Streitgespräch

"Als Sittenwächter sollten wir auch auf die eigenen Sitten achten"

Ingrid Thurnher (ORF), Johannes Bruckenberger (APA) und Christian Rainer (profil) über milieubedingte Anziehungskräfte zwischen Journalisten und Politikern.

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Vergangene Woche verloren zwei einflussreiche Medienmacher ihre Jobs. ORF-TV-Chefredakteur Matthias Schrom trat zurück, weil er in publik gewordenen Chats mit Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache aus dem Jahr 2019 über angeblich linke und SPÖ-nahe Kollegen gelästert und blaue Personalwünsche diskutiert hatte. Dem Chefredakteur der „Presse“, Rainer Nowak, wurden Chats mit dem früheren Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, zum Verhängnis. Darin bat Nowak um Unterstützung bei seinen Ambitionen auf den Generaldirektoren-Job im ORF und gab Schmid Tipps für den Umgang mit einer „Presse“-Redakteurin. Die prominenten Sündenfälle lösten eine breite Diskussion über die ungesunde Nähe von Politik und Medien aus.

Vergangenen Donnerstag bat profil ORF-Radiodirektorin Ingrid Thurnher und den Chefredakteur der Austria Presse Agentur, Johannes Bruckenberger, zu einem Round-Table-Gespräch mit Herausgeber Christian Rainer. Die Diskutanten und Moderator Gernot Bauer kennen einander seit vielen Jahren und sind per Du. Gesprochen wurde auch über milieubedingte Annäherungsversuche und die individuellen Grenzen im privaten Beisammensein mit Politikern.

Rudolf Renger, Doyen der Journalistenausbildung, sieht in den verfänglichen Chats von ORF-Chefredakteur Matthias Schrom und „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak „eine Erosion der journalistischen Berufsintegrität“. Hat er recht?
Bruckenberger
Diese Chataffären untergraben das Vertrauen in unabhängige Medien. „Die Presse“ ist ein hervorragendes Blatt mit tollen Journalistinnen und Journalisten, Rainer Nowak ist ein großartiger Blattmacher. Dass sein Agieren ein Fehler war, weiß er. Als Vertreter in den Gremien der APA hat er sich in heiklen Situationen massiv für deren Unabhängigkeit eingesetzt. Klar ist aber auch, dass zu große Nähe zur Politik Gift ist. Äquidistanz muss oberstes Gebot sein. Transparent und angstfrei mit eigenen Fehlern umgehen. Glaubwürdigkeit ist unser höchstes Gut.
Ist die Glaubwürdigkeit des ORF wegen Schroms Chats beschädigt?
Thurnher
Ich hoffe nicht. Wichtig war die rasche Reaktion der Geschäftsführung und des Redakteursrats. Wir haben die Unabhängigkeit des ORF entschlossen verteidigt. Grundsätzlich muss man sagen, dass schon der Anschein einer unbotmäßigen Nähe reicht, um diese Glaubwürdigkeit zu beschädigen. 
Rainer
Der Anschein an sich muss noch kein Problem sein. Die Bibel für uns Print-Journalisten ist „Die Zeit“, bei der mit Helmut Schmidt ein früherer SPD-Kanzler sogar Herausgeber war.  War das ein Problem? Nein. Denn es war deklariert. Die Nähe zu einem Politiker darf aber keinen Einfluss auf die Berichterstattung haben. Und ein schweres Vergehen ist es, wenn man aus dieser Nähe einen persönlichen Vorteil ziehen will, wie das offenbar bei meinem Freund Rainer Nowak war. Bei Matthias Schrom würde ich dies eher nicht gesehen haben.
Thurnher
Aber wo ziehst du die Grenze, um diesen Anschein zu vermeiden? Politiker zu treffen, gehört zum Geschäft. Aber ist es gescheit, sich mit ihnen ablichten zu lassen? Da fragt sich das Publikum, ob dieser Journalist überhaupt unvoreingenommen über den Politiker, mit dem er posiert, berichten kann.
Ingrid Thurnher spielt auf mehrere Fotos von dir, Christian, an, die in sozialen Medien kursieren. Eines zeigt dich mit Sebastian Kurz in einem Lokal in Wien, ein anderes mit Gernot Blümel, Rainer Nowak und „Heute“-Chefin Eva Dichand in die Kamera lachend.
Rainer
Es gibt viele Fotos von profil-Weihnachtsfeiern oder ORF-Großveranstaltungen, auf denen vermutlich auch Ingrid Thurnher mit einem Glas Alkohol in der Nähe von Politikern zu sehen ist. Ganz entziehen kann man sich dem nicht. 
Die profil-Weihnachtsfeiern oder ORF-Feste sind große semiöffentliche Veranstaltungen. Die angesprochenen Fotos entstanden bei kleinen privaten Treffen.
Rainer
Es gibt auch kleinere Runden, in denen man mit Politikern in Kontakt kommt. Und dann gibt es einen Wirt, der schnell ein Foto macht und ins Netz stellt, das eine freundschaftliche Nähe simuliert, die so nicht existiert. Auch in kleiner Runde kann man die notwendige journalistische Distanz einhalten und einen mentalen Vorbehalt wahren. 
Bruckenberger
Ich halte es generell für vernünftiger, wenn Journalisten weniger aus Instagram oder Twitter herausschauen und mehr aus ihren eigenen Zeitungen. Aber das sei nur am Rande gesagt.
Gibt es im Internet Fotos von dir in kleiner Runde mit einem Bundeskanzler?
Bruckenberger
Nein, aber ich war regelmäßig auf Empfängen von Politikern, etwa beim SPÖ-Kanzlerfest oder beim Charity-Punsch-Trinken von Sebastian Kurz. 

Die Nähe zu einem Politiker darf keinen Einfluss auf die Berichterstattung haben.

Christian Rainer 

Auch das sind Großveranstaltungen. Rainer Nowak war mit ÖVP-Spitzenpolitikern in einem exklusiven Club feiern.
Bruckenberger
Jeder muss für sich entscheiden, wo er hingeht. Allerdings haben Chefredakteure viele repräsentative Aufgaben. Die Grenze zum Privaten würde ich nicht überschreiten wollen.
Rainer
Ich hielte es für Unsinn, wenn ein Chefredakteur keinen persönlichen Kontakt zu Vertretern aus Politik und Wirtschaft suchte. Das Problem bei uns ist die Mischung aus Zentralismus und Provinzialität. In Wien ist der politisch-mediale Betrieb auf engem Raum zentriert, und in Linz oder Salzburg drängt sich alles aufgrund der Provinzialität. Die Nähe ist fast unausweichlich.
Kann man mit Politikern auf Urlaub fahren? 
Thurnher
Mit einem aktiven sicher nicht.
Was ist für Sie die Hauptsünde von Journalisten im Umgang mit Politikern?
Thurnher
Zum einen besteht sie in der Verquickung von wirtschaftlichen und journalistischen Interessen, nach dem Prinzip: Ich gebe dir ein Inserat, du gibst mir einen freundlichen Artikel. Und natürlich darf ein Journalist seine Position nicht nützen, um sein Fortkommen zu verhandeln.
Würden Sie das Medienkorruption nennen?
Thurnher
Wir schrammen da an einer schwierig zu definierenden Grenze entlang. Korruption ist ein strafrechtlicher Tatbestand. Soweit ich es heute beurteilen kann, sind die zwei aktuellen Fälle ohne strafrechtliche Relevanz.

Die Verdammung des Berufsstandes ist der Schaden, der als Folge der nun bekannt gewordenen Fälle entstanden ist.

Ingrid Thurnher 

Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache lud Journalisten um diese Zeit gern zum gemeinsamen Gansl-Essen. Solange Strache Oppositionspolitiker war, reichte dazu das Hinterzimmer eines Wirtshauses. Sobald er Vizekanzler war, kamen so viele Journalisten, vor allem vom ORF, dass das ganze Lokal gemietet wurde.
Bruckenberger
Zu solchen Veranstaltungen geht man als Journalist ja nicht zur Verhaberung, sondern um Hintergrundinformationen zu erhalten und sich ein besseres Bild über die politische Lage machen zu können. Aus Sicht der Politik ist das professionelle Medienarbeit. Auch die Grünen haben diese Woche zu einem Journalisten-Abend geladen.
Rainer
Es kommt auch drauf an, welches Bild man abgibt. Wenn ich um vier Uhr früh mit Strache betrunken herumhänge, werde ich zu Recht ein Problem bekommen. Ein Vier-Augen-Essen mit einem FPÖ-Obmann oder einem Bundeskanzler ist nicht problematisch. Es hilft bei der persönlichen Einschätzung.
Müssen sich solche Begegnungen in Privatwohnungen abspielen, wie es manchmal der Fall ist?
Bruckenberger
Früher haben Politiker regelmäßig in ihre Wohnungen oder Häuser geladen, etwa Bruno Kreisky. Heute ist das nicht mehr üblich, und das ist auch gut so.
Thurnher
Apropos früher. Man muss schon festhalten: Das Bild, es sei derzeit so schlimm wie nie zuvor, stimmt nicht. Wir erinnern uns an Zeiten, als man von Politikern zu Weihnachten so viele Geschenke erhielt, dass man sich kaum wehren konnte. Die heutigen Compliance-Regeln verbieten derlei. 
Rainer
Bei aller Notwendigkeit zu Reflexion und Selbstkritik wehre ich mich gegen die jetzige Selbstzerfleischung. Was wir sehen, sind schwere Fehler, aber Einzelfälle. Es ist falsch, daraus ein generelles Problem der Branche zu machen und zu behaupten, alle Journalistinnen und Journalisten wären für moralische Korruption anfällig. 
Thurnher
Die allermeisten Kolleginnen und Kollegen sind ohnehin entspannt, weil sie derartige Chats nie geführt haben. Die kollektive Verdammung des Berufsstandes, auch durch Journalisten, ist allerdings der Schaden, der als Folge der nun bekannt gewordenen Fälle entstanden ist.
Bruckenberger
Dieses Blame-Game, das einzelne Kollegen spielen, ist oft nur redaktionelles Marketing für das eigene Unternehmen. Die Selbstkontrolle der Medien funktioniert. Die Journalisten in ORF und „Presse“ lassen sich so ein Verhalten ihrer Vorgesetzten nicht gefallen. Hebt man alles eine Ebene höher, kann man die jüngsten Ereignisse auch als Folge der nicht vorhandenen Medienpolitik sehen. Die Politik interessiert sich nur dafür, wie oft sie in der „ZIB“ vorkommt, in der „Kronen Zeitung“ und auf orf.at. Oder wie die Aufmacher in den Zeitungen oder  Titel einer APA-Meldung aussehen. Die Inseratenvergabe und Medienförderungen nach Gutsherrenart begannen unter Werner Faymann in Wien. Die türkise Sekte um Kurz hat diese Methoden noch einmal auf die Spitze getrieben. 
In den nun veröffentlichten Chats schreibt der Unternehmer und Kurz-Förderer Alexander Schütz, man müsse auch bei der APA „aufräumen“. 

Wir Journalisten stellen an uns höhere moralische An-sprüche als die Politiker an sich.

Johannes Bruckenberger 

Bruckenberger
Herr Schütz kann gern zu mir ins Büro kommen und aufräumen. Man muss nicht immer ernst nehmen, was irgendwelche Glücksritter von sich geben. Er hat das in einem Chat mit der FPÖ geschrieben. Schon Jörg Haider wollte in den „Redaktionsstuben aufräumen“. Es zeigt das Problem, dass diese Partei mit unabhängigem Journalismus hat.
Rainer
Die Politik operiert mit Zuckerbrot und Peitsche.  Gerade gegenüber dem ORF wird oft mit Drohungen gearbeitet. Was das Zuckerbrot betrifft, geht es nicht nur um Anzeigen. Es wird auch mit Informationen gehandelt, mit Exklusivgeschichten oder auch Bildern. Ich nenne es den Panda-Effekt. Beim Besuch von Alexander Van der Bellen und Sebastian Kurz in China im Jahr 2018 gab es nur einen Journalisten, der mit ins Bärengehege durfte und ein Foto von Kurz mit einem Panda machen konnte. Das war der Außenpolitik-Chef der „Kronen Zeitung“. Das Foto war dann natürlich auf der Aufmacher-Seite der „Krone“. 
Laut einer Erhebung von Eurobarometer ist das Vertrauen der Österreicher in die Medien seit 2020 von 62 auf 43 Prozent gesunken. Liegt das auch am Umgang mit der Corona-Pandemie?
Bruckenberger
„Die Medien“ ist ein undifferenzierter Begriff. Es gibt auch Umfragen, die besagen, dass das Vertrauen in Qualitätsmedien gestiegen ist. Insgesamt erodiert das Vertrauen. Das hat mit unserer Rolle zu tun. Wenn wir über Fehlverhalten in der Politik berichten, sind wir mitgefangen. Und wer in einer nicht besonders rosigen Lage schlechte Nachrichten verbreitet, gewinnt damit keinen Blumenstrauß. In der Pandemie waren wir zu Beginn vielleicht zu sehr Transporteur der Regierungslinie, haben nach kurzer Zeit aber wieder unsere Kontrollfunktion wahrgenommen. 
Rainer
Wir haben aus dem Umgang mit der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 gelernt, als wir erst nach einer langen Schrecksekunde begriffen, dass man auch auf die Gefühle der Leute eingehen muss. In der Bericht-erstattung über die Pandemie sind wir rechtzeitig umgeschwenkt. Das Glaubwürdigkeitsproblem der klassischen Medien hängt auch mit den sozialen Medien zusammen, deren schleichendes Gift in die Gesamtbefindlichkeit der Bevölkerung diffundiert. Allerdings ist dieser Vertrauensverlust ungerechtfertigt. Die Medien waren es, die die Skandale aufdeckten, von Ibiza bis zu den türkisen Chats. Allerdings färbt das negative Image der Politik auf fast perverse Art auf die – jenes Image mit Recht zeichnenden – Medien ab. 
Wir stellen hohe Erwartungen an Politiker und fordern, dass nicht das Strafrecht Maßstab sei, sondern die Moral. Müssen Journalisten, die kein Amt innehaben, auch diesem Anspruch genügen?
Bruckenberger
Nach den jüngsten Chat-Veröffentlichungen gab es keine Konsequenzen für Politiker, für Journalisten aber schon, weil wir an uns höhere moralische Ansprüche stellen als die Politiker an sich.
Rainer
Wenn wir die Sittenwächter sind, sollten wir auch auf die Sitten im eigenen Haus achten.
Sittenwächter können auch leicht ins Dogmatische kippen.
Rainer
Ich kenne von der Politik keine Selbstregulative, wie es sie im Journalismus gibt. Wir haben Statute, Redaktionsausschüsse, den Presserat. Die Politik ist in vielen Fällen ein schmutziges Geschäft. Über den Journalismus würde ich das nie sagen.
Thurnher
Ich möchte die öffentliche Pauschalverurteilung der Politiker nicht unwidersprochen lassen. Wir wehren uns ja auch, wenn behauptet wird, Journalisten wären bestechliche Falotten. Die Politik ist ein schwieriges Geschäft. Man sollte diese Arbeit auch wertschätzen. 
Junge Berufskolleginnen und Berufskollegen verabschieden sich vermehrt vom traditionellen Konzept der neutralen Berichterstattung und betreiben einen aktivistischen Journalismus. Sie argumentieren, es gäbe keine Objektivität. 
Bruckenberger
Ich halte das für problematisch. Aktivismus mag in manchen Bereichen communitybildend sein, schadet aber der Glaubwürdigkeit.
Rainer
Ich orte bei manchen unserer Kollegen sogar Anzeichen von Persönlichkeitsspaltung. Sie betreiben erstklassigen Journalismus,  aber auf Twitter reinen Aktivismus. Was uns in der Redaktion aber mehr beschäftigt: Wir dürfen unseren Leserinnen und Lesern nicht mehr von der Kanzel herab die Welt erklären. Das hat sich geändert. Wir stehen mit ihnen im Diskurs und haben viel von unserer früheren Arroganz verloren. 
Thurnher
Nicht jeder Journalist, der kritisiert, dass es keine ausreichenden Maßnahmen gegen den Klimawandel gibt, ist schon ein Aktivist. Wenn man aber Teil der Bewegung wird und sich am liebsten auf der Straße ankleben würde, geht es sich mit der Berichterstattung darüber nicht mehr aus. Da erleben wir im Moment eine Verwässerung zwischen Klima-Journalismus und Klima-Aktivismus. Eine Versachlichung wäre gut.
Ein gemeinsames Punschtrinken von Journalisten und Politikern wird es heuer wohl nicht geben.
Bruckenberger
Ich habe bisher keine Einladungen erhalten. Das hat aber mehr mit der Pandemie zu tun.
Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.