Personalreserve, aktiviert

Personalreserve, aktiviert: Reinhold Mitterlehner im Porträt

ÖVP. Reinhold Mitterlehner ist nach 22 Jahren in der Spitzenpolitik immer noch Reinhold Mitterlehner

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Reinhold Mitterlehners Arbeitszimmer am Wiener Stubenring lässt sich am besten mit "zweckmäßig“ umschreiben. Schreibtisch, Besprechungstisch, blauer Teppich, Stilrichtung unauffällig. Da steht nichts herum, was die Aufmerksamkeit des Besuchers vom Wesentlichen ablenkt - von der Arbeit nämlich. Und davon wird der künftige Vizekanzler der Republik ab sofort mehr als genug haben.

Er hat es sich so ausgesucht.

Ein Politiker alten Schlages
Der 58-jährige Oberösterreicher ist schon lange auf dem politischen Parkett präsent. Man kennt ihn, man schätzt ihn - oder auch nicht. Ansichtssache. Unbestritten ist er das, was gern etwas abfällig Berufspolitiker genannt wird. Genau das ist aber sein größtes Asset. Mitterlehner ist ein Politiker alten Schlages, im besten Sinn: Er weiß, dass Politik machen Kompromisse eingehen heißt; er sieht, dass die Gesellschaft und ihre Ansprüche sich unaufhörlich verändern, auch wenn die Fundamentalisten in der Partei das nicht wahrhaben wollen; und er ist authentisch, weil er sich nicht durch diverse Berater verbiegen hat lassen.

In Wahrheit ist er der Letztverbliebene in der ÖVP, der für den Job des Obmannes noch in Frage kam. Auf diese Chance musste Mitterlehner lange warten. Doch jetzt ist er für die Partei, nun ja, zweckmäßig.

Im Bezirk Rohrbach im Mühlviertel ist die Welt der Konservativen noch in Ordnung. 60 Prozent bei den Landtagswahlen, 43 Prozent bei den Nationalratswahlen. Es ist der schwärzeste Winkel Oberösterreichs. Dort, im Örtchen Helfersberg, wuchs Mitterlehner auf und in die ÖVP hinein. Seine frühesten politischen Erinnerungen? 1964: die Trauerkundgebung für den verstorbenen Altkanzler Julius Raab in Wien, bei dem sein Vater, ein Gendarm, Spalier gestanden hatte; 1969: seine Firmung, bei der ihm der langjährige VP-Landeshauptmann Heinrich Gleißner Pate stand - wie auch vielen anderen Sprösslingen, deren Väter in der "Kameradschaft der Exekutive“ engagiert waren; 1975: das für Josef Taus blamable TV-Duell gegen Kreisky, das er als Grundwehrdiener in der Kaserne mit wachsender Enttäuschung mitverfolgte.

Der Reiz am Widerspruch
Der junge Mitterlehner war beileibe kein Revoluzzer gewesen. Im tiefschwarzen Oberösterreich der 1970er-Jahre reichten schon längere Nackenaare, damit sich der Papa sorgte, der Sohn könnte mangels akkuraten Haarschnitts die Matura nicht schaffen. Aber Widerspruch, mitunter hart an der Grenze zur Provokation, das hatte Mitterlehner von Jugend an gereizt. Robert Graf etwa, Wirtschaftsbund-Schwergewicht der oppositionellen ÖVP, musste bei einem Besuch an der Linzer Uni vor einem Jus-Studenten namens Mitterlehner allen Ernstes seine Politik rechtfertigen. Aber der Jungspund wusste, was er kritisierte. Mit den Problemen von Kleinunternehmern ist Mitterlehner gleichsam aufgewachsen: Sein Onkel besaß eine Tischlerei, die seit 1820 im Familienbesitz ist.

Konsequenterweise begann Mitterlehner nach dem Studium in der oberösterreichischen Kammer zu arbeiten. 1992 wurde er zum Generalsekretär des österreichischen Wirtschaftsbundes befördert. Er übersiedelte samt Familie nach Wien.

"Leitl-Mann" während Schüssel I
Wenngleich das ein innerparteilicher Aufstieg war, begannen damit doch die Probleme. Für einen Wahlwiener hatte die oberösterreichische ÖVP keinen Listenplatz zu vergeben. In einem Kraftakt schaffte es der Wirtschaftsflügel 2000 schließlich, Mitterlehner ins Parlament zu hieven - und damit zwischen die Fronten. Kammerpräsident Christoph Leitl war ein erbitterter Gegner von Schwarz-Blau und des Kurses von Kanzler Wolfgang Schüssel, der für die Anliegen der Klein- und Mittelbetriebe eher wenig Interesse aufbrachte. Mitterlehner, als "Leitl-Mann“, stand somit auch in Konfrontation, wenngleich ihm in der Periode Schüssel I einiges gelang. Die Abfertigung neu etwa geht auch auf sein Konto. 2003 aber stimmte er gegen die Neuauflage von Schwarz-Blau. Die Freundschaft von Schüssel habe ihm das nicht eingebracht, resümiert Mitterlehner, aber, so hoffe er, doch dessen Respekt. Sie hätten heute ein sehr gutes Verhältnis.

Streng genommen wäre Mitterlehner der logische Kronprinz von Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer gewesen. Doch wegen der bundespolitisch bedingten Absenz zählte er nie zur "Landhausclique“, also zu jenem Linzer Netzwerk, in dem die Steigbügel für die landespolitischen Karrieren verteilt werden. Also saß Mitterlehner auf seinem Mandat fest, mit dem fragwürdigen Titel "Personalreserve“, ehe ihn Josef Pröll 2008 in die Regierung holte.

Und wieder wurde es heikel. Jede VP-Teilorganisation sieht ihre Regierungsmitglieder als verlängerten Arm ihrer Interessen. Der Wirtschaftsbündler Mitterlehner aber emanzipierte sich, was wiederum die Wirtschaftskammer-Funktionäre erboste. Mitterlehner hätte 2011 erstmals als Obmann eine Chance gehabt, aber Leitl warf sich nur halbherzig für ihn ins Zeug.

Sachlich firm, eloquent und bühnentauglich
Es sagt viel über die ÖVP und ihre innere Logik, dass Klüngeldenken stets schwerer wog als Mitterlehners Können: Er beherrscht den politischen Werkzeugkoffer, ist sachlich firm, scheut weder Konfrontation noch Diskussion, ist eloquent und bühnentauglich.

Stattdessen hieß es: eitel, impulsiv, nicht teamfähig.

Eitel? Mitterlehner hat sich jedenfalls nie offensiv für eine Funktion ins Spiel gebracht. Da hielt er es stets mit dem früheren ÖVP-Obmann Hermann Withalm, der geschrieben hatte, man solle eine Funktion nie anstreben, sie aber auch nicht ablehnen, wenn sie einem angeboten werde.

Impulsiv? "Den Ball flach halten“ - wie es ein ihm gewidmeter, von Hand skizzierter Trainingsspielplan seines Idols Ernst Happel empfiehlt - konnte Mitterlehner tatsächlich nie. Er beharrte auf qualifizierter Zuwanderung, mahnte mehr Kinderbetreuungsplätze und weniger Schließtage in Kindergärten ein, verlangte bessere Arbeitsmarktchancen für Migranten, hielt nichts von Nulllohnrunden in der Krise. Das mag vielen nicht gefallen haben, aber jeder wusste, wo er steht. "Ich habe einen gerade Rücken, und ich bin ungebrochen“, sagt er heute über sich. Und das sei "in Zeiten wie diesen nicht wenig“.

Die Teamfähigkeit wird ihm von seinem SP-Verhandler Rudolf Hundstorfer jedenfalls attestiert. Parteiintern wird er sie unter Beweis stellen müssen.