Vermummte Polizisten stehen vor dem Gerichtssaal

Österreich als Knotenpunkt im IS-Netzwerk

Vier Prozesse in drei Städten, jedes Mal geht es um den Islamischen Staat. Die in Syrien besiegte Terrororganisation bleibt in Österreich hoch aktiv. Am Montagvormittag steht ein 15-Jähriger vor Gericht, der einen Anschlag auf den Wiener Westbahnhof geplant haben soll.

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Am 17. Juni 2023 war Wien in Regenbogenfarben getaucht. Hunderttausende strömten auf die Straßen der Innenstadt, feierten die Pride, die größte Demonstration für die Rechte von queeren Menschen. Sie tanzten und sangen, sie setzten ein Zeichen für Vielfalt und Akzeptanz. Doch während die Stadt sichtbar zusammenrückte, spielte sich unweit davon eine ganz andere Realität ab.

Denn am selben Tag stürmten Dutzende Einsatzkräfte des Verfassungsschutzes und der Cobra die Wohnung eines 13-stöckigen Wohnhauses in St. Pölten sowie eine weitere Wohnung am südlichen Stadtrand Wiens, im Bezirk Liesing. Drei Personen wurden festgenommen: zwei bosnische Brüder aus St. Pölten, damals 17 und 20 Jahre alt, und ein 14-jähriger Wiener mit tschetschenischen Wurzeln. Gegen die jungen Männer lag der dringende Verdacht vor, in Verbindung mit Anschlagsplänen auf die Pride und die LGBTIQ+-Community zu stehen.

Zwei Jahre später muss sich nun der erste von ihnen vor Gericht verantworten. Dem heute 16-Jährigen wurde vorgeworfen, in Chatgruppen unter dem Nutzernamen „Abu Usama“ aufgetreten zu sein und in einer internationalen Telegram-Gruppe mit Mitgliedern aus der Ukraine, Belgien, Frankreich und der Türkei Kontakt zu einem ranghohen Unterstützer des Islamischen Staates gehalten zu haben. Die Ermittler vermuteten, dass er Teil eines Netzwerks gewesen ist, das der IS-Provinz Khorasan (ISKP) zugerechnet wird, jenem Ableger des IS, der längst auch in Europa Anhänger rekrutiert.

Es sind Fälle wie diese, die zeigen, wie vielschichtig und zugleich schwer zu fassen das IS-Milieu in Österreich nach wie vor ist. Innerhalb weniger Tage stehen gleich mehrere IS-Anhänger in verschiedenen Verfahren vor Gericht – ein Spiegelbild einer Szene, die aus losen Netzwerken und Einzelgängern besteht, aus radikalisierten Jugendlichen ebenso wie aus ideologischen Drahtziehern. Während die einen Attentate planen, sammeln andere Millionenbeträge, um den Terror an anderen Fronten am Leben zu halten. Anfang des Jahres berichtete profil über mehrere Netzwerke, die ihren Ursprung in Niederösterreich haben, ihre Verbindungslinien aber ziehen sich weit über die Landesgrenzen hinweg – und immer wieder tauchen dabei dieselben Namen auf. Einer davon: Beran A., der seit August 2024 in Haft sitzt und als Hauptverdächtiger im Fall des vereitelten Anschlags auf das Taylor-Swift-Konzert im Wiener Ernst-Happel-Stadion gilt. Doch was ist seither geschehen? Wurden weitere Netzwerke aufgedeckt? Und wohin haben die Ermittlungen bisher geführt?

Bombenbauanleitungen am Handy

Dienstagvormittag, 9 Uhr, Saal 119, Landesgericht St. Pölten: weißes Hemd, dunkle Hose, brauner Gürtel, das Hemd sorgfältig in den Bund gesteckt. Der mittlerweile 16-Jährige sitzt erstmals auf der Anklagebank. Den beiden anderen Beschuldigten, einem Brüderpaar aus St. Pölten, heute 19 und 22 Jahre alt, begegnet er an diesem Tag überhaupt zum ersten Mal. Sie werden verdächtigt, einen Anschlag auf die Wiener Pride 2023 vorbereitet zu haben. In der Einvernahme, die profil vorliegt, gaben zwei der jungen Männer an, Kontakt zum bekannten 21-jährigen IS-Sprayer Bashkim B. aus St. Pölten gehabt zu haben. Man habe sich gekannt, sei kurz befreundet gewesen, heißt es. Eine enge Verbindung zwischen ihnen ließ sich bislang nicht nachweisen. Ein Phänomen, das Ermittler immer wieder beobachten. Viele aus der islamistischen Szene sind oft lose miteinander verbunden. Es ist häufig ein Geflecht aus flüchtigen Kontakten, das sich hinter den Kulissen immer wieder neu formiert, mit Verbindungen, die weit über Österreichs Grenzen hinausreichen und damit eine schwer fassbare globale Dimension annehmen.

Daniela Breščaković

Daniela Breščaković

ist seit April 2024 Innenpolitik-Redakteurin bei profil. War davor bei der „Kleinen Zeitung“.

Franziska Schwarz

Franziska Schwarz

Franziska Schwarz ist seit Dezember 2024 im Digitalteam. Davor arbeitete sie als Redakteurin bei PULS 24, und als freie Gestalterin bei Ö1. Sie schreibt über Politik, Wirtschaft und Umwelt.