Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP), damals Bürgermeister von Galtür, vor dem Unglückshang aufgenommen am Mittwoch, 14. Februar 2024.
Interview

Was hat das Galtür-Unglück mit Ihnen gemacht, Herr Mattle?

Der Tiroler Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) spricht über das Lawinenunglück von Galtür, Italiens Transit-Klage und die Zukunft des Schifahrens.
Eva  Sager

Von Eva Sager

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Herr Mattle, im Februar vor 25 Jahren ereignete sich die Lawinenkatastrophe von Galtür. Sie waren zu dieser Zeit Bürgermeister der Gemeinde, wie hat Sie dieses Ereignis als Politiker geprägt?
Anton Mattle
Es hat mich vor allem als Mensch geprägt. Wenn man in einer solchen Situation Verantwortung trägt, dann werden Wertigkeiten anders geordnet. Man sieht, was im Leben tatsächlich wichtig ist. Das ist die Familie, ein starker Freundinnen- und Freundeskreis, die einen auffangen, wenn es schwierig wird. Was mir bis heute hilft, ist, dass es gelungen ist, mit Hinterbliebenen auch außerhalb Österreichs in Kontakt zu bleiben. Es sind Freundschaften entstanden. Da spürt man das Menschliche. Und das braucht es, um solche Schicksalsschläge zu überwinden.
Rettungsarbeiten, aufgenommen am 24. Februar 1999 in Galtür im Paznauntal. Die Lawinenkatastrophe in Galtür forderte am 23. Februar 1999 31 Todesopfer. Am kommenden Freitag jährt sich die Katastrophe von Galtür zum 25. Mal.

25. Jahrestag der Lawinenkatastrophe von Galtür

Das Lawinenunglück von Galtür im Februar 1999, das Teile des Dorfes Galtür und des Orts Valzur (Gemeinde Ischgl) verschüttete, zählt zu den schwerwiegendsten Lawinenkatastrophen in der Geschichte Österreichs und forderte insgesamt 38 Menschenleben. Anton Mattle war damals Bürgermeister und gleichzeitig Einsatzleiter.

Bundeskanzler Nehammer redet ja immer wieder davon, was normal ist und was nicht, auch bei Ihnen war das im Wahlkampf 2022 Thema. Was ist im Jahr 2024 denn normal?
Anton Mattle
Bei mir war das eine andere Situation. Ich bin ja darauf angesprochen worden - Sie essen Eis wie ein Normaler - und nicht umgekehrt. Vielleicht hat das Thema durch die politische Besetzung mittlerweile einen fahlen Beigeschmack. Ich glaube sowieso, wir müssen eher von einer Politik der Mitte sprechen. Die Österreicherinnen und Österreicher wollen nicht den linken oder den rechten Rand, sondern eine solide, stabile Politik, die sich an ihren Grundbedürfnissen orientiert.
Ist die FPÖ normal, Herr Mattle?
Anton Mattle
Wenn ich das auf die Volkspartei beziehen darf: Volkspartei sein bedeutet, eine gewisse Bandbreite zu haben. Da gibt es Menschen, die sich absolut in der Mitte befinden, Menschen, die weiter rechts stehen, manche weiter links. Die Ränder aber sind nicht die Gesamtschau der Gesellschaft, da müssen wir aufpassen. Die sind oft einfach etwas lauter als die anderen. 
Wie die Tiroler Tageszeitung berichtete, waren zwei Tiroler FPÖ-Landtagsabgeordnete auf einem Vernetzungstreffen der „Haymon Tirol“, einem Verein, der enge Bande mit den rechtsextremen Identitären knüpft. Was denken Sie, wenn Sie derartiges hören?
Anton Mattle
Ich bin durchaus überrascht, dass Persönlichkeiten, die ich von der Arbeit im Tiroler Landtag ja auch kenne, soweit in den rechten Rand hineinreichen. Da muss man dann schon ganz klare Kante zeigen.
Machen Sie sich manchmal Sorgen um unsere Demokratie?
Anton Mattle
Die Demokratie ist uns allen zu selbstverständlich geworden. Demokratie ist nicht selbstverständlich. Demokratie verlangt jeden Tag Anstrengungen und Auseinandersetzungen. In der Schule hört man einmal kurz etwas von der Gewaltenteilung. Aber dass dazu auch Opposition, freie Meinungsäußerung und eine freie Presse gehört, ist uns oft nicht mehr so bewusst. Das macht mir Sorgen. Wir müssen aufpassen, dass nicht die Freiheiten, die uns die Demokratie bringt, dazu genützt werden, um die Demokratie auszuhebeln.
Schafft das die Politik derzeit in Österreich?
Anton Mattle
Das gelingt uns in ganz Europa gerade sehr schwer. Vielleicht reagiert die Politik zu langsam auf die Veränderungen in der Gesellschaft. Sie ist bunter, pluralistischer geworden. Oft erkläre ich es so: Früher hatte man für ein Problem fünf Lösungsvorschläge, heute sind es 120. 
Letztes Jahr haben Sie gesagt, dass Sie eine Koalition auf Bundesebene mit der FPÖ mit ihrem derzeitigen Parteiprogramm und unter Herbert Kickl ausschließen. Hat sich daran was geändert?
Anton Mattle
Nein, an diesem Zugang hat sich nichts verändert. Beim politischen Aschermittwoch der FPÖ gab es eine Schärfe, da werden für mich Grenzen überschritten. Außerdem ist mir wichtig, dass man sich zu einem starken Europa bekennt.

Wir müssen aufpassen, dass nicht die Freiheiten, die uns die Demokratie bringt, dazu genützt werden, um die Demokratie auszuhebeln.

Anton Mattle

Tiroler Landeshauptmann

Wünschen Sie sich also eine Große Koalition im Bund?
Anton Mattle
Als wir uns mit den Kärntner Regierungskollegen und -Kolleginnen getroffen haben, habe ich in meinem Pressestatement gesagt, dass dieses Zusammentreffen durchaus als Signal gedeutet werden kann. Ich würde das wieder so sagen.
Kann eine Große Koalition nach der verbrannten Erde in den vergangenen Jahren denn wieder funktionieren?
Anton Mattle
Eine Koalition mit der Sozialdemokratie kann nur dann funktionieren, wenn der SPÖ-Parteivorsitzende radikal seinen Kurs ändert. Mit der Forderung nach einer 32-Stunden-Woche wird sich das nicht ausgehen. Mit den marxistischen Ansagen, wie sie Andreas Babler selbst nennt, kann ich nicht.
Zurück zu Tirol. Der Jänner 2024 war der wärmste, der je gemessen wurde. Wie viel Zukunft hat der Tiroler Wintertourismus in Anbetracht der Klimakrise?
Anton Mattle
Wenn ich mir die heurigen Zahlen anschaue, stelle ich fest, der Wintertourismus erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit. Einerseits, weil Tirol besonders gut erreichbar ist, auch öffentlich. Andererseits verführt dieses alpine Umfeld ja gerade zur Bewegung, da zählt auch der Skisport dazu. Menschen brauchen Erholung und dazu gehört auch eine ordentliche Anzahl von Sonnenstunden. Die gibt es bei uns. Ich weiß, wo ich hinfahren würde, damit mein Körper ordentlich mit Vitamin D aufgeladen wird.
Aber vielen tiefer gelegenen Skigebieten schmelzen gerade die Pisten davon, müsste sich jetzt nicht grundlegend etwas ändern?
Anton Mattle
Viele Menschen haben dieses berühmte Bild vor Augen, links und rechts grün und braun, dazwischen ein weißer Streifen. Das sind in vielen Fällen die Talabfahrten, die Skigebiete per se sind weiter oben und da ist Skifahren möglich. Das stellt man auch fest, wenn man derzeit durch Tirol fährt. Alles oberhalb der Waldgrenze ist weiß.
Apropos, Klimakrise. Derzeit beschäftigt Tirol ja der italienische Verkehrsminister Matteo Salvini und seine Transit-Klage. Die Frächterlobby auf der einen Seite, Stau, Lärm und schlechte Luft auf der anderen. Ganz banal: Muss der Verkehr auf die Schiene?  
Anton Mattle
Wenn wir Klimaschutz ernst nehmen, benötigen wir zusätzlich zu einer Energiewende auch eine Verkehrswende. Und in Anbetracht der Situation in Tirol braucht es letztere besonders dringend. Man muss sich vorstellen, von Norden kommen vier Autobahnen nach Tirol. Wie soll das in einem Hochgebirgsland, alleine von der Topografie, bewältigt werden? Von dem her ist dringend notwendig, dass vor allem, was den Güterverkehr betrifft, viel auf die Schiene verlagert wird. Mit dem Brenner Basistunnel haben wir dahingehend ja ein tolles Projekt im Gang.
Der Tiroler Landeshauptmann Anton Mattle im Interview.

Rom gegen Tirol

Momentan gibt es eigentlich nur zwei Ausgänge: Die EU leitet ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich ein oder Italien klagt beim Europäischen Gerichtshof. Der Grund sind unter anderem die Lkw-Fahrverbote auf der Brennerstrecke. Aus der Sicht von Italiens Verkehrsminister Matteo Salvini seien jene nämlich EU-widrig. In den nächsten drei Monaten muss die Kommission nun entscheiden, ob sie der italienischen Aufforderung stattgibt.

Normalerweise stellt sich die ÖVP ja gerne auf die Seite der Autofahrerinnen und Autofahrer. Warum dieses Mal nicht?
Anton Mattle
Ich bin ja ein typischer Unternehmertyp, ich habe 30 Jahre lang ein Unternehmen geführt. Natürlich weiß ich, dass Wirtschaft nur mit Mobilität funktioniert und ich reise auch gerne, daraus mache ich keinen Hehl. Aber für alles gibt es Grenzen. Und diese Grenzen sind in Tirol erreicht. Wir sind als Verantwortungsträger gefragt, den Fokus auf den Schutz der Gesundheit, der Natur und den Erhalt der Infrastruktur zu legen. Und wir wissen, es gibt Alternativen: Die Bahn, intelligente Verkehrsmanagementsysteme, den öffentlichen Personennahverkehr. Außerdem, wenn man die Zahlen des letzten Jahres anschaut: 14,4 Millionen Fahrzeuge über den Brenner, davon 2,4 Millionen LKWs. Bitte, da kann man wirklich nicht sagen, dass Tirol die Schotten dicht gemacht hätte.

14,4 Millionen Fahrzeuge über den Brenner, davon 2,4 Millionen LKWs. Bitte, da kann man wirklich nicht sagen, dass Tirol die Schotten dicht gemacht hätte.

Anton Mattle

Tiroler Landeshauptmann

Die Signa-Pleiten beschäftigen derzeit ganz Österreich. Haben Sie René Benko je persönlich getroffen?
Anton Mattle
Ich habe René Benko nie getroffen.
Wenn es nach Ihnen geht, was würden Sie sich für das Kaufhaus Tyrol wünschen?
Anton Mattle
Das Kaufhaus Tyrol ist ein Anziehungspunkt in der Maria-Theresien-Straße und trägt wesentlich dazu bei, dass sie etwas so Lebendiges ist. Wichtig wäre, dass man einen Käufer findet, der den Betrieb im jetzigen Muster weiterführt. Ich meine, ein Einkaufszentrum in einer belebten Straße ist mehr als einkaufen, das ist auch Unterhaltung, das ist Treffpunkt, das ist Soziales.
Was können wir Ihrer Ansicht nach aus dieser Causa lernen?
Anton Mattle
Es ist sehr früh, um Schlüsse zu ziehen. Wir haben erlebt, dass ein Unternehmen unwahrscheinlich schnell gewachsen ist. Und dieses schnelle Wachstum, das birgt auch Gefahren.
Eva  Sager

Eva Sager

seit November 2023 im Digitalteam. Schreibt über Gesellschaft und Gegenwart.