den meisten Abgeordneten unbekannte Rathaus-Mann liebevoll den Entwurf der schwarz-blauen Regierung. Bei Parlaments-Enqueten zum Thema Bauen und Wohnen vertritt er immer öfter seinen Chef.

Die beiden sind aber auch in einer bis heute nicht ganz aufgeklärten, höchst brisanten Aktion zu Gange: 2003 gründen Faymann, seine Pressesprecher Wolfgang Jansky und Ostermayer eine Gratis-Gemeindebauzeitung namens „Die Stadt“. „Krone“-Redakteure liefern Texte. Herausgeberin ist eine Stiftung namens „Urbania“, die 2004 von einer Stiftung namens „Fidelis“ abgelöst wird. „Fidelis“ gehört zu 51 Prozent dem Steuerberater Günther Havranek und zu 49 Prozent Hans Dichands Schwiegertochter Eva. Im selben Jahr gründet Faymann-Sprecher Jansky die U-Bahn-Zeitung „Heute“, an der sich „Fidelis“ zu 74 Prozent beteiligt. Was schon immer gemunkelt wurde, gab Eva Dichand 2012 zu: „Fidelis“ gehört seit 2005 ihr, also seit der Beteiligung an „Heute“.

Ein späterer Kanzler und seine Entourage als Geburtshelfer von Wiens größtem Boulevardblatt? Üppige Inseratenplantagen der Regierung und der Stadt in „Heute“ erregen logischerweise seit damals das Interesse der Öffentlichkeit.

Zeitgleich mit der Gründung von „Heute“ tritt Ostermayer 2004 ein wenig aus dem Schatten seines Chefs – allerdings nicht sehr weit: Er wird Geschäftsführer des Boden- und Stadterneuerungsfonds (später „Wohnfonds Wien“ genannt). Wohnbaustadtrat Faymann hatte den Posten ausgeschrieben, ein Personalberatungsunternehmen wählte aus zehn Bewerbern seinen Bürochef Ostermayer. Er hat jetzt eine wichtige und interessante Funktion: Der von ihm geleitete „Wohnfonds Wien“ ist einer der Player bei der Entwicklung der Seestadt Aspern, einem Jahrhundertprojekt am Wiener Stadtrand mit der doppelten Fläche des Bezirks Josefstadt. Bevor die Sache richtig in die Gänge kommt, muss er aber schon wieder weiterziehen: Werner Faymann wird im Jänner 2007 Infrastrukturminister, zu seinem Kabinettschef macht er – eh klar –Josef Ostermayer.

Zu seiner ersten eigenen Mission kann der Kanzlervertraute erst drei Jahre später aufbrechen. Ein Jahr lang fährt Ostermayer einmal im Monat in einem VW-Bus, mit Verfassungsjuristen, durch Kärnten und verhandelt über die Lösung der Ortstafelfrage. Dass diese tatsächlich gelingt, ist sowohl der Beharrlichkeit des Staatssekretärs als auch der Gunst des Augenblicks zu verdanken: FPK-Landeshauptmann Gerhard Dörfler weiß, dass er mit der Ortstafel-Nummer nur noch an dumpfen Biertischen punkten kann, Wahlen lassen sich damit nicht mehr gewinnen. Ostermayer ermöglicht ihm einen Ausweg, bei dem er nicht das Gesicht verliert. Die beiden sind bis heute befreundet.

164 zweisprachige Ortstafeln werden nach der Einigung aufgestellt, das sind mehr, als der frühere „Schüssel-Plan“ vorsah (158), aber weniger als die unter Bruno Kreisky aufgestellten 205 Schilder, die 1972 zum berühmten Ortstafelsturm geführt hatten.

In einigen Zeitungen wird Ostermayer daraufhin beinahe hymnisch gefeiert. Im Überschwang will „Falter“-Herausgeber Armin Thurnher in ihm gar ein Abbild des vom Soziologen Max Weber 1919 entworfenen Idealpolitikers sehen, der an den Kriterien Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Engagement zu bemessen ist.

Im Falle Ostermayers wäre noch das Kriterium Anhänglichkeit zu nennen: Im vergangenen Wahlkampf wich er nicht von Faymanns Seite. „Gemeinsam mit Staatssekretär Ostermayer“ habe Faymann die Firma Salesianer in Wiener Neustadt besucht, meldete der SPÖ-Pressedienst. „Als Ehrengast“ habe auch Ostermayer bei der Kundgebung in Freistadt teilgenommen. „Gemeinsam mit Ostermayer“ besuchte der Kanzler das neue Pflegeheim in seinem Heimatbezirk Liesing, Ostermayer war bei der Rieder Messe „unter den Gästen“, beim Wahlkampfauftakt im Burgenland „unter den anwesenden Gästen“ und „gemeinsam mit Staatssekretär Ostermayer“ besichtigte der Kanzler das Ausbildungszentrum Gloggnitz.

Man kann es auch übertreiben: Als der Kanzler mit Hanno Settele auf „Wahlfahrt“ ging, winkte Ostermayer bei der Abfahrt. Als der ORF-Mercedes am Ziel eintraf, war Josef O. schon zur Begrüßung angetreten.