Österreich

Schwarz-Blau in Niederösterreich: Radikal ist das neue Normal

Die FPÖ-Niederösterreich ist Herbert Kickl pur. Bisher lehnte ihn Karl Nehammer ab. Doch das Bündnis in Niederösterreich macht einen ÖVP-Pakt mit den Freiheitlichen auch im Bund wahrscheinlicher.

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Ein Speiseplan als stiller Protest? Vergangenen Mittwoch hatte die von den Landesbeamten frequentierte Kantine des niederösterreichischen Landhauses in St. Pölten ein exotisches Gericht im Angebot: Curry-Kokosrahmsuppe. Einen Tag später verteidigte Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner bei der konstituierenden Sitzung des niederösterreichischen Landtags das Vorhaben ihrer neuen ÖVP-FPÖ-Regierung, Gaststätten mit regionalen Speisekarten zu fördern: „Die Wirtshausprämie wurde in Tirol mit grüner Regierungsbeteiligung vor vier Jahren beschlossen. Dort wird sie als innovativ bezeichnet und bei uns in Niederösterreich jetzt als faschistisch.“

Dass Schnitzel und Schweinsbraten rechtsextremen Charakter hätten, so weit würden nicht einmal die vehementesten Gegner der ÖVP-FPÖ-Koalition in Niederösterreich gehen. Scharf fällt die Kritik dennoch aus. Frühere Unterstützer und prominente Künstler kritisieren die ÖVP heftig (siehe Seite 17). Auch aus den eigenen Reihen kommt Widerspruch. Herbert Kickl dagegen freut sich. Sein Kalkül geht auf. Kann Schwarz-Blau tatsächlich ein Modell für den Bund werden?

„Die Wirtshausprämie gilt in Tirol als innovativ und bei uns in Niederösterreich als faschistisch.“

Johanna Mikl-Leitner

Bundespräsident Alexander Van der Bellen sprach bei Mikl-Leitners Angelobung am Freitag in der Wiener Hofburg mahnende Worte. Die EU-Mitgliedschaft, die Minderheitenrechte und der Respekt vor dem Rechtsstaat müssten auch unter der neuen Regierung in Niederösterreich außer Frage stehen. Mikl-Leitner versprach vor laufenden Kameras, die Mahnungen „auf alle Fälle ernst zu nehmen“. 

Die ÖVP-Prominenz hielt sich mit Kommentaren zurück. Kritik kam nur indirekt. Nur der Erste Vizepräsident des EU-Parlaments, Othmar Karas, der selbst aus der ÖVP-NÖ stammt, sprach Klartext: „Als Niederösterreicher bedauere ich, dass es zu einer Einigung mit der FPÖ gekommen ist. Udo Landbauer und Gottfried Waldhäusl übertrumpfen einander mit Gedankengut, das mit dem Menschenbild der ÖVP unvereinbar ist.“ 

Rechte Karrieren

Ex-Asyllandesrat Gottfried Waldhäusl gilt nicht als Vertrauter von Landbauer und wurde von diesem auf das Amt des Zweiten Landtagspräsidenten abgeschoben. Vor einigen Wochen war er auffällig geworden, als er im Puls-4-Fernsehstudio einer Schülerin ausrichtete, ohne Migranten wäre „Wien noch Wien“. 

Für den Rechtsextremismus-Experten Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) zählt die „niederösterreichische FPÖ derzeit inhaltlich, personell und rhetorisch sicher zu den am weitesten rechts stehenden Landesgruppen der Partei“. Rechtsextrem aufzufallen, werde „parteiintern eher belohnt als sanktioniert“, sagt Weidinger. 

Ein Blick auf die Führungsriege der Blauen zeigt, dass an dieser These etwas dran ist. 

Für Parteichef Udo Landbauer hatte die Affäre um ein Liederbuch seiner Wiener Neustädter Burschenschaft Germania, in dem sich antisemitische Liedtexte fanden, nur einen kurzen Karriereknick zur Folge. Ein halbes Jahr nach seinem Rücktritt im Februar 2018 kehrte er bereits wieder zurück und wurde FPÖ-Klubobmann im Landtag. Auf Wikipedia wird Landbauer bis heute als „rechtsextremer Politiker“ geführt. Nun ist er Landeshauptfrau-Stellvertreter.

Die zweite Reihe der niederösterreichischen Freiheitlichen ist nicht minder vorbelastet.

Am vergangenen Donnerstag wurden im Landhaus in St. Pölten zwei Männer angelobt, die aufgrund ihrer einschlägigen Vergangenheit bisher nicht für öffentliche Ämter infrage kamen. Hubert Keyl ist einer von ihnen. Im Jahr 2010 veröffentlichte profil ein Foto, auf dem der damalige FPÖ-Mitarbeiter den Kühnengruß zeigt, eine Abwandlung des verbotenen Hitlergrußes. Keyl war es auch, der 2007 gegen die Seligsprechung des von den Nazis ermordeten Widerstandskämpfers Franz Jägerstätter agitierte. Er nannte den strenggläubigen Katholiken, der den Dienst in der Wehrmacht verweigerte, einen „Verräter“. Keyls Vergangenheit war ausschlaggebend dafür, dass ihm Bundespräsident Van der Bellen 2018 die Zustimmung für die Ernennung zum Richter am Bundesverwaltungsgericht verweigerte. Das Landtagsmandat könnte ihm höchstens seine eigene Partei verwehren.

Hofers Härte

Mit rechten Grüßen kennt sich nicht nur Keyl aus, auch sein Abgeordnetenkollege Andreas Bors hat damit Erfahrung. Der Boulevard verpasste ihm den Spitznamen „Hitlergruß-Andi“, weil im Jahr 2014 ein Jugendfoto von ihm publik geworden war, das ihn mit ausgestrecktem Arm zeigt. Bors entschuldigte sich später für die „saudumme Geste“, er will in jener Nacht nur Rapid-Fangesänge angestimmt haben. Im Jahr 2017 hätte er in den Bundesrat einziehen sollen – da machte das Foto wieder die Runde und sorgte für derartige Empörung, dass Bors das Mandat nicht annahm. Im Jahr 2023 sieht die FPÖ keinen Bedarf mehr, den „Hitlergruß-Andi“ zu verstecken. 

Unter dem früheren FPÖ-Obmann Norbert Hofer hatten rechtsextreme Ausritte noch Folgen. Den damaligen niederösterreichischen Klubobmann Martin Huber schmiss Hofer 2019 aus der Partei, nachdem dieser auf Facebook ein doppeldeutiges Posting abgesetzt hatte: „Herzlichen Glückwunsch an jene, die heute Geburtstag haben.“ Die Wünsche formulierte Huber ausgerechnet am 20. April, dem Geburtstag von Adolf Hitler. 

Die neue Linie bei den Freiheitlichen lautet: keine Distanzierungen mehr, keine Rückzugsgefechte. „Was Kickl stark trommelt, ist der Spin, die FPÖ stehe schlichtweg für Normalität“, analysiert Rechtsextremismus-Experte Weidinger.  Das Ziel ist eine Verschiebung der Grenzen des Sag- und Machbaren. Radikal ist das neue Normal.

„Rechtsextrem aufzufallen, wird FPÖ-intern eher belohnt als sanktioniert.“

 

Bernhard Weidinger, Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes

Der FPÖ-Bundesparteiobmann weilte vergangene Woche in Salzburg, wo am 23. April Landtagswahlen stattfinden. Dass die FPÖ unter ihrer smarten Spitzenkandidatin Marlene Svazek die SPÖ überholen und damit den zweiten Platz erringen wird, gilt als wahrscheinlich. Nach der Präsidiumsklausur der FPÖ-Bundespartei in Saalbach-Hinterglemm lobte Kickl seine niederösterreichischen Gefährten: „Es ist uns mit 25 Prozent gelungen, der Regierungsarbeit den kompletten freiheitlichen Stempel aufzudrücken.“

Damit spielt er auf den 30-Millionen-Euro-schweren Corona-Fonds an, aus dem Geldstrafen für Verstöße gegen Pandemie-Maßnahmen refundiert werden sollen. Weiters findet sich im Arbeitsübereinkommen der Plan, die Wohnbauförderung an Deutschkenntnisse zu knüpfen, wie es schon Schwarz-Blau in Oberösterreich umsetzte. Allerdings soll diese Idee gar nicht von der FPÖ stammen, sondern von der ÖVP, die sie laut profil-Informationen bereits in den gescheiterten Verhandlungen mit der SPÖ forciert hatte. 

Asylwerber-Abschiebung 

Das Asyl-Kapitel bietet Anlass für einen zukünftigen Konflikt mit Innenminister Gerhard Karner, der selbst aus der ÖVP-NÖ stammt: „Rücküberantwortung straffällig oder gewalttätig gewordener Asylwerber an den Bund statt weiterer Unterbringung in landeseigenen Unterkünften“, steht da.

Die ÖVP konnte ihre Vorhaben vor allem in den Bereichen Wohnbau, Gesundheit, Pflege, Landwirtschaft und Kultur verwirklichen. Drei davon: Wohnbau-Genossenschaften sollen ihren Mietern nach spätestens 15 Jahren ein Kaufangebot machen müssen. Die Kulturinitiativen des Landes sollen bestehen bleiben. Und das Landarztstipendium wird weiter ausgeweitet.

Die FPÖ platzierte im Papier bewusst Reizthemen. Die Deutschpflicht auf Schulhöfen ist so ein Punkt. Im Regierungsprogramm wird auf die Aufnahme der Maßnahme „in die schulautonom zu beschließenden Hausordnungen“ gedrängt. Die ablehnenden Kommentare von Lehrervertretern und Direktoren der vergangenen Tage zeigen: Das wird in den meisten Schulen nicht passieren. Der FPÖ wird es egal sein. Was zählt, ist der Marketing-Effekt.

Der möglicherweise größte Konflikt bahnt sich im Bereich der Kinderbetreuung an. Johanna Mikl-Leitner hatte im Wahlkampf einen massiven Ausbau von Kindergärten und dazu auch mehr Personal versprochen. Udo Landbauer forderte dagegen ein Landes-Kindergeld – für Eltern, die daheimbleiben. Im Koalitionspapier wurde das Thema in eine „Arbeitsgruppe“ verfrachtet.

All das zeigt: Die FPÖ ist zum Machtfaktor geworden, nachdem Niederösterreich für die Freiheitlichen jahrzehntelang fast hoffnungsloses Gebiet war. Selbst in den besten Zeiten der Obmänner Jörg Haider und Heinz-Christian Strache kam die FPÖ bei Landtagswahlen nicht über 16 Prozent hinaus. In den 573 Gemeinden des Landes stellen die Blauen keinen einzigen Bürgermeister. Das liegt nicht nur an der übermächtigen schwarzen Konkurrenz, sondern auch an Ewiggestrigen an der Parteispitze wie der früheren Obfrau Barbara Rosenkranz. Völkische Sonnwendfeiern und ein Retro-Familienbild waren in Niederösterreich nicht mehrheitsfähig.

Die blaue Wende ging von Wiener Neustadt aus. Das Militärrealgymnasium an der Theresianischen Akademie ist eine freiheitliche Kaderschmiede. Niederösterreichs Parteichef Udo Landbauer ging dort ebenso zur Schule wie Generalsekretär Michael Schnedlitz. Im Jahr 2015 schlossen die beiden einen Pakt, der sich bezahlt machte. Landbauer und Schnedlitz lieferten Klaus Schneeberger, dem langjährigen ÖVP-Klubobmann im Landtag, die notwendige Unterstützung, um die rote Hochburg umzudrehen und Wiener Neustädter Bürgermeister zu werden. 

Nach der Landtagswahl im heurigen Jänner, die der FPÖ ein Rekordergebnis von 24,2 Prozent brachte, wurde die Wiener Neustadt-Connection wieder aktiviert. Der 73-jährige Schneeberger verabschiedete sich zwar als ÖVP-Klubchef, führte aber als Schwarzer mit der meisten Erfahrung die 
Koalitionsverhandlungen für seine Partei. Sein Vertrauensverhältnis zu Landbauer war dem schwarz-blauen Deal zuträglich. 

Nicht alle Funktionäre und Sympathisanten der FPÖ-NÖ konnten nachvollziehen, wie rasch Landbauer eine Koalition mit Mikl-Leitner schloss, nachdem er diese im Wahlkampf hyper-aggressiv angegriffen und eine Zusammenarbeit ausgeschlossen hatte. Aus freiheitlicher Sicht ergibt das Bündnis allerdings Sinn. Aufgrund des Proporzsystems stellt die FPÖ drei Landesräte in der Landesregierung. In einer schwarz-roten Koalition hätten diese nur unwichtige Ressorts erhalten. Nun verantworten Udo Landbauer, Susanne Rosenkranz und Christoph Luisser Geschäftsbereiche wie Infrastruktur, Arbeit, Konsumentenschutz, Sicherheit und Asyl. Dazu kommen Zuständigkeiten, die mediale Aufmerksamkeit garantieren, wie Sport, Natur- und Tierschutz. 

