Österreich

Peter Filzmaier und Armin Wolf im Doppelinterview: „Ich wollte Old Shatterhand werden“

ORF-Anchor Armin Wolf und Politologe Peter Filzmaier über das Comeback der FPÖ, die Gründe für Politikverdrossenheit, Angebote von Parteien und warum für Politiker immer die Medien an allem schuld sind.

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Schwarz-Blau in Niederösterreich, SPÖ-Showdown: Was sehen wir gerade?
Filzmaier
Das seit Jahrzehnten Unpopuläre: Politik, die der eigenen Macht dient.
Wolf
Ich hätte nach Ibiza und dem Parteichef-Wechsel zu Herbert Kickl nicht gedacht, dass die ÖVP so schnell wieder mit der FPÖ regiert. Offenbar ist die FPÖ unkaputtbar. Sie zerstört sich ja in regelmäßigen Abständen selbst, wenn sie mitregiert. Und regeneriert sich erstaunlich schnell. Niemand hätte gedacht, dass die FPÖ knapp vier Jahre nach Ibiza wieder bei 30 Prozent ist. 
Filzmaier
Die FPÖ kann ihren Markenkern Opposition erhalten, obwohl sie regierte und in jeder Regierung dramatisch scheiterte. SPÖ und ÖVP helfen ihr: Die SPÖ freut sich über ÖVP-Turbulenzen, die ÖVP über die SPÖ-Führungskrise. Dann darf sich niemand über den lachenden Dritten FPÖ wundern. 
Warum sprengt sich die FPÖ bei jeder Regierungsbeteiligung in die Luft?
Wolf
Ich glaube, es liegt am Grundwiderspruch einer populistischen Partei, die immer alles versprechen kann, aber in der Regierung an der doch komplexeren Realität zerschellt. 
Filzmaier
Populistische Parteien versprechen das Schlaraffenland, die Teuerung ist morgen vorbei, die Energieknappheit sowieso. Den Elchtest, diese Versprechen umzusetzen, bestehen sie nie.
Wolf
Trotzdem glauben viele, die FPÖ würde etwas gegen die „Asylantenflut“ – furchtbares Wort! –  unternehmen. Dabei stiegen die Asyl-Genehmigungen unter Türkis-Blau, Herr Kickl montierte nur in Traiskirchen das Schild „Ausreisezentrum“. 
Filzmaier
Um die Komplexität des Sozialsystems zu erklären, braucht man eine halbjährige Uni-Vorlesung. Der FPÖ-Slogan „Keine Sozialleistungen für Ausländer“ passt auf jede Zeitungsseite, in jede TV-Meldung. 
Wolf
Natürlich war nicht jede Kritik der FPÖ falsch, an Parteibuchwirtschaft und Proporz zum Beispiel. Aber oft ist Kritik auch recht billig. Politik ist ja grundsätzlich ein schwieriger Beruf, in der Serie von Dauerkrisen der letzten Jahre – Finanzkrise, Asyldebatte, Pandemie, Krieg, Teuerung – aber besonders schwierig. 
Sehnen Sie sich manchmal nach Fadesse, wo Beamten-Gehaltsverhandlungen das nervenzerfetzendste Ereignis sind? 
Wolf: Als Journalist sind die Dauerkrisen extrem spannend. Als Staatsbürger sehne ich mich total nach Fadesse.
Filzmaier
Mein privates Umfeld sehnt sich nach Fadesse und würde es schätzen, wenn ich den Esstisch zu Hause nicht weniger gut kennen würde als den TV-Studiotisch. Aber ich bin Politik-Nerd. 

„In der Jungen ÖVP war ich nur kurz.“

Armin Wolf

Wolf
Politik ist unfassbar spannend. Es ist mir unbegreiflich, wie man sich stattdessen für Sport interessieren kann. Warum einen Biathlon anschauen, wenn eine Bundesratsdebatte lockt? 
Filzmaier
Als Laufsportler faszinieren mich Biathlons: Weil nach Läufen mit höchster Pulsfrequenz trifft man sogar schwer ein Scheunentor – Biathleten treffen aber viel kleinere Ziele.
Wolf
Dauerlauf im Schnee mit Schießen. Gibt es Langweiligeres?
Filzmaier
Über die Abseitsregel im Fußball lässt sich genauso trefflich diskutieren wie über die Geschäftsordnung des Nationalrats. 
Sie waren politisch aktiv: In der Schülervertretung, in der Jungen ÖVP.  Reizte Sie der Einstieg in die Politik?
Wolf
Ich habe begeistert Schüler-Politik gemacht. Unser Vorschlag für einen neuen Handelsakademie-Lehrplan wurde sogar teilweise umgesetzt In der Jungen ÖVP war ich nur kurz: Ich wurde mit 19 Journalist, um mein Studium zu finanzieren, und trat überall aus. Politik machen wäre nichts für mich, das weiß ich auch seit meiner Dissertation über politische Quereinsteiger.
Wurden Sie oft gefragt, ob Sie für eine Partei kandidieren?
Wolf
Oft nicht: Zwei Mal, beides ist verjährt. Einmal hat mich das Liberale Forum  gefragt. Das Gespräch hat aber nur eine Minute gedauert. Und das zweite Mal das BZÖ, konkret Stefan Petzner. Das Gespräch war auch sehr kurz.
Filzmaier
Ich war Schulsprecher, allerdings ohne Erfolgsbilanz wie Armin, wir haben keinen Lehrplan geschrieben. Mich würde die Politik auch nicht reizen, schlicht, weil ich das nicht kann. Ich habe weder Fach- noch  Management-Kompetenz. Ich wurde auch nie gefragt. 
Kränkt Sie das? 
Filzmaier
Ich kann gut damit leben, hätte auch allen „Nein, danke“ geantwortet. Vor zehn, 15 Jahren stand in den „Salzburger Nachrichten“, ich sei als Wissenschaftsminister im Gespräch.
Wolf
Unter welchen Umständen hättest du das gemacht? 
Filzmaier
Unter gar keinen. 
Das Verhältnis zwischen Medien und Politik ist nicht immer leicht. Sie beschreiben im Buch, dass Sie ein Staatssekretär nach einem Interview anbrüllte.
Wolf
Ich habe über 2000 Interviews gemacht und wurde nur drei Mal angebrüllt: von einem scheidenden Landeshauptmann, einem Staatssekretär und einem ÖVP-Obmann. In der Regel wissen die Gäste, dass ich eher unangenehme Fragen stelle und immer wieder mal unterbreche. Aber eine Fernsehsendung dauert nicht endlos. Generell freuen sich Politiker aber nicht sehr über kritische Berichterstattung. 
Und glauben, an allen Problemen seien die Medien schuld. 
Wolf
Die SPÖ ist der Meinung, dass alle Medien von der ÖVP gesteuert wären. Während die ÖVP glaubt, alle Journalisten wären links. Das hat auch damit zu tun, dass Politiker vor allem von Gleichgesinnten umgeben sind und sich ständig von der Außenwelt angegriffen fühlen. So wie Fußball-Fans glauben, dass der Schiedsrichter für die andere Mannschaft pfeift.
Filzmaier
Der Philosoph Jürgen Habermas hat den Begriff der fragmentierten Öffentlichkeit geprägt: der Blase, in der man sich in der eigenen Meinung bestärkt und von Nachbar-Teilöffentlichkeiten nichts mehr mitbekommt. Das zu analysieren, ist Teil meines Jobs.
Sie starteten als Fernseh-Analyst durch Monica Lewinsky. 
Wolf
Ich habe bei Peter studiert, ein Jahr später begann der Skandal um US-Präsident Bill Clinton und Monica Lewinsky. Wir brauchten USA-Experten, und mir fiel der eloquente junge  Lektor ein. 
Filzmaier
Das war mein erster Fernsehauftritt. Das komplexe Thema war das Amtsenthebungsverfahren gegen einen US-Präsidenten. Viele Zuseher wollten aber lieber wissen, was Clinton und Lewinsky genau gemacht haben. Diese erste Erfahrung des Politikwissenschafters mit Politik-Berichterstattung war etwas verstörend. 
Sie haben ein Buch über Politik geschrieben, Auslöser war der Bundespräsidentschaftswahlkampf.
Wolf
Einige Kandidaten versprachen ja schon für ihren ersten Tag im Amt das Ende von Regierung, Inflation und Russland-Sanktionen und quasi Badewetter und Freibier für alle. Da habe ich mir gedacht, vielleicht sollte man erklären, was ein Bundespräsident kann. 
Filzmaier
Und dann ist die Sache in Arbeit ausgeartet. Wir wollten einen Podcast machen, dann wurde daraus eine Radiosendung, dann eine Fernsehsendung, jetzt das Buch.

VOM PODCAST ZUM BUCH

Allmachtsfantasien im Bundespräsidentschaftswahlkampf waren der Auslöser für eine Polit-Erklär-Serie.

profil
Für die Bundespräsidentschaft traten seltsame Kandidaten an. Wie kann man das Dilemma lösen – die Direktwahl abschaffen?
Filzmaier
Wir haben aus historischen Gründen wenig Personenwahl, um keinen Führerkult entstehen zu lassen, aber als Konsequenz daraus kennt schon die Listen-Zweiten bei Nationalratswahlen kaum jemand. Daher halte ich mehr Personalisierung und die Direktwahl der Präsidenten für gut. 
Wolf: Die Zugangsregeln zur Bundespräsidentschafts-Kandidatur sind im Social-Media-Zeitalter nicht mehr zeitgemäß. Ich würde mit knapp 600.000 Twitter-Followern schnell die notwendigen 6000 Unterschriften haben. Social Media machen Scherzkandidaturen einfacher.

„Mein privates Umfeld sehnt sich nach Fadesse.“

Peter Filzmaier

Es wird seit Jahren über mehr direkte Demokratie diskutiert. Wäre das sinnvoll?
Wolf
Nehmen wir die Bundesheer-Volksbefragung, unabhängig vom Ergebnis. Da hat das ganze Land über Bundesheer und Zivildienst diskutiert. Bei der EU-Volksabstimmung war es ähnlich: Das brachte sehr viele Menschen dazu, sich mit Politik zu beschäftigen. Gelegentlich über zentrale Fragen, die klar mit Ja oder Nein zu beantworten sind, abstimmen zu lassen, fände ich keine schlechte Idee. 
Filzmaier
Die historischen Gegenargumente lauteten: Einem Volk, das sieben Jahre von den Nazis indoktriniert wurde, direkte Demokratie in die Hand zu geben, wäre keine gute Idee. Dieses Argument gilt aber nicht mehr. 
Wolf
Man kann natürlich nicht über jedes Thema abstimmen.
Filzmaier
Zum Beispiel nicht über Menschenrechte.
Über das Steuersystem?
Wolf
Warum sollte man nicht über die Einführung einer Erbschaftssteuer abstimmen?
Filzmaier
Wichtig sind Informationspflichten. In Norwegen werben bei Volksbefragungen die Regierungsparteien für ihren Standpunkt – andere Parteien oder Gruppen mit anderen Standpunkten müssen gleich viel Geld für ihre Werbung bekommen. Das Volk lehnte zwei Mal den EU-Beitritt ab, obwohl die Regierung dafür war. Damit kann Norwegen gut leben. Ich finde direkte Demokratie gut, natürlich gibt es Detailfragen. Gibt es etwa eine Mindestbeteiligung? In der Schweiz liegt die durchschnittliche Beteiligung bei knapp über 40 Prozent.
Wolf
Man muss auch überlegen, wie lange das Ergebnis einer Volksbefragung gilt. Die Bundesheer-Frage ist für Jahrzehnte einbetoniert,  obwohl man auf die Idee kommen könnte, dass der Krieg in der Ukraine die Lage verändert.
Filzmaier
Alle Parteien sind in der Opposition für mehr Direktdemokratie – und ändern in der Regierung die Meinung. Die FPÖ war für verpflichtende Volksabstimmungen ab 250.000 Unterschriften, Sebastian Kurz ab 600.000. Geeinigt hat man sich auf Volksabstimmungen ab 900.000 Unterschriften – an einem Sankt-Nimmerleins- Tag, der nie kam, weil die Regierung platzte. 
Wolf
