Kinderabschiebung: Tinas Abschiebung war „rechtswidrig“

Das Bundesverwaltungsgericht hat ein Machtwort gesprochen. Anwalt Wilfried Embacher spricht von einem „Durchbruch für Kinderrechte“

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Für den Wiener Rechtsanwalt Wilfried Embacher fing die Woche gut an. Als er Montag früh seine Mails öffnete, fand sich darunter eine Nachricht, auf die er kaum zu hoffen gewagt hatte: Seiner Maßnahmenbeschwerde gegen die Abschiebung der 12-jährigen Schülerin Tina, ihrer Schwester Lea, 5, und ihrer Mutter nach Georgien sei stattgegegeben worden. Das Bundesverwaltungsgericht erklärte die Abschiebung der Familie im Jänner 2021 für „rechtswidrig“.  

Laut Embacher ist das nicht weniger als ein „Durchbruch für die Kinderrechte. Nach elf Jahren wird das Verfassungsgesetz endlich ernst genommen und künftig hoffentlich in ähnlich gelagerten Fällen auch angewendet“. 

Zur Vorgeschichte, über die profil ausführlich berichtete: Am 28. Jänner 2021 war Tina gemeinsam mit ihrer Mutter Nino und ihrer jüngeren Schwester nach Georgien abgeschoben worden. Freundinnen und Schulkollegen der 12-jährigen protestierten vor dem Schubhaftgebäude in Wien-Simmering. Der Protest fand Zulauf und erregte mediales Aufsehen. Grüne zeigten sich solidarisch. In der grün-türkisen Koalition knirschte es im Gebälk. Dennoch wurde die Familie nach Georgien ausgeflogen.  

Kurz bevor das Jahr sich zu Ende neigte, war Tina in Wien zurück. Anwalt Wilfried Embacher war nach Georgien geflogen, um sie abzuholen. profil begleitete die Rückkehr der Jugendlichen Inzwischen erhielt Tina ein Schülervisum. Sie geht nun wieder in das Gymnasium, aus dem sie durch die Abschiebung vor mehr als einem Jahr jäh gerissen wurde.  

Darauf stellt nun das Bundesverwaltungsgericht ab: Zwischen der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung aus dem Jahr 2019 und der tatsächlichen Rückkehr der Familie waren 16 Monate vergangen. Das Bundesverwaltungsgerichts verweist in dem neuen Erkenntnis darauf, dass bei Kinderabschiebungen die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder“ zu prüfen und insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen“ seien. 

Zu erwägen sei vordringlich, „wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden – und ob „aus dem Blickwinkel des Kindeswohles mehr für den Verbleib im Bundesgebiet als für die Rückkehr in den Herkunftsstaat spricht, und dieses private Interesse mit dem öffentlichen Interesse eines friedlichen Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Herkunft und damit des Zusammenhalts der Gesellschaft in Österreich korreliert“.  

Tina war zum Zeitpunkt der letzten Rückkehrentscheidung elf Jahre alt, ihre Schwester Lea war knapp vier. Bis zu ihrer Abschiebung hatte die Ältere mehr als zehn Jahre ihres Lebens in Österreich verbracht und damit ihre „grundsätzliche Sozialisierung in Österreich erfahren“, hielt das Bundesverwaltungsgericht fest. Zwar habe ihre Mutter eine „beharrliche, qualifizierte Missachtung der fremdenrechtlichen Vorschriften“ an den Tag gelegt. In ihrem Verhalten sei jedoch keine „besondere Gefährlichkeit“ zu erblicken. Immerhin habe sie die Frau nie ein Einreiseverbot erhalten.  

Zum Zeitpunkt der Abschiebung im Jänner 2021 sei im Fall von Tina von einer „bereits starken Verwurzelung“ auszugehen. Die Jugendliche besuchte die dritte Klasse Gymnasium und war hier gut eingebettet. Das sei im Verhältnis zum „öffentlichen Interesse an der Aufenthaltsbeendigung“ der – zumal unbescholtenen - Mutter nicht ausreichend gewichtet worden. Abschließend befindet das Bundesverwaltungsgericht, Tinas Abschiebung nach Georgien „erwies sich sohin als rechtswidrig, da nicht ausreichend gesichert war, dass die sie betreffende Rückkehrentscheidung zum Zeitpunkt der Abschiebung noch wirksam war“. Im Sinne der Wahrung der Familieneinheit schlage dies auch auf ihre Mutter und ihre Schwester Lea durch, die nach wie vor in Georgien sind. 

Und nun? Rechtsanwalt Embacher fordert, den „rechtswidrigen Akt rückgängig zu machen, die Mutter und die Schwester Tinas einreisen zu lassen“. Danach sei rechtlich zu überprüfen, ob eine Abschiebung zulässig sei und im abschlägigen Fall ein Aufenthaltstitel zu erteilen. Tina kam bei einer Gastfamilie in Wien unter. Bald könnte das Mädchen wieder mit ihrer Mutter und ihrer Schwester unter einem Dach leben. Ein Happy End ist in Aussicht.  

 

 

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges