„Eine Koalition mit der FPÖ ist für mich nicht vorstellbar“
Von Iris Bonavida
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Wissen Sie noch, wie Sie nach der EU-Wahl erklärt haben, dass die ÖVP in Tirol auf Platz eins vor der FPÖ landete?
Mattle
Ja! Der Abstand zur FPÖ war größer als in anderen Bundesländern. Erstens, weil die Volkspartei in Tirol immer ein gutes Standing hatte, und zweitens, weil es von mir eine sehr klare Ansage in Richtung Freiheitliche und Parteiobmann Herbert Kickl gegeben hat.
„Die Tiroler schätzen es, wenn man klare Kante zeigt“, sagten Sie. Sie schließen eine Koalition mit der gesamten FPÖ aus, nicht nur mit Kickl.
Mattle
Ja, genau.
Das sagen Sie, aber nicht die ÖVP.
Mattle
Da bin ich auch sehr klar. Es geht um Partei- und Wahlprogramme und um die Frage, ob es Schnittmengen gibt. Im Moment geht Kickls Diktion tief in die FPÖ hinein, seine Funktionäre pflegen Kontakt mit den Identitären. Deswegen ist eine Koalition für mich nicht vorstellbar.
Warum gibt es dieses absolute Nein nicht von ÖVP-Chef Karl Nehammer? Er sagt, es gibt „viele Vernünftige“ in der FPÖ.
Mattle
Das mag an unterschiedlichen Persönlichkeiten und Verantwortungssphären liegen. Von mir gibt es eine solche ganz klare Aussage schon seit der Tiroler Landtagswahl vor zwei Jahren.
Wenn Sie so argumentieren, müsste Nehammer als Kanzler dieselbe Verantwortung wie ein Landeshauptmann tragen und die FPÖ ausschließen.
Mattle
Nehammer war im Zusammenhang mit der FPÖ und Kickl deutlich genug, ich würde seinen Weg als sehr guten bezeichnen.
Aber wie kann es klar genug sein, wenn er von vielen Vernünftigen in der FPÖ spricht?
Mattle
Jede Partei braucht eine gewisse Bandbreite, die FPÖ ist aber leider ganz stark in den Rechtspopulismus abgedriftet. Es gab aber auch andere Zeiten. Ich bin im Alter reif und kann mich an einen Parteivorsitzenden Norbert Steger erinnern.
Das war 1985, das ist lange her. Sie sind ein Befürworter einer schwarz-roten Koalition. Gibt es viele Vernünftige in der SPÖ?
Mattle
Wenn ich auf die Zusammenarbeit im Bundesland Tirol referenzieren darf, muss ich sagen: Es ist eine sehr gute Zusammenarbeit.
Ist SPÖ-Chef Babler vernünftig?
Mattle
Eine 32-Stunden-Woche ist unvernünftig.
Kickl war zuletzt in Gries in Tirol – jener Gemeinde, über die eine wichtige Autobahnbrücke führt. Der Bürgermeister will aus Protest gegen den Transit und die Neuerrichtung der Brücke auf der Autobahn demonstrieren. Kickl versprach der Gemeinde einen Tunnel, sollte er ins Kanzleramt ziehen.
Mattle
Offenbar hat sich Kickl technisch nicht mit dem Thema beschäftigt. Die Techniker sagen, es gibt keine Zeit mehr, um einen Tunnel zu bauen, weil die Brücke nicht mehr so lange hält. Die Neuerrichtung der Brücke ist die technisch schnellste Lösung.
Sie befeuert aber weiter Diskussionen rund um den Brenner-Transit, auch international. Italiens Verkehrsminister Matteo Salvini hat beim EuGH eine Klage gegen Österreichs Einschränkungen eingebracht, wie zum Beispiel das Nachtfahrverbot für Lkw.
Mattle
Seit Jahren nimmt der Brenner-Transit zu. Viele Lkw wählen auch deswegen die Brenner-Route, weil die Maut über den Brenner billiger als durch die Schweiz ist. Um Mensch und Natur zu schützen, brauchen wir Anti-Transit-Maßnahmen. Unser Angebot, gemeinsam mit Südtirol und Bayern, ist ein digitales Slot-System, bei dem Lkw ein Zeitfenster für Fahrten buchen können. Das könnte etwa Blockabfertigungen ersetzen.
Selbst Ihr Verbündeter und Amtskollege in Südtirol, Arno Kompatscher, sagt: Man kann schlecht von Salvini Bewegung verlangen, wenn man es selbst nicht tut. Solange es Bauarbeiten an der Autobahn-Luegbrücke gibt, soll das Nachtfahrverbot fallen.
Mattle
Deutschland und Italien versuchen die Luegbrücke zu nutzen, um Druck auf Tirol und Österreich aufzubauen. Es wird nicht zu mehr Einschränkungen als bei anderen Bauarbeiten kommen. Und ich bin überzeugt davon, dass unsere Anti-Transit-Maßnahmen auch rechtlich vor dem EuGH halten werden.
Ich bin Elektrotechniker und neige dazu, mit einem E-Auto zu fahren.
Zum Prinzipiellen: Soll das Dieselprivileg abgeschafft werden?
Mattle
Das Dieselprivileg hat vor allem bei Pendlerinnen und Pendlern einen hohen Stellenwert. Es betrifft also nicht nur den Transitverkehr. Einmal abgesehen davon, dass die großen Speditionen Tankkarten haben, mit denen sie überall zu denselben Tarifen tanken.
Gleichzeitig muss die Republik sparen, und gerade Tirol ist vom Tanktourismus aus dem Ausland betroffen.
Mattle
Aber man muss auch auf die Pendlerinnen und Pendler Rücksicht nehmen, die in verzweigten Tälern leben. In dem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass wir in Tirol beim öffentlichen Personennahverkehr gut aufgestellt sind.
Im Sommer haben Unwetter durch das Land gewütet, kurz davor hat Nehammer zu einem Autogipfel ins Kanzleramt geladen, um sich zum Verbrennermotor zu bekennen. Ist das die Botschaft, die Ihre Partei in so einer Zeit senden will?
Mattle
Es gibt ein klares Bekenntnis der Tiroler Landesregierung zum Klimaschutz und zur Verkehrswende. Wenn wir auch die Energiewende schaffen wollen, müssen wir technologieoffen sein. Tirol ist prädestiniert für Wasserkraft, aber wir arbeiten auch an Photovoltaik, Biomasse und Windkraft. Und zum Thema Verbrenner: Ich bin Elektrotechniker und neige dazu, mit einem E-Auto zu fahren.
Es klingt nicht so, als würden Sie ins Landhaus zu einem Autogipfel laden wollen.
Mattle
Ein Mobilitätsgipfel wäre spannend. Mobilität hat eine Bandbreite vom öffentlichen Personennahverkehr bis hin zur individuellen Mobilität. Die wird es immer geben, sie wird nur vielleicht anders stattfinden. Das wäre mein Zugang gewesen.
Macht es Sie dann glücklich, dass Nehammer von „Untergangsszenarien“ von Klimaschützern spricht?
Mattle
Man muss als Gesellschaft etwas leisten, um die Klimaveränderung zu bremsen und sich daran anzupassen. Es gibt manche, die sagen, Tirol kann keinen Unterschied machen. Aber ich bin überzeugt, dass wir auch im Kleinen etwas beitragen können. Außerdem werden diejenigen, die die Transformationsgewinner sein werden, auch die wirtschaftlichen Gewinner sein.
„Untergangsszenarien“ habe ich jetzt von Ihnen nicht gehört.
Mattle
Nein, ich bin ein grenzenloser Optimist, und es liegt durchaus in der Verantwortung von Verantwortungsträgern, in schwierigen Situationen Auswege aufzuzeigen.
Also auch von Bundeskanzlern.
Mattle
Ich habe das sehr allgemein formuliert.
Franz Hörl hat kürzlich gesagt, seine schlechte Stimmung ist verraucht. Wir telefonieren in Sachthemen sehr regelmäßig.
Zugespitzt gefragt: Hat Ihnen die ÖVP-Bundespartei schon mit rechtlichen Konsequenzen gedroht?
Mattle
Da muss ich jetzt nachfragen, in welchem Zusammenhang?
Die ÖVP will die Stadt Wien vor den Verfassungsgerichtshof zu bringen, um die angebliche Rechtswidrigkeit einer Maßnahme feststellen zu lassen: Wien zahlt subsidiär Schutzberechtigten eine Aufstockung aus der Mindestsicherung. Tirol macht das genauso.
Mattle
Unser Mindestsicherungsgesetz hat Überprüfungen vom Landesverwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof grundsätzlich standgehalten, einige Anpassungen werden vorgenommen. Tirol geht seit 2010 einen eigenen Weg, weil man den hohen Lebenshaltungskosten besonders Rechnung tragen muss. Die Menschen stört aber, wenn ein Arbeitseinkommen gleich wenig ist wie das Einkommen aus der Mindestsicherung. Die Differenz muss größer werden.
Und wie?
Mattle
Wir wollen einen Vollzeitbonus und keine Steuern auf Überstunden, aber auch mehr Sach- statt Geldleistungen bei der Mindestsicherung. Wir setzen massiv darauf, dass subsidiär Schutzberechtigte schnell in den Arbeitsmarkt integriert werden. Wir haben eine Vermittlungsstelle eingeführt, bei der Unternehmen auf Asylwerber mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit und Asylberechtigte treffen. So haben wir schon viele Menschen erfolgreich direkt in die Arbeit gebracht, das erwarte ich auch von Menschen, die nach Tirol kommen.
Aber sind Sie zufrieden, wie die Mindestsicherungsdebatte gerade geführt wird?
Mattle
Es gibt in den Bundesländern und Parteien unterschiedliche Zugänge. Ich habe meinen gerade erklärt.
Hatten Sie mit dem ÖVP-Abgeordneten und Seilbahnvertreter Franz Hörl eine Aussprache?
Mattle
Wir kennen uns schon lange und sprechen uns immer aus, das ist ja das Gute an dem Franz Hörl. Er hat viele Jahre die Interessen Tirols in Wien sehr professionell vertreten. Mir war aber wichtig, den Wunsch nach Erneuerung bei der Nationalratswahl auch auf der Landesliste zum Ausdruck zu bringen.
Ohne Hörl eben. Er hat dann auf Ihre „Stärke und Durchschlagskraft“ vertraut, um auf der Bundesliste vorgereiht zu werden. Es wurde der aussichtslose Platz 21. Haben Sie keine Durchschlagskraft oder schlicht kein Interesse an einem guten Platz für Hörl?
Mattle
Franz Hörl hat kürzlich gesagt, seine schlechte Stimmung ist verraucht. Wir telefonieren in Sachthemen sehr regelmäßig.
Glauben Sie, dass die ÖVP bei der Nationalratswahl in Tirol wieder vor der FPÖ liegen wird?
Mattle
Ich bin davon überzeugt, dass wir wieder stärkste Kraft sein werden – auch auf Bundesebene.
Anton Mattle, 61,
ist seit Oktober 2022 Landeshauptmann in Tirol. Der ÖVP-Politiker regiert im Bundesland mit der SPÖ. Zuvor war er Wirtschaftslandesrat und fast 30 Jahre lang Bürgermeister von Galtür.
Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.