Ich halte auch Bürgerräte, in denen per Los ausgewählte Bürger mitentscheiden,  für interessant. Andere Staaten sind mutiger, in Kanada hat man Verfassungsentwürfe damit erarbeitet. In Österreich traut man sich nicht, weil wir eine Gremialdemokratie haben.
Filzmaier
Wir müssen vom Verständnis weg, dass Demokratie bedeutet, alle paar Jahre einen Zettel in einen Bottich zu werfen, den wir Urne nennen. 
Wolf
Dass etwa die Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre  ohne Volksabstimmung passiert ist, halte ich für demokratiepolitisch skandalös. Man hat dem Wahlvolk mit einer Fünf-Parteien-Einigung ein Viertel seiner Mitbestimmungsmöglichkeiten weggenommen, ohne es zu fragen. 
Würde mehr direkte Demokratie gegen Politikverdrossenheit helfen? 
Filzmaier
Politiker sind in Österreich so beliebt wie Waffenhändler. Mehr direkte Demokratie ändert das nur, wenn sie nicht als Inszenierung verstanden wird.
Wolf
Dann würde sie durchaus etwas für das politische Interesse und gegen die Demokratieverdrossenheit tun. Die Emanzipationsbewegungen der 1960er-Jahre führten zu Elitenkritik, dazu kamen Populismus-Wellen und Anti-System-Rhetorik,  Social Media haben das verstärkt. In den Krisen führt das zu einer Gemengelage, die demokratiegefährdend werden könnte. Wir haben lange geglaubt, dass die liberale Demokratie sich endgültig durchgesetzt hat. Aber diese Gewissheit bröckelt.
Filzmaier
Derzeit steigt die Unzufriedenheit mit allen Parteien, die Menschen suchen auch nach nicht demokratischen Alternativen. Das ist problematisch.
Dabei gäbe es Tausende Parteien, etwa die autonom revolutionär subversiv chaotische Hacklerpartei, kurz Arsch.
Filzmaier
Satireparteien bekommen großen Zuspruch.
Wolf
Ich nehme Dominik Wlazny sein politisches Engagement ab. Aber die Bier-Partei war eine Jux-Veranstaltung, es gab kein Programm außer einem Bier-Brunnen. Dass alle damit rechnen, dass eine Scherzpartei in Wien zehn Prozent bekommt, finde ich beunruhigend. 
Filzmaier
Wenn wir eine Partei mit der Kurzbezeichnung „Keine“ gründen – Langbezeichnung: „Keine von denen da oben“ –  würden wir die Vier-Prozent-Hürde für den Einzug in den Nationalrat locker überspringen. Das mag sich lustig anhören, ist aber demokratiepolitisch ein Alarmsignal. 
Wolf
Mein drittes politisches Angebot! Mit Peter Filzmaier für die Keine-Partei. 
Wählen Sie oder sollten Menschen, die sich beruflich mit Politik beschäftigen, nicht wählen?
Wolf
Menschen haben Jahrhunderte für das Wahlrecht gekämpft. Ich fände es zynisch, nicht wählen zu gehen. Ich wähle bei jeder Wahl, war sogar bei jeder ÖH-Wahl.
Filzmaier
Ach, du warst das. Im Ernst: Ich gehe natürlich wählen.
Manchmal brauchen Sie Auszeit von der Politik: Armin Wolf tritt bei Karl-May-Abenden auf, Peter Filzmaier läuft.
Filzmaier
Ich bin liebend gerne Politikwissenschafter, aber eigentlich wollte ich als Bub Sportreporter werden. 
Wolf
Ich wollte Old Shatterhand werden. 

Interview: Eva Linsinger
Fotos: Wolfgang Paterno

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin