profil-Morgenpost

1,3 Millionen Straftäter

Nun gilt die Impfpflicht. Hier lesen Sie, warum das gar nicht stimmt.

Drucken

Schriftgröße

Seit dem vergangenen Samstag gilt die Impfpflicht. 1,3 Millionen Österreicherinnen und Österreicher müssten seither geimpft oder genesen sein, sind es aber nicht. Ich behaupte jetzt frech, dass niemals zuvor in der zweiten Republik so viele Straftäter gleichzeitig das Land bevölkerten: nicht durch pandemisch auftretendes Schnellfahren, nicht durch kollektive und klandestine Unterwanderung der ORF-Gebühren, nicht durch zeitgleich ausgeübte oder beanspruchte Schwarzarbeit am eigenen Haus vulgo Nachbarschaftshilfe.

Wenn Sie mich nun fragen, warum ich dieses Thema heute Dienstag aufwerfe, wenngleich diese Morgenpost doch Tagesaktualität versprühen soll, antworte ich Ihnen höflich und ausweichend zunächst so: Die millionenfache Gesetzesübertretung ist ja nicht einmalig, sondern erfolgt täglich, stündlich, minütlich – also auch heute Dienstag. Ich kann es aber auch besser argumentieren und erklären, dass dieser Hinweis keinesfalls ein Blick in die Vergangenheit, also auf Samstag ist, sondern vielmehr eine präzise getimete Vorschau: Strafbar ist die Missachtung der Impfpflicht nämlich erst ab 15. Februar, also in genau einer Woche. Wer nach dem 15. März nicht über einen gültigen Impfstatus verfügt, begeht eine Verwaltungsübertretung.

Rechtsstaatlichkeit? Lächerlich!

Damit komme ich zum Punkt beziehungsweise zu meinen Punkten: Ich forderte zwar schon im vergangenen Sommer eine Impfpflicht, und auch Omikron kann mich von dieser Argumentation nicht abbringen. Aber ich bedauere, wie viele Widersprüche die Bundesregierung bei der Umsetzung dieser Vorschrift produziert hat. Es sind so viele Unstimmigkeiten, dass die Rechtstaatlichkeit ins Lächerliche gezogen und damit nachhaltig beschädigt wird.

Es sind dies:

1. 1,3 Millionen Rechtsbrecher in einem Staat von neun Millionen Einwohnern von einem Tag auf den anderen zu erzeugen stößt mir sauer auf, ohne dass ich eine sinnvolle Alternative sehe.

2. Das Gesetz tritt am 5. Februar in Kraft, aber zehn Tage lang darf man dieses Gesetz ungestraft brechen.

3. Jeder und jede kann sich von der Verpflichtung zur Einhaltung freikaufen, indem er oder sie vier Mal im Jahr eine überschaubare Summe überweist. Eine Erhöhung der Strafe wegen wiederholten Zuwiderhandelns bis zu dem Tag, an dem es richtig unangenehm wird und / oder eine Ersatzfreiheitsstrafe sind nicht vorgesehen. Mir ist kein vergleichbar legerer Umgang mit einem Straftatbestand bekannt.

4. Außerhalb von Wien wird parallel zur Impfpflicht 3G vielfach wieder Usus. Statt die Regeln zu verschärfen, werden Straftäter also belohnt; sie werden ermuntert, wieder am Gesellschaftsleben in Gastronomie oder sonst wo teilzunehmen, obwohl sie nun gegen ein Gesetz verstoßen.

5. Trotz Impfpflicht wird auch am Arbeitsplatz weiterhin die 3G-Regel gelten. Man darf wider das Gesetz arbeiten (und anstecken).

6. Die Impfpflicht gilt erst ab 18 Jahren. Die Vakzine sind aber für Kinder ab fünf Jahren zugelassen und empfohlen. Dieses Alterslimit verhöhnt jede medizinische Evidenz. Die Regierung hat kalte Füße bekommen (und macht die Strafen für eine Familie mit Kindern so erst recht erschwinglich). Sigrid Maurer erklärte mir im Club 3, dem gemeinsamen wöchentlichen TV-Talk von profil, „Kurier“ und „Kronen Zeitung“, das sei eine Bedingung für die Zustimmung der NEOS, namentlich Beate Meinl-Reisinger, gewesen. Mag stimmen. (Bei der aggressiven Defensive der grünen Klubobfrau im Club 3 stimmte für mich vieles nicht: zum Beispiel, dass es eine „infame Unterstellung“ der Journalisten sei, den Postenschacher ihrer Partei im ORF-Direktorium zu hinterfragen.) Aber wer braucht die Zustimmung der NEOS? Haben die Grünen den Konsens beim Lobau-Tunnel gesucht? Friede, Freude, Eierkuchen?

7. Die Regierung hatte zunächst eine Impflotterie geplant. Kosten: Eine Milliarde Euro, damit wir so freundlich sind, ein Gesetz einzuhalten? Der SP-Finanzsprecher Jan Krainer konnte das freilich noch toppen: 150 Euro für jeden, der sich impfen lässt. Das macht dann insgesamt rund zwei Milliarden aus. Er nennt das „pragmatische Lösung“. Ich nenne es Chuzpe.

Fordern Sie Geld, damit Sie wählen gehen!

Liebe Leserinnen und Leser: Erinnern Sie sich bei nächster Gelegenheit an die Vorhaben der Politik! Fordern sie 100 Euro, wenn Sie im Stadtgebiet nicht schneller als 50 km/h fahren! Verlangen Sie 500 Euro, wenn Sie sich an das Rauchverbot in Lokalen halten! Und stellen Sie eine Rechnung über 1000 Euro, weil Sie wählen gehen (was zwar nicht vorgeschrieben ist; worauf Ihnen die Lust angesichts des Obigen aber vergehen könnte)!

Einen schönen Tag wünscht Ihnen Ihr

Christian Rainer

Herausgeber und Chefredakteur  

PS: Hat Ihnen die Morgenpost gefallen? Dann melden Sie sich jetzt an, um Ihren Werktag mit aktuellen Themen und Hintergründen aus der profil-Redaktion zu starten:

Christian   Rainer

Christian Rainer

war von 1998 bis Februar 2023 Chefredakteur und Herausgeber des profil.