Solidaritätsanschlag

Regierung: Wie Rot und Schwarz das österreichische Erfolgsmodell endgültig verspielen

Regierung. Wie Rot und Schwarz das österreichische Erfolgsmodell endgültig verspielen

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Sieht ein ÖGB-Präsident rot, zielt sein Zorn im Allgemeinen auf Arbeitgeber und Vertreter des Großkapitals. Wenn jedoch Erich Foglar dieser Tage in Rage gerät, trifft die Bosse von Wirtschaftskammer und Industrie keine Schuld, sondern Kanzler und Vizekanzler. „Wir haben es so satt“, stänkerte der oberste Gewerkschafter via „Kurier“ jüngst gegen die rot-schwarze Bundesregierung. Der Grund für Foglars Furor: Laut einer aktuellen Erhebung des Wirtschaftsforschungsinstituts fressen höhere Steuern und Abgaben Jahr für Jahr die kollektivvertraglichen Gehaltsanpassungen auf. Die Folge: Reallohnverlust statt Kaufkraftgewinn. Foglars Drohung: „Ich weigere mich, weiterhin Lohnerhöhungen nur für den Finanzminister zu verhandeln.“

Sieht ein Finanzminister die Welt rosig, hat er seinen Job verfehlt. Wenn Michael Spindelegger Dienstag dieser Woche seine erste Budgetrede hält, dürfte Erich Foglars Erregungspegel weiter steigen. Schließlich hat sich die Regierung gegenüber der EU verpflichtet, 2015 ein strukturelles Nulldefizit auszuweisen – Werner Faymann und Michael Spindelegger haben dieses vorerst einseitig auf 2016 verschoben. Für Entlastungen der 4,3 Millionen Beschäftigten fehlt der budgetäre Spielraum. Im Gegenteil: Allein 2014 will die Regierung 500 Millionen Euro einsparen – per Rasenmäher, vom Ausbau der Ganztagsschule bis zu Ersatzteilen fürs Bundesheer.

Im Wahlkampf hatte Michael Spindelegger Steuererhöhungen ausgeschlossen, im neuen Amt freilich in Rekordzeit eingeführt – und die vorgesehene Begutachtungsfrist eigens von sechs auf zwei Wochen verkürzt. Mit 1. März wurden die Abgaben auf Zigaretten, Alkohol und Kfz ­erhöht, Unternehmen und Banken zusätzlich belastet. Geplante Mehreinnahmen 2014: 770 Millionen. Ab 2015: jährlich 1,2 Milliarden Euro.
Krisenbedingt droht erstmals in der Zweiten Republik der nächsten Generation ein Wohlstandsverlust. Sozialer Aufstieg wird schwieriger. 400.000 Österreicher sind arbeitslos – ein negativer Rekord. Spitzenmanager drohen mit der Verlagerung ­ihrer Produktion ins Ausland. Ist die „solidarische Hochleistungsgesellschaft“ (Alfred Gusenbauer) am Ende? Warum verlieren die Bürger den Glauben an Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich? Eine profil-Analyse.

1.) Nehmen ist ­staatlicher denn geben
Es ist recht selten, dass ein 696 Seiten dicker Sachbuchschmöker, garniert mit langen Einkommensstatistiken, zum politischen Heuler wird. Dem französischen Ökonomen Thomas Piketty ist dieses rare Kunststück gelungen: Sein Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ löste, ausgehend von den USA, eine hitzige Debatte über Ungleichheit aus, die nun auch nach Europa schwappt. Denn Pikettys Kernthese – basierend auf der Analyse von Daten der vergangenen 300 Jahre – ist brisant: Gerade in Wirtschaftskrisenzeiten, schreibt er, hängen die Reichen den Mittelstand deutlich ab, weil Vermögen stärker wachsen als Arbeitseinkommen. Vom Tellerwäscher zum Millionär ist es ein weiter Schritt, vom Millionär zum Multimillionär ein vergleichsweise kurzer.

Zu ähnlichen Schlüssen kommen für Österreich alle Experten. Kein Wunder: Seit einem Vierteljahrhundert stagnieren hierzulande die Netto-Reallöhne, was die Inflation übriglässt, fressen Steuererhöhungen und die kalte Progression weg. Letztere brachte dem Staat im vergangenen Jahr laut einer Berechnung der Innsbrucker „Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung“ 2,4 Milliarden Euro an Steuereinnahmen. Heuer werden es 2,7 Milliarden Euro sein, die österreichische Steuerzahler zwangsweise dadurch leisten, dass sie durch inflationsbedingte Lohnerhöhungen in höhere Steuerklassen rutschen. Seit Jahren fordert die Gewerkschaft die jährliche Erhöhung der Einkommensgrenzen – ohne Erfolg.

Dass der Staat seinen Bürgern lieber nimmt als gibt, zeigt auch die aktuelle Abrechnung des Budgetvollzugs 2013 durch die Statistik Austria. Während die Einnahmen um 3,4 Prozent stiegen, lag das Ausgaben-Plus bei nur 1,2 Prozent. Die erfreuliche Wirkung für das Finanzministerium: 2013 betrug das Defizit 1,5 Prozent – und nicht wie prognostiziert 2,3 Prozent, trotz zusätzlicher Kosten durch Hypo und Bankenhilfe. Die Steuer- und Abgabenquote liegt derzeit auf dem Rekordniveau von 45,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes – zu Beginn der 1990er-Jahre lag sie noch bei 39,7 Prozent.

Als besonders beschäftigungsfeindlich gilt der Eingangssteuersatz, der bei extrem hohen 36,5 Prozent liegt, höher als in anderen Industriestaaten. Nicht umsonst verlangen vom Internationalen Währungsfonds bis zu heimischen Wirtschaftsforschern alle Ökonomen seit Jahren, die Steuern auf Arbeit zu senken – vergeblich. Arbeiten lohnt sich eher nicht. Dafür bleiben, ebenfalls zum Unmut der Ökonomen, Vermögen weitgehend von Steuern unbehelligt.

2.) Vertrauen ist gut, ­Misstrauen ist besser
In einer aktuellen Großstudie reiht die Bertelsmann-Stiftung Österreich in punkto Zukunftsfähigkeit auf Rang 19 unter 41 untersuchten Ländern. An der Spitze liegen Schweden, Norwegen, die Schweiz, Finnland, Dänemark und Deutschland. Hauptmanko Österreichs sei die „geringe Innovationskraft“. Positiv bewertet wird die politische Stabilität aufgrund der „Konsensorientierung“.

Doch die Harmonie ist – nicht zuletzt nach den Affären um Hypo, Buwog und Telekom Austria – ernstlich bedroht. Die Bürger setzen sich von ihrer Regierung ab. Drei Viertel aller Österreicher sind laut Umfrage des Ecoquest-Institus der Meinung, „die österreichische Politik versagt oft in entscheidenden Fragen“. 2001 waren nur 37 Prozent dieser Ansicht. Eine große Überraschung ist das nicht. Seit Jahren steht die Regierung offenbar macht- und ideenlos vor den immer gleichen Baustellen: Pensionen, Bildung, Verwaltung, Föderalismus, Gesundheitssystem. Doch statt eines Schaufelbaggers kommt bestenfalls ein Sandkastenschäufelchen zum Einsatz. Vom großen Wurf kann der Bundeskanzler nicht einmal mehr träumen: „Wir müssen Österreich nicht neu erfinden“, sagte Werner Faymann in seiner Regierungserklärung.

Die Wirtschaft bewertet die Kompetenz der Regierung ähnlich negativ wie die Bürger. Kammerpräsident Christoph Leitl nannte den Wirtschaftsstandort Österreich im Wahlkampf „abgesandelt“. Der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Christoph Neumayer, sagte vergangene Woche, man sei am „Ground Zero“ angekommen; die Unternehmen hätten das Vertrauen in Österreich als Investitionsland verloren. Schon zuvor hatte OMV-Chef Gerhard Roiss fehlende stabile Rahmenbedingungen kritisiert. Und Voest-Generaldirektor Wolfgang Eder drohte mit einer Verlagerung der Hochöfen von Linz in die USA.
Man kann es befremdlich finden, wenn Topmanager der Politik so unverhohlen drohen. Doch letztlich deckt sich deren Befund weitgehend mit jenem der Gewerkschafter: So kann es nicht weitergehen.

In kleiner dimensioniertem Maßstab legt sich auch Gerhard Höller mit dem Staat an. Inspiriert von einem Kommentar in den „Salzburger Nachrichten“, in dem der stellvertretende Chefredakteur Andreas Koller über einen Steuerstreik räsonierte, will der Trafikant aus Wagrain im Pongau seine Zahlungen ans Finanzamt verzögern, bis „die ,da oben‘ merken, wie groß unser Unmut ist“.

3.) Reich und Reich ­gesellt sich gern
Das Private kann politisch sein, besonders beim Paarungsverhalten. Die Wirtschaftswissenschafter von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) untersuchten die Muster von Beziehungen. Das einigermaßen überraschende Ergebnis für Österreich sowie andere Erste-Welt-Staaten: Es dominiert das sogenannte „assortative mating“, laut dem sich Gleich und Gleich, Reich und Reich, Gebildet und Gebildet gern gesellen. Platt ausgedrückt: Früher heiratete der Arzt die Krankenschwester oder der Pilot die Stewardess, heutzutage ist die statistische Wahrscheinlichkeit höher, dass sich Arzt und Ärztin zusammentun. Bereits in 80 Prozent der Partnerschaften haben die Beteiligten einen ähnlichen Bildungshintergrund.

Das zeitigt Konsequenzen: Der Soziologe Jeremy Greenwood hat für die USA penibel vorgerechnet, dass Paarungen in derselben Einkommens- und Bildungsklasse die Kluft zwischen Arm und Reich erheblichen vergrößern. Dieser Befund kann getrost auf Österreich übertragen werden – zumal spätestens seit den PISA-Studien erwiesen ist, dass sich der Klub der Gebildeten selbst reproduziert und Bildung von den Eltern auf ihre Kinder vererbt wird. Das kann für niemanden eine Überraschung sein, der jemals beobachtet hat, wie viel Verve Double-Income-Eltern auf Schulauswahl und Musikunterricht ihrer Kinder verwenden. Das Ergebnis: 53 Prozent der Akademikerkinder werden wieder Akademiker – und nur fünf Prozent jener Kinder, deren Eltern über einen Pflichtschulabschluss nicht hinausgekommen sind, schaffen es an eine Universität. Die Variante Aufstieg durch Bildung ist großteils eine Illusion.

Naturgemäß klaffen auch die Haushaltseinkommen immer weiter auseinander, wenn sich eher Gutverdienende zusammentun. Auch das ist in der OECD-Statistik ablesbar: Seit dem Jahr 1985 sind die Einkommen der obersten zehn Prozent der Haushalte um knapp zwei Prozent gewachsen – jene der untersten zehn Prozent hingegen lediglich um 0,5 Prozent.

4.) Die Post bringt ­keinem was
Geht es tatsächlich auf allen Gebieten abwärts? Überall nur Düsternis? Aber nein, es gibt auch Erfolgsstorys. Die Post zum Beispiel. Vor 20 Jahren machte der Brief- und Paketdienst (damals noch als Teil der staatlichen Post- und Telegrafenverwaltung) einen Verlust von 4,7 Milliarden Schilling, umgerechnet rund 340 Millionen Euro. Im Vorjahr erzielte derselbe Geschäftszweig einen Gewinn von 186 Millionen Euro. Die mittlerweile teilprivatisierte, börsennotierte Post AG erbrachte den Beweis, dass aus einem verstaubten Amt ein funktionierendes Unternehmen werden kann.
Leider hat niemand was davon.

Die Steuerzahler müssen zwar keine Verluste mehr ausgleichen. Dafür zahlen sie für Ex-Postler, die aus Einsparungsgründen in Frühpension geschickt werden. Das durchschnittliche Pensionsantrittsalter liegt in diesem Musterbetrieb bei 56 Jahren. Der Aktienkurs hat sich seit 2006, mit ein paar Durchhängern, fast verdoppelt. Allerdings ist nur jeder zehnte Österreicher Aktionär – die Freude bleibt also eher theoretischer Natur. Im echten Leben spürbar sind dafür die Konsequenzen des Sanierungskurses: Über 1000 Filialen wurden geschlossen, mehrere tausend Mitarbeiter abgebaut. Wer der Post heute als Kunde gegenübertritt, muss erst einmal brav Schlange stehen. Pakete werden grundsätzlich erst zugestellt, wenn sie richtig gut abgelegen sind. Der Erwerb einer simplen Briefmarke kann selbst in der Großstadt zur Schnitzeljagd werden. Unnötig zu erwähnen, dass der Finanzminister dicke Dividenden einstreift, diese aber für diverse Budgetlöcher braucht.

Die Post ist nur ein Beispiel unter vielen. In der österreichischen Variante des Kapitalismus entsteht beim Bürger häufig das ­Gefühl, gleich mehrfach geprellt zu werden. Am Ende gibt es schlechteren Service zu höheren Preisen – und jedes Jahr ein neues Spar­paket.

Hauptsächlich vom Sparen wird auch die Budgetrede des Finanzministers am Dienstag handeln. Die Steuerreform ist bis auf Weiteres verschoben, große Reformen waren ohnehin nicht geplant. Und wahrscheinlich wird Michael Spindelegger darauf hinweisen, dass es Österreich ja trotzdem gut geht. Irgendwie.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin