Medienkrise in Österreich: Wer wird noch Korruption aufdecken?
In Österreichs Medienbranche kracht es: Zuletzt reihte sich Servus TV in die lange Liste der Medien ein, die Kürzungen verkündeten. Zuvor wurden Personalabbaupläne bei der „Kleinen Zeitung”, der „Presse“, dem „Standard” und weiteren journalistischen Medien bekannt. Und auch das größte Medienunternehmen des Landes, der ORF, muss sparen – betroffen sind dort auch Promis mit hochdotierten Altverträgen, etwa der Autor Thomas Brezina.
Rund 100 Stellen wurden seit September über die Branche hinweg abgebaut – in Summe gibt es beim AMS bald mehr als 1000 arbeitslose Journalistinnen und Journalisten.
profil hat mit drei Beobachtern der Branche gesprochen und sie gefragt, warum es gerade jetzt derartig kracht und ob sie noch einen Ausweg sehen.
Warum jetzt?
Die Probleme sind vielfältig: Seit Jahren schrumpft der Werbemarkt. Anzeigenerlöse wandern zu Plattformen wie Meta und Google, die mit Billigstpreisen und direktem Targeting von Zielgruppen punkten – ein lange absehbarer Trend, sagt Kommunikationswissenschafter Josef Trappel von der Universität Salzburg. Sein Team erstellt jährlich den Digital News Report für Österreich, der vom renommierten Reuters Instituts der Universität Oxford publiziert wird – es ist die relevanteste Studie , die es zum Zustand der Nachrichtennutzung gibt.
Neben Werbung versiegt auch die zweite Einnahmenquelle für Medien zusehends: Abos. Jüngere Zielgruppen zahlen seltener für Medien als ihre Elterngeneration. Die Gratismentalität im Internet ist ein Grund dafür.
Und dann ist da noch die KI: Bei Google spielt seinen Nutzern bei Suchanfragen seit kurzer Zeit KI-Zusammenfassungen aus. Das führt zu weniger Reichweiten für Nachrichtenseiten und erhöht den Druck auf die Branche weiter. Dass die KI-Ergebnisse oft inhaltlich falsch sind, ändert daran nichts.
Lange konnte der österreichische Medienmarkt die reduzierten Erlöse mit „normalen“ Abgängen und Pensionierungen abfangen, aber jetzt müssen tatsächliche Einschnitte erfolgen. Oft würden jene zuerst gehen, die noch woanders einen Job bekommen könnten, sagt Medienforscher Andy Kaltenbrunner vom Medienhaus Wien. Das seien oft die besten, gleichzeitig sei das wiederum schlecht für die Redaktionen und den Nachwuchs.
Inhalte in den Sozialen Medien oder anderen Plattformen ersetzen keinen Journalismus. Dieser hat Pflichten; Plattformen sind haftungsbefreit – ein struktureller Nachteil für journalistische Medien, so Walter Strobl vom Presseclub Concordia. „Nicht-journalistische Massenmedien verfolgen meistens auch eigene Interessen.“ Dazu zählt zum Beispiel Facebook. Journalistische Tugenden wie das Zeigen beider Seiten, die Wahrheitsfindung und Quellenkritik gehören nicht dazu. Und auch eine Erholung des Werbemarkts sei keine in Sicht, solange auch die Wirtschaft in der Krise steckt.
Wen trifft die Krise besonders?
Es trifft Junge und Alte. Die Jungen sind rechtlich schlechter geschützt und daher leichter kündbar, die Alten sind teurer und können dadurch ebenfalls auf der Kürzungsliste landen. Wenn langgediente Journalisten gehen müssen, entstehe allerdings auch ein Nachwuchsproblem in der Branche: Journalismus braucht Erfahrung – zum Bewerten von Sachverhalten, zum Schreiben von Texten und „in der Praxis lerne man sehr, sehr viel dazu”, so Strobl.
Frei arbeitende Journalistinnen und Journalisten, jene ohne Festanstellung, trifft es doppelt: weniger Aufträge, stagnierende Honorare, fehlender Rechtsschutz – das engt Recherchen ein.
Die Crux mit dem Fördern
Österreich ist ein kleines Land mit einer hohen Konzentration an Medien. Das habe man auch daran erkannt, dass kein Investor bereit gewesen sei, die Marke „Wiener Zeitung“ im Eigentum der Republik in ihrer früheren Form zu retten, sagt Trappel.
Insbesondere der Onlinemarkt sei in Österreich unterentwickelt, sagt Trappel – hinter ORF.at und den Online-Auftritten von „Krone” und –„Standard” komme lange nichts. Beispiele in Nordeuropa, England und Spanien zeigen, dass tragfähige Onlinemodelle ohne staatlichen Zuschuss möglich sind. Als Vorbilder dienen „El Diario“ oder „El Confidencial“ in Spanien. „Da müssen wir auch hinkommen“, so Kaltenbrunner.
„Langfristig braucht es auch Medien, die am Markt bestehen, da führt kein Weg daran vorbei“, so Walter Strobl.
Fleckerlteppich Förderungen
Die Förderungen für Medien wurden in den vergangenen Jahren stark erhöht, doch sie können den Verlust an Anzeigen und Abos nun nicht mehr kompensieren. Staatliche Gelder würden oft am Produkt vorbeizielen, kritisiert Kaltenbrunner: Koordination zwischen Bund und Ländern fehlt, Qualitätsanforderungen sind verwässert, die Wirkung auf Beschäftigung unklar – Treffsicherheit fehlt. „Inzwischen sind selbst Gratiszeitungen hoch förderbar. Das war ein Paradigmenwechsel der letzten zwei Regierungen, aus welchen Gründen auch immer“, so Kaltenbrunner.
Aktuell habe der Gesetzgeber ein Bild von Journalismus aus den 1920er-Jahren, dass die heutigen Realitäten in Herstellung und Vertrieb von Journalismus nicht ausreichend berücksichtigt, sagt Strobl. Das gelte aber nicht nur für Förderungen, sondern auch für berufsspezifische Regeln wie im Datenschutz.
Bei der Qualitätsförderung, eingeführt unter Türkis-Grün, fehle die Treffsicherheit, moniert Trappel: „Da wird der Förderzweck nicht erreicht, es braucht eine Reparatur.“ Belege dafür sieht auch Kaltenbrunner: Wenn seit dem Start der Förderschiene rund 80 Millionen ausgegeben wurden, vor allem um journalistische Arbeitsplätze zu sichern und diese im Ergebnis permanent verloren gegangen sind, „dann dürfte das nicht besonders treffsicher sein, um es vorsichtig zu formulieren“.
„Je mehr langfristige Förderungen es gibt, desto problematischer wird die Flanke Unabhängigkeit gegenüber Staat und Politik – kurz- und mittelfristig sind sie aber wichtig, vor allem, wenn der Anzeigenmarkt, so wie aktuell zusätzlich auch aus Rezessionsgründen, einbricht“, so Strobl.
Geförderte Neugründungen mit zeitlich begrenzten Förderungen können auch scheitern, aber das gehört im Journalismus ebenso wie in anderen Innovations- und Start-Up-Sektoren dazu, erklärt Kaltenbrunner. Wenn zwei Projekte von zehn überleben, dann ist wäre schon ein Gewinn für die österreichische Medienlandschaft.
Neben Förderungen verzerren Inserate der öffentlichen Hand, die oft politisch beliebig vergeben werden, Österreichs Medienmarkt. Für Andy Kaltenbrunner waren sie 2024 noch immer zu hoch, es brauche stattdessen mehr gezielte Förderung, die aber klüger konzipiert ist als derzeit und für alle transparent nachvollziehbar, um politischer Abhängigkeit des Journalismus entgegenzuwirken.
Tatsächlich kürzt die Koalition aus ÖVP, SPÖ und Neos aktuell das Inseratenbudget stark, ohne allerdings die Förderungen zu erhöhen. Ein weiterer Treiber der Krise.
Was nun?
„Jedes verantwortliche Medienunternehmen muss überlegen, wie sie in Zukunft ihre Dienstleistungen aufstellt“, sagt Trappel. Man müsse sich schrittweise von der Werbefinanzierung verabschieden und hin zur Direktfinanzierung. Eine gute Nachricht gibt es: Die Zahlungsbereitschaft sei aber im letzten Jahr erstmals signifikant gestiegen, zeigt seine Forschung.
Für die Politik sieht Kaltenbrunner im Moment ein Zeitfenster, um aktiv zu werden. Die Perspektive für Medienpolitik reiche oft nur bis zum nächsten Wahltermin, was realpolitisch verständlich sei – aber das sei viel zu kurz gedacht und gefährlich, sagt Kaltenbrunner. Die Sicherung von Qualität und Vielfalt der Medien und damit einer kritischen Öffentlichkeit ist ein langfristiger Demokratieprozess, den sich nicht nur Medienmacher und Politik kurzfristig und diskret ausmachen dürfen.
Journalismus lasse sich nicht nur durch wirtschaftliche Kennzahlen bewerten, so Strobl, , er hat auch einen demokratischen Wert: Insbesondere verlässliche Information, Kritik und Kontrolle sind eine wichtige Entscheidungsgrundlage im demokratischen Prozess.
Wenn Medien sparen müssen, gibt es weniger Ressourcen, um Korruption und Missstände aufzudecken. Das können auch internationale Medien kaum kompensieren, die digital immer stärker den österreichischen Markt mitbeackern. Das mag gut für alle sein, die sich an öffentlichen Geldern bereichern. Für die Demokratie ist es das nicht.