Partnerschaftlicher Kickl

Neben den einflussreichen Spitzenposten sprechen auch strategische Überlegungen für das Bündnis mit der ÖVP: Bisher galt in der Volkspartei eine Zusammenarbeit mit der „Kickl-FPÖ“ als ausgeschlossen, während FPÖ-Landesgruppen wie jene in Oberösterreich als kooperativ eingeschätzt wurden. Doch die niederösterreichischen Freiheitlichen sind Kickl pur, mit dem Pakt in St. Pölten wird auch der FPÖ-Bundesparteiobmann indirekt zum Partner. Als erster ÖVP-Spitzenrepräsentant wollte Klubobmann August Wöginger in einem Interview mit dem „ORF-Report“ eine Koalition mit Kickl im Bund nicht mehr ausschließen. 

Inhaltlich verbindet die ÖVP mit der FPÖ – in Niederösterreich wie im Bund – ohnehin mehr als mit den anderen Parteien, vor allem seit Kanzler Karl Nehammers „Rede zur Zukunft der Nation“, in der er Österreich als Auto- und Fleischesser-Land rühmte und die Kürzung von Sozialleistungen für Migranten andachte. In Teilen der ÖVP ist das Anti-Sozi-Ressentiment seit jeher stärker als die Vorbehalte gegenüber den rechtspopulistischen Blauen. Im Vorjahr wurde im Zuge der türkis-schwarzen Chat-Affäre ein SMS von Johanna Mikl-Leitner aus 2016 bekannt, in dem die damalige Innenministerin deftig formulierte: „Rote bleiben Gsindl!“ Mikl-Leitner zeigte Reue und entschuldigte sich öffentlich.

Viele ÖVP-NÖ-Funktionäre hegen aber auch Vorbehalte gegenüber dem neuen Partner, einzelne sind aus der Partei ausgetreten. Ein Bürgermeister aus dem Wiener Speckgürtel nennt den Pakt mit den Blauen im vertraulichen Gespräch „furchtbar“: „Happy ist niemand, Euphorie ist in keinster Weise da.“ Der Deal sei eine Notlösung. 

Die Pragmatiker in der Volkspartei hoffen, dass sich die FPÖ in der Regierung mäßigt. ÖVP-Landtagsabgeordneter Anton Erber ist einer von ihnen: „Sie sind jetzt in der Verantwortung, das wird sicher ein Unterschied. Wenn sie es selbst verantworten, können sie nicht Sachen fordern, die gar nicht möglich sind.“ Die Situation erinnert an Februar 2000, als ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel einen Pakt mit Jörg Haiders FPÖ schloss. Tatsächlich hatten die hohen Regierungsämter eine zivilisierende Wirkung. Vizekanzlerin Susanne Riess, aber auch der damalige Verteidigungsminister Herbert Scheibner emanzipierten sich von Haider. 

Zwischen Schüssel und Riess herrschte allerdings ein Vertrauensverhältnis. Auch Oberösterreichs ÖVP-Landeshauptmann Thomas Stelzer und sein freiheitlicher Stellvertreter Manfred Haimbuchner können miteinander. Ihre Koalition besteht seit 2015. 

Das Bündnis in Niederösterreich ist bereits zu Beginn fragil. Kann zusammenwachsen, was nicht zusammengehören will? Die FPÖ verweigerte Mikl-Leitner bei der Wahl zur Landeshauptfrau die Zustimmung. Gottfried Waldhäusl kündigte noch vor der Angelobung der Landesregierung neue Pläne für den Bau der Waldviertelautobahn an, die Mikl-Leitner vor zwei Jahren endgültig verworfen hatte. Aus der ÖVP hieß es prompt, die Waldviertelautobahn sei im Arbeitsübereinkommen nicht vorgesehen. Meint einer aus der blauen Riege: „Dann nennen wir sie halt die Udo-Landbauer-Schnellstraße.“

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.