Österreich

Mehr fürs Heer

Das marode Bundesheer erhält 16 Milliarden Euro zusätzlich und soll von einer bewaffneten Feuerwehr zur modernen Armee hochgerüstet werden. Zu einem möglichen NATO-Beitritt verweigert die Politik jegliche Diskussion.

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Was, wenn Wien Kiew wird? Seit zwei Wochen wird die ukrainische Hauptstadt mit Raketen und Kamikaze-Drohnen angegriffen. Beinahe täglich wird Luftalarm ausgelöst-und jedes Mal müssen die Einwohnerinnen und Einwohner in Schutzbunker flüchten und dort ausharren - oft stundenlang. Allerdings: Nach Angaben des ukrainischen Generalstabs würde es der Luftabwehr gelingen, zumindest den Großteil der Drohnen abzuschießen.

Die österreichische Bundeshauptstadt wäre im Falle eines Angriffs aus der Luft ungeschützt. Auch die wichtigste Einrichtung des Heeres, der Fliegerhorst Zeltweg, Stützpunkt der Eurofighter-Flotte, kann nur unzureichend verteidigt werden. Die Reichweite der österreichischen Mistral-Flugabwehrraketen beträgt nicht einmal zehn Kilometer.

In Zukunft soll das Bundesheer auch Raketen, Drohnen oder Flugzeuge innerhalb eines Radius von 40 Kilometern bekämpfen können. Das dazu notwendige Medium-Range-Surface-to-Air-System wäre die teuerste Investition in die Luftraumsicherung seit dem Kauf der 15 Eurofighter vor 20 Jahren. Schweden gab erst kürzlich 3,2 Milliarden Euro für ein solches Waffensystem aus, die Schweiz 2,6 Milliarden.
 

Die Großinvestition ist Teil eines Milliardenpakets zur Modernisierung des österreichischen Bundesheeres, das vor einem Jahr noch undenkbar gewesen wäre. Doch der russische Angriff auf die Ukraine, deren Westgrenze nur 400 Kilometer Luftlinie von Wien entfernt ist, schockte auch die politisch Verantwortlichen. Das Heer war unmittelbar gefordert. In den ersten Kriegstagen rückten Elite-Soldaten des Jagdkommandos aus, um bei der Evakuierung der österreichischen Botschaft in Kiew zu helfen. Das Heeres-Nachrichtenamt lieferte der Regierung regelmäßig ein Lagebild und tut das anlassbezogen, wie nach der Explosion auf der Krim-Brücke, noch immer.

16,6 Milliarden Euro werden dem maroden Bundesheer in den kommenden zehn Jahren extra zur Verfügung stehen. Dazu bekennen sich nicht nur Kanzler-und Milizoffizier-Karl Nehammer, Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und Finanzminister Magnus Brunner (alle ÖVP),sondern auch ihre Koalitionspartner von den einst pazifistischen Grünen.

Heuer beträgt das Wehrbudget mit 2,7 Milliarden Euro nur noch 0,6 Prozent des BIP, ein EU-weit blamabler Wert. 2023 wird es bereits 3,3 Milliarden ausmachen und bis 2026 auf 4,7 Milliarden Euro steigen. Um dem Heer Planungssicherheit zu gewähren, wird die finanzielle Aufrüstung in einem Landesverteidigungsfinanzierungs-Gesetz (LV-FinG) verankert.

Im öffentlichen Bewusstsein ist das Bundesheer weniger Militär als vielmehr eine grüne Feuerwehr mit schwerem Gerät, die bei Hochwasser und Lawinenabgängen zum Einsatz kommt. Die frischen Milliarden machen es nun möglich, "das Bundesheer wieder für die militärische Landesverteidigung aufbauen zu können", wie es der neu bestellte Generalstabschef Rudolf Striedinger im profil-Interview formuliert.

Wie schutzlos Österreich im Ernstfall wäre, zeigte ein dramatischer Zwischenfall am 11. März. In Jarun, einem Außenbezirk der kroatischen Hauptstadt Zagreb, stürzte eine sechs Tonnen schwere und 15 Meter lange ukrainische Drohne sowjetischer Bauart nach einem Irrflug vom Himmel.

Wäre sie in den österreichischen Luftraum eingedrungen, wären Eurofighter aufgestiegen, um sie mit einer Luft-Luft-Rakete abzuschießen-allerdings nur, wenn die Drohne tagsüber über Österreich aufgetaucht wäre. Denn während der Nacht wird der heimische Luftraum nur mit Radar, aber nicht aktiv überwacht. Doch dank des LV-FinG können die Eurofighter nun mit Infrarot-Such-und Verfolgungssystemen ausgestattet werden und damit rund um die Uhr im Einsatz sein.
 

Die frischen Milliarden machen es möglich, "das Bundesheer wieder für die militärische Landesverteidigung aufbauen zu können", wie es der neu bestellte Generalstabschef Rudolf Striedinger im profil-Interview formuliert.

Dazu könnte das Heer noch Unterschall-Jets anschaffen, um Piloten auszubilden und einen Teil der Luftraumüberwachung zu übernehmen. Die drei altersschwachen Hercules-Transportflugzeuge werden schon in den kommenden Jahren durch neue Maschinen ersetzt. Bereits bestellt sind zwölf Leonardo AW-169 Hubschrauber. Auch zusätzliche Black-Hawk-Helikopter sollen beschafft werden.

Auch das Gerät am Boden wird modernisiert, etwa die 112 Schützenpanzer Ulan und 56 Kampfpanzer Leopard. Die Truppe bekommt moderne Nachtsichtgeräte, Schutzwesten, Sturmgewehre und Pandur-Mannschaftstransportpanzer. Auch in Kasernen-Infrastruktur, Logistik, Sanitätswesen, Cyber-Abwehr und elektronische Kampfführung wird investiert. 

Nach der Umsetzung dieses Aufbauplans, im Jahr 2032, soll das Bundesheer eine moderne Armee in der EU sein, die alle Waffengattungen beherrscht. Wie sich die Zeiten ändern: Noch vor zwei Jahren schmiedete Rudolf Striedinger, damals Stabschef der Verteidigungsministerin, Pläne für ein Bundesheer light, das sich auf Cyber-Angriffe und Terrorismus-Bekämpfung konzentriert. Nach lauter Kritik-vom Oberbefehlshaber Alexander Van der Bellen abwärts-wurde das Konzept aufgegeben.

Das Szenario, auf dem es beruhte, ist spätestens mit dem Angriff auf die Ukraine obsolet. Zwar ist eine unmittelbare militärische Bedrohung für österreichisches Gebiet derzeit nicht gegeben, allerdings liegt Österreich-in der Sprache der Militärs-" in der bedrohten Tiefe des Raumes", wo mit hybriden Angriffen gerechnet werden kann. Darunter fallen etwa Sabotage-Aktionen, Sprengstoffanschläge oder Attacken verdeckter feindlicher Truppen, die vom Heer militärisch bekämpft werden müssen. Auch die kritische Infrastruktur könnte in einer Krise nur vom Bundesheer geschützt werden, die Kapazitäten der Polizei reichen dazu nicht aus.

Auch geopolitische Szenarien fließen in die Bedrohungsanalysen des Heeres ein. Sollte Donald Trump erneut US-Präsident werden, könnten dadurch die NATO und die österreichischen Nachbarländer geschwächt werden. Eine Entwicklung Ungarns in Richtung einer Autokratie plus EU-Austritt ist unwahrscheinlich, aber denkmöglich. Am Balkan sind weitere Destabilisierungen, etwa in Bosnien-Herzegowina oder im Kosovo, möglich. Serbien könnte noch weiter an Russland heranrücken.

Günter Höfler, 69 Jahre alt, General in Ruhe, hat die österreichische Sicherheitspolitik schon aus einigen Blickwinkeln betrachtet: Er war Leiter der Militärvertretung in Brüssel, Kommandant der österreichischen Streitkräfte und 1995 erster Verbindungsoffizier in der NATO-Partnerschaft für den Frieden. Heute schätzt er die Budgetpläne der Regierung positiv ein: "Ich habe wirklich nicht erwartet, dass das kommt." Politik und Öffentlichkeit müssten aber auch entscheiden, wohin Österreich sicherheitspolitisch möchte.

"Der beste Schutz für Österreich sei ein NATO-Beitritt oder eine stark bewaffnete Neutralität", ist Günter Höfler, General in Ruhe, überzeugt. 

Derzeit basiert die Verteidigungspolitik auf einer Sicherheitsstrategie aus 2013 - als der russische Präsident Wladimir Putin festlich in Wien empfangen wurde. Schon in den ersten Absätzen lässt sich nachlesen, wie veraltet das Dokument ist: "Die Folgen des früheren Ost-West-Konflikts bestimmen nicht mehr wie bisher die sicherheitspolitische Agenda", steht dort. Einige Seiten später bekennt man sich zu einer "zielgerichteten Kooperation mit den USA und Russland".

Höfler machte seine Position schon in der Vergangenheit deutlich: Der beste Schutz für Österreich sei ein NATO-Beitritt oder eine stark bewaffnete Neutralität: "Die Schweden haben das super gemacht", sagt er. "Man muss ja nicht zur NATO, aber man sollte darüber nachdenken, mit welchen Inhalten man die Neutralität füllen kann." Die Schweiz stehe mitten in dieser Debatte: "Sie haben den Begriff der kooperativen Neutralität geboren." Das bedeutet, dass die juristischen Möglichkeiten für die Zusammenarbeit mit Militärbündnissen so weit ausgereizt werden wie möglich. Höfler: "Darüber müssen auch wir nachdenken und ideenreich sein, aber nicht darüber zu reden, ist falsch." Am Montag vor zwei Wochen hätte es eine gute Gelegenheit dazu gegeben. Klaudia Tanner und die Wehrsprecher der Parteien saßen bei einem Heurigen in der Wiener Lainzer Straße zusammen, nicht weit von der Maria-Theresien-Kaserne entfernt. Es war der informelle Teil des Ausflugs. Davor hatte die Gruppe das Heeres-Nachrichtenamt besucht, um über die Auswirkungen des Ukraine-Krieges zu sprechen.

Es war auch ein Zusammentreffen der verschiedenen Positionen. SPÖ und FPÖ plädieren für eine Aktualisierung der Sicherheitsdoktrin. Die ÖVP war bisher skeptisch. Eine breite Debatte lehnt sie ab, und zwar mit Pathos: "Die Neutralität liegt im Herzen der Österreicher", sagt Tanner.

Am weitesten gehen die NEOS. "In Österreich ist die Neutralität eine emotionale Frage", sagt Douglas Hoyos, Wehrsprecher der Partei. "Dabei sollte es eigentlich eine juristische sein." Mit dem EU-Beitritt sei Österreichs Neutralität ausgehöhlt worden. Jetzt müsse man darüber sprechen, mit welchem Modell Österreich am sichersten ist. Derzeit "hoffen wir darauf, dass die anderen uns schützen werden, ohne bereit dafür zu sein, andere beim Schützen zu unterstützen".

Mit dem EU-Beitritt sei Österreichs Neutralität ausgehöhlt worden, meint Douglas Hoyos, Wehrsprecher der NEOS. Jetzt müsse man darüber sprechen, mit welchem Modell Österreich am sichersten ist.

Über finanzielle Ressourcen wird das Heer verfügen, jetzt fehlen die personellen. Das beginnt auf der untersten Ebene: Knapp 16.000 junge Männer haben im vergangenen Jahr ihren Grundwehrdienst angetreten, im Jahr 2006 waren es noch rund 31.000. Das liegt daran, dass weniger Staatsbürger geboren werden. Es werden aber auch häufiger körperliche und psychische Erkrankungen diagnostiziert. Tanner führte daher im Jahr 2021 die sogenannte Teiltauglichkeit ein: Präsenzdiener mit geringeren Einschränkungen sind seitdem nicht mehr untauglich, sondern werden für bestimmte Tätigkeiten eingesetzt. Burschen mit einem hohen Body-Mass-Index von 40 müssen zum Beispiel als Kraftfahrer einrücken. 1200 Wehrpflichtige und 800 Zivildiener zusätzlich pro Jahr erhoffte sich Tanner durch die Reform. profil liegen aktuelle Zahlen vor, sie zeigen: Das Ziel wurde nicht erreicht. 2021 waren bei der Stellung knapp 19 Prozent untauglich und nur 1,2 Prozent teiltauglich. In absoluten Zahlen waren es 627 Personen, die durch die Neuerung verpflichtet wurden. Im laufenden Jahr sind es bisher 568 junge Männer.

Dazu kommt: Wer von den Wehrpflichtigen voll einsatzfähig ist, erhält oft nicht die vorgesehene Ausbildung, sondern muss an die Grenze. Seit 2015 ist das Bundesheer durchgehend im Assistenzeinsatz, um das Innenministerium zu unterstützen. Polizei und Heer stoppen Schlepper, greifen Flüchtlinge und Migranten auf. Derzeit sind 1100 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz, 351 von ihnen sind Grundwehrdiener.

Österreich fehlen die Rekrutinnen und Rekruten: Knapp 16.000 junge Männer haben im vergangenen Jahr ihren Grundwehrdienst angetreten, im Jahr 2006 waren es noch rund 31.000. 

Glücklich mit der Situation ist keine Partei. Sollte einem Wehrpflichtigen bei einem Zusammenstoß mit einem Schlepper etwas passieren, würde die Politik die Verantwortung dafür tragen. "Der Assistenzeinsatz ist auf ein absolutes Minimum zu reduzieren", sagt David Stögmüller, Wehrsprecher der Grünen. "Er vermischt die verfassungsmäßigen Aufgaben der einzelnen Ministerien."

Dem Heer fehlen aber die Arbeitskräfte, um auf Präsenzdiener verzichten zu können. Das Verteidigungsressort versucht mit Anreizen, junge Männer zu locken: Wer sich während des Grundwehrdienstes verpflichtet, nach der Ausbildung drei Monate im Grenzeinsatz zu gehen, erhält 3000 Euro im Monat. 125 Männer leisten gerade diesen verlängerten Dienst. In der Truppe wächst allerdings der Unmut über die Assistenzeinsätze, auch vor Botschaften und während der Corona-Krise. Rund 350 Unteroffiziere verabschiedeten sich schon vom Heer, heißt es aus dem Verteidigungsministerium. Zum Teil aus Frust: Wer die grüne Militär-Uniform trägt, möchte nicht als Hilfspolizist eingesetzt werden.

Laut David Stögmüller, Wehrsprecher der Grünen, sei der Assistenzeinsatz des Bundesheeres auf ein Minimum zu reduzieren. 

Die schlechte Stimmungslage ist auch empirisch belegt. Nach der jährlichen Befragung im Verteidigungsministerium kam man 2021 zu dem Schluss: "Im zweiten Pandemiejahr sank die Zufriedenheit mit der Balance von Arbeit und Privatleben um zehn Prozent. Der Rückgang ist vor allem unter jenen Bediensteten zu verzeichnen, die innerhalb der letzten zwölf Monate einen Inlandseinsatz absolvierten." Die neuen Milliarden, so die Hoffnung im Verteidigungsministerium, sollen auch die Moral der Truppe wieder heben.

Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.