Die Lage am Morgen: Interregnum, Tag 11

Es bleibt turbulent. Und es bleibt den politischen Kräften dieses Landes, die sich laut jüngsten Umf

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Es bleibt turbulent. Und es bleibt den politischen Kräften dieses Landes, die sich laut jüngsten Umfragen mit den laufenden Umbrüchen längerfristig anfreunden müssen werden, weiterhin zu wünschen, dass sie von der Kunst nur einen Bruchteil dessen zu lernen beginnen, was diese von der Politik längst weiß.

Der neue Chef am Burgtheater, Martin Kusej, hat seinen ersten Spielplan präsentiert, der auch als energische Maßnahme gegen Nationalismus und Monokulturalismus zu verstehen ist. Und im Wiener Rathaus wird heute Vormittag, wenn nicht alles täuscht, der deutsche Regisseur Kay Voges, 47, Noch-Intendant des Schauspiels Dortmund, als Anna Badoras Nachfolger am Wiener Volkstheater vorgestellt – ein Freund der kontrollierten Sprengung konservativer Bühnen-Erzählformen. Seine Radikalität basiert nicht nur auf Zerstörungslust, sondern auch auf Wertschätzung: "Meine Leitbilder sind Respekt und Hingabe", sagte Voges unlängst in einem Interview mit der "Berliner Zeitung" – und: "Lasst uns achtungsvoll miteinander umgehen, von der Reinigungskraft bis zum Intendanten. Und das Produkt ist wichtiger als die Eitelkeit der Macher." Österreichs politische Köpfe mögen sich solche Positionen hinter alle verfügbaren Ohren schreiben. (Wo wir schon davon reden: Respekt und Achtung, beispielsweise vor den Rechten besorgter Klimademonstranten, wären auch der Wiener Polizei künftig zu wünschen.)

Wie sehr die Politik zum Spielfeld hochintelligent inszenierter Kunstaktionen werden kann, zeigt zudem die Geschichte des deutschen Zentrums für politische Schönheit (ZPS), das seit zehn Jahren gegen Rechtsradikalismus und Xenophobie polemisiert – und von der Ibiza-Affäre möglicherweise mehr weiß (oder sogar zu ihr beigetragen hat), als es derzeit noch zugeben will. Turbulenzen sind der kreative Motor des ZPS – und zugleich sein Ziel. Sie haben in diesen Zeiten viel zu tun.

Genau wie wir, die diesem Nachrichtenmagazin Sinn und Form zu geben versuchen.

Schönen guten Morgen. Bleiben Sie dran.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.