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Kurz' Standortwechsel

ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz zwischen New York, Brüssel und dem „kleinen Land“ Österreich.

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Wäre Kurz noch Außenminister (2013 bis 2017) hätte er gestern in Brüssel seine EU-Amtskollegen getroffen. Allerdings: Kurz ist neuerdings nicht nur werdender Vater und - wie die Öffentlichkeit via Facebook erfuhr - als solcher „überglücklich und dankbar, dass wir bald zu dritt sein werden“, sondern seit Ende 2017 Kanzler von Österreich. In dieser Rolle weilt er dieser Tage in New York. Dort wird auf UNO-Ebene unter anderem über die Pandemie und ihre Folgen gesprochen, während es in Brüssel derweil unter anderem um die Lage in Afghanistan ging. Seit dem Abzug der USA und ihrer Verbündeten fällt dort ein Dorf nach dem anderen an die radikalislamischen Taliban. Laut UNO-Angaben haben 90.000 Afghanen auf der Flucht vor ihnen ihre Häuser verlassen. Die Pandemie kommt noch dazu. Nun appelliert die afghanische Regierung an Europa, alle Abschiebungen in das Land am Hindukusch für drei Monate auszusetzen. Wie es derzeit aussieht, könnte Afghanistan bald ein Talibanstaat werden. Dann wird man in Brüssel auch darüber reden müssen, wie man damit umgeht, dass Geld in das Land fließt, damit es im Gegenzug abgewiesene Asylwerber zurücknimmt. Überweist Europa künftig an eine islamistische Terrorgruppe? Was Kurz als Außenminister anno 2021 dazu gesagt hätte ist naturgemäß Spekulation.

Der Standort bestimmt den Standpunkt

In New York erklärte er anlässlich seiner Übersee-Mission gegenüber Journalisten jedenfalls, Österreich sei ein „kleines Land und daher ist für uns die internationale Zusammenarbeit und die internationale Vernetzung ganz besonders wichtig“. Das gelte vor allem bei der Corona-Pandemie, beim wirtschaftlichen Wiederaufbau und beim Kampf gegen den Klimawandel. Migration erwähnte er in diesem ORF-Interview nicht, obwohl genau darüber hierzulande seit mehr als einer Woche recht heftig debattiert wird. Konkret: Sollen Afghanen, die kriminell geworden sind, ohne Wenn und Aber abgeschoben werden? „Einen Abschiebestopp nach Afghanistan wird es mit mir sicherlich nicht geben,“ hatte Bundeskanzler Sebastian Kurz nach dem Verbrechen an der 13-jährigen Leonie erklärt. Junge, straffällig gewordenen Afghanen, die als Asylwerber ins Land gekommen waren, stehen im Verdacht, das Mädchen vergewaltigt und getötet zu haben. Hier geht es zur Analyse der Debatte. Offenbar bestimmt auch in einer vernetzten Welt der Standort den Standpunkt. Als Kurz dieses Versprechen abgab, weilte er nicht in New York oder Brüssel, sondern im „kleinen Land“ Österreich, wo die ÖVP – laut einer aktuellen Umfrage von unique research im Auftrag von profil - nach einem turbulenten Corona-Jahr immer noch auf 34 Prozent Zustimmung kommt. Sie liegt damit um mehr als zehn Prozentpunkte vor der zweitplatzierten SPÖ (die Ergebnisse und fünf Thesen dazu finden Sie hier).

Geliebt zu werden ist im politischen Geschäft das Um und Auf, aber natürlich auch auf menschlicher Ebene, wie ÖVP-Urgestein Andreas Khol im profil-Gespräch zum 80er einräumt: Der Ex-Klubobmann, Ex-Nationalratspräsident, Ex-Seniorenbund-Präsident hatte im Laufe seines Lebens viele unterschiedliche Rollen inne, empfand sich manchmal als eher gefürchtet, manchmal als „geliebt“ – und stellte fest, dass Letzteres „angenehmer war“. Das von Gernot Bauer geführte Interview ist in der aktuellen Ausgabe nachzulesen. Apropos „angenehm“: Angelika Hager wird sich in der nächsten Ausgabe dem Reisen widmen. Nein, nicht den Staatsbesuchen und Brüssel-Gipfeln, sondern dem privaten, genussvollen Reisen, das einem die schönsten und schrägsten Geschichten beschert und manchmal sogar hilft, die eigenen Standpunkte zu hinterfragen.

Herzlich,

Edith Meinhart

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Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges