20 Jahre nach 9/11

Überwachung in Österreich und wer sie vorantreibt

Vorratsdaten, Bundestrojaner, Gesichtserkennung: Wie in Österreich seit 20 Jahren an neuen Überwachungsgesetzen gearbeitet wird.

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Die Terroranschläge vom 11. September 2001 läuteten ein neues Zeitalter der Überwachung in westlichen Gesellschaften ein. Vergleichsweise milde fielen die ersten gesetzlichen Reaktionen in Österreich aus: 2002 wurde die Rufdatenerfassung erleichtert - bei Straftaten beteiligte Telefonnummern durften einfacher identifiziert werden, aus heutiger Sicht eine datenschutzrechtliche Lappalie. Im selben Jahr wurde erstmals die "terroristische Vereinigung" ins Strafgesetzbuch geschrieben - ein Delikt, das es in Deutschland schon seit den 1970er-Jahren gab. War Österreich in den ersten zehn Jahren nach 9/11 eher Nachzügler und Pflichterfüller von EU-Richtlinien, wird das Thema Überwachung spätestens seit 2015 konsequent vorangetrieben. Wer hätte sich 2001 gedacht, dass die Polizei zukünftig Gesichtszüge per Software erkennen wird können und private Chatnachrichten im Bedarfsfall mitlesen darf? Politisch mitgetragen wurden Überwachungsmaßnahmen dabei von allen Parteien: von den roten und schwarzen Kanzlern bis zum blauen Innenminister und der grünen Justizministerin.

Das Anti-Terror-Paket - 2002

... erleichterte ab 2002 die Ortung von Handys sowie die Ausforschung und Ortung von Telefonnummern ("Rufdatenerfassung") mit richterlicher Genehmigung. Außerdem wurde erstmals ein eigener Straftatbestand der "terroristischen Vereinigung" sowie der "Terrorismusfinanzierung" eingeführt.

Neue Terror-Abwehr - 2002

2002 wurde das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) geschaffen, das als Behörde die Staatspolizei ablöste. Das Amt ist kein Geheimdienst, sondern eine polizeiliche Ermittlungsbehörde. Einen nachrichtendienstlichen Charakter hat das BVT vor allem in der seit 2000 eingeführten "erweiterten Gefahrenerforschung", mit der extremistische Gruppierungen und Einzelpersonen beobachtet werden können.

Mikrochips im Reisepass - 2006

Seit 2006 enthalten österreichische Reisepässe Mikrochips, mit denen Namen und Geburtsdaten auch elektronisch gespeichert sind. Seit 2009 müssen Personen bei Antrag eines neuen Passes außerdem zwei Fingerabdrücke abgeben, die ebenfalls auf dem Chip gespeichert werden.

Einfacher Zugang zu Handy- und Internetdaten - 2008

Die rot-schwarze Regierung unter Kanzler Alfred Gusenbauer erleichterte die Überwachung von Kommunikationsdaten ab 2008 erheblich: Ohne richterliche Genehmigung kann die Polizei seither im Bedarfsfall Daten bei den Telekommunikationsunternehmen erfragen - darunter fallen IP-Adressen, Namen und Adressen von Telekom-und Internetanschlüssen oder die Identität von E-Mail-Accounts.

Vorratsdaten-Speicherung - 2011

2011 setzte Österreich die umstrittene Vorratsdatenspeicherung um: Sie sah vor, dass Telekommunikationsunternehmen sämtliche Nutzungsdaten ihrer Kunden sechs Monate lang speichern und an Sicherheitsbehörden bei Bedarf ausliefern sollen. Die Regierung musste damit einer EU-Richtlinie folgen, die - nach mehreren Terroranschlägen - vor allem von Großbritannien forciert worden war. Das Gesetz erfuhr ab 2014 ein jähes Ende: Sowohl Verfassungsgerichtshof als auch Europäischer Gerichtshof erklärten die Maßnahme für grundrechtswidrig.

BVT wird mächtiger - 2016

Nach den Anschlägen von Paris im November 2015 ging in Europa die Terrorangst um, Geheimdienste erfuhren Aufwind. Österreich stattete 2016 das BVT mit mehr Kompetenzen aus: Vorfeldermittlungen durch die "erweiterte Gefahrenerforschung" wurden ausgebaut. Ermittler können dabei auch Kontaktpersonen von Verdächtigen ins Visier nehmen. Ermittlungsdaten sollen daneben länger gespeichert werden, der Einsatz von Informanten ("V-Leuten") wurde verstärkt. Genehmigt wird die "erweiterte Gefahrenerforschung" durch einen Rechtsschutzbeauftragten im Innenministerium, nicht durch einen Richter.

Bundestrojaner, KFZ-Überwachung, Gesichtserkennung - 2017

Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) preschte 2017 mit den Plänen für ein umfassendes Sicherheitspaket voran. Umgesetzt wurde es von Nachfolger Herbert Kickl (FPÖ): Mittels Schadenssoftware ("Bundestrojaner") sollten Handys staatlich gehackt werden können, um Chats verschlüsselter Messenger-Dienste (z. B. WhatsApp) mitzulesen. Außerdem wurde die Videoüberwachung von Fahrzeugen erweitert: Autotyp, Kennzeichen und Fotos der Lenker sollten massenhaft erfasst werden. Der Verfassungsgerichtshof erklärte 2019 beide Gesetzesteile für rechtswidrig. Zum Einsatz kommt seit 2020 dagegen die digitale Gesichtserkennung: Sie ermöglicht der Polizei eine automatisierte Identifizierung von Personen auf Videoaufnahmen (etwa bei Demonstrationen oder bei Aufzeichnungen in U-Bahn-Stationen).

Anti-Terror Paket - 2021

Der Terroranschlag von Wien brachte die vorerst letzten geplanten Verschärfungen im Sicherheits- und Überwachungsbereich. Symbole radikaler Gruppierungen wurden verboten, Staatsbürgerschaften können künftig leichter entzogen werden. Terroristische Straftäter sollen nach Haftentlassung mit einer elektronischen Fußfessel überwacht werden können.

Überwachung global

"Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns." Mit biblischer Rhetorik warb US-Präsident George W. Bush nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 für den Krieg gegen den Terror. Ebenso vollmundig lautete der Titel eines Gesetzespakets, das die US-Regierung einen Monat nach den Attentaten durchpeitschte - Patriot Act. Den US-Ermittlungsbehörden wurde dadurch erlaubt, eine weitreichende Überwachung der Zivilbevölkerung durchzuführen. Das Erfordernis einer richterlichen Genehmigung für Telefon- und Internetüberwachung wurde aufgehoben, Abhörrechte des FBI erheblich erweitert. Während aus dem US-Bundesgesetz kein Hehl gemacht wurde, hielt man ein weiteres drastisches Überwachungsprojekt jahrelang geheim: Mit dem PRISM-Programm ermächtigten die USA ihren Auslandsgeheimdienst NSA mit der weltweiten Überwachung elektronischer Kommunikation ab 2005. Großbritannien führte mit Tempora parallel dazu eine ähnliche Operation durch. Erst der ehemalige CIA-Mitarbeiter Edward Snowden deckte die Tätigkeiten ab dem Jahr 2013 im Zuge der NSA-Affäre auf. Die Ereignisse können als Weckruf der Überwachung im 21. Jahrhundert verstanden werden: Was lang vermutet worden war, war belegt. Die Folge war eine weltweite und andauernde Debatte über die Verantwortung von Internetkonzernen, die Sicherheit sozialer Medien und die Notwendigkeit von Verschlüsselung.