Porzellanladenhüter

Porzellanladenhüter

Dickhäuter unter sich: Sven Gächter über ein unverwüstliches TV-Ritual.

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Früher waren die Elefanten noch echt, vor allem die deutschen – keiner unter 100 bis 120 Kilo. Wenn sich die Parteivorsitzenden Helmut Kohl (CDU), Franz-Josef Strauß (CSU) und Hans-Dietrich Genscher in den Bonner Wahlstudios von ARD und ZDF breitmachten, blieb am Runden Tisch kaum noch Platz für andere. Der Begriff „Schwergewicht“ wurde in der Spitzenpolitik damals durchaus wörtlich genommen. Kohls Nachfolger Gerhard Schröder setzte zwar entschieden schlankere Maßstäbe, doch der gute alte Elefant kam weiterhin zu seinem Recht – wenn auch diesmal im Porzellanladen, wie der legendäre Polterauftritt eines sichtlich illuminierten Schröder am Wahlabend 2005 zeigte. „Sie werden keine Koalition mit meiner Partei zustandekriegen, machen Sie sich da nichts vor!“, blaffte er Angela Merkel an. Zwei Monate später war sie Deutschlands erste Bundeskanzlerin, an der Spitze einer großen Koalition.

Gazellen statt Dickhäuter

Inzwischen herrscht in den Chefetagen der westlichen Demokratien weitgehend Slim-fit-Zwang (mit Ausnahme der USA, wo der republikanische Präsident dem Wappentier seiner Partei – einem Elefanten! – in jeder, wirklich jeder Hinsicht traurige Reverenz erweist). Leibesfülle gilt längst nicht mehr als unabdingbare Voraussetzung für machtpolitische Gravitas. Trotzdem halten die TV-Stationen eisern am Ritual der „Elefantenrunde“ fest – auch wenn sich um die fragilen Stehtischchen heute keine Dickhäuter mehr versammeln, sondern vorzugsweise Gazellen.

Sechs sind es an diesem Sonntagabend in der „ZIB 1“, flankiert von einem ORF-Dompteur, der jedoch nicht weiter zähmend eingreifen muss, weil die Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten trotz der eindringlichen Bitte, sich nicht allzu langatmig bei den „Wählerinnen und Wählern“ zu bedanken, zunächst vollauf damit beschäftigt sind, sich „von ganzem Herzen bei den Wählerinnen und Wählern“ zu bedanken und, soweit angebracht, den Siegerinnen und Siegern zu gratulieren.

Rüssel einziehen

Nur einer tanzt in der Stunde seines größten Triumphes kurz aus der Reihe. Werner Kogler hat sich einen trotzigen Rest der alten Kampf- und Stampfmentalität bewahrt und stellt dem präsumtiven Koalitionspartner ÖVP eine fette Rute ins Fenster: „Mit uns geht das halt nicht, dass man keinen Eurofighter abbestellt, wo eh schon das Schmiergeld hinten …“ Und dann muss der ORF-Dompteur doch intervenieren: „Des is jetzt scho a Zeitl her.“ Der Elefant in der Runde zieht artig den Rüssel ein.

Zirkus kann immer noch Spaß machen. Man muss nur ein wenig Fantasie aufbringen und sich die vielen grazilen Gazellen, die in die Manege stürmen, ganz groß und wuchtig vorstellen.

Sven   Gächter

Sven Gächter