Schallenberg: „Es geht um die Verteidigung unseres Lebensmodells“

Außenminister Alexander Schallenberg über den Wirtschaftskrieg, den Kampf gegen russische Oligarchen und die zu große Abhängigkeit Österreichs von russischem Gas.

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profil: Die EU versucht einen Wirtschaftskrieg gegen Russ- land zu führen und geht dabei so weit wie nie. Ist das die richtige Waffe?
Schallenberg: Die Frage ist: Was ist die Alternative? Wir haben mit Putin einen Menschen, der trotz aller Warnungen den Weg der Gewalt geht. Wir als EU gehen diesen Weg bewusst nicht, wir wählen nicht die Gewalt. Wir setzen den Hebel dort an, wo es wehtut: bei der Wirtschaft. Und das in einer Art und Weise, wie es die EU noch nie getan hat. Ich halte es für völlig richtig, dass der US-Präsident und die NATO klargestellt haben: Wir werden uns nicht mit Soldaten oder Flugzeugen beteiligen. Es bleibt uns also die Wirtschaftswaffe.

profil: Das mittlerweile schon vierte Sanktionspaket richtet sich  gegen russische Oligarchen. Wie weit will die EU gehen: Konten einfrieren? Vermögen enteignen?
Schallenberg: Wir haben sieben Banken aus dem SWIFT-System ausgeschlossen und mehr als 800 Personen mit Sanktionen 
belegt. Aber natürlich bleiben uns Eskalationsmöglichkeiten, wir können noch weiter gehen, die Sanktionsschraube noch 
enger zudrehen. Wir wollen, dass die Mächtigen Russlands auf Präsident Putin einwirken und auf Kursänderung drängen, dass sie Waffenstillstand, humanitäre Korridore und ein Ende des Angriffskrieges verlangen. 

profil: Wie definiert die EU Oligarchen – als reich, korrupt oder Putin-Freunde?
Schallenberg: Als jemand, der im System Putin zu Reichtum gekommen ist, was nicht möglich ist, ohne sich mit staatlichen Autoritäten und den Herrschenden zu arrangieren. Man darf aber sicher nicht alle über einen Kamm scheren: Es gibt genügend Wohlhabende, die das System verlassen haben und ins Ausland geflüchtet sind oder flüchten mussten. Reichtum und ein russischer Pass allein reichen nicht aus, um als Oligarch zu gelten.

profil: Geht Österreich zu zögerlich gegen russische Oligarchen vor? Polen etwa hat Österreich zu entschlossenerem Vorgehen aufgefordert, Vizekanzler Werner Kogler hat die „Schleimspur“ kritisiert, die Österreich früher zog.
Schallenberg: Die Äußerung war unnötig. Österreich agiert immer im Einklang mit der EU, rasch und geeint. 

profil: Hat Österreich gedrängt, den Oligarchen Oleg Deripaska von der EU-Sanktionenliste streichen zu lassen?
Schallenberg: Wie kann ich das freundlich formulieren? Das ist eine Zeitungsente und ist von A bis Z falsch. Wir haben auf den Sanktionen-Listen keine Personen beeinsprucht und werden das selbstverständlich auch in Zukunft nicht tun. 

profil: Unbestritten ist Österreich sehr abhängig von Russland, bezieht etwa zu 80 Prozent russisches Gas. Wie soll dieser Fehler behoben werden?
Schallenberg: Man muss fair sein: Wir  sind bewusst wirtschaftlich auch nach Osten gestrebt, und es war immer klar, dass das mit Risiken verbunden ist. Wir sind ökonomisch sehr exponiert in Russland, in der Ukraine, in Belarus. Das war kein Fehler. Aber in der Energiepolitik haben wir nicht rechtzeitig diversifiziert. Jetzt suchen wir nach anderen Energielieferanten. Das ist einer der Lernprozesse aus dem russischen Angriffskrieg.

profil: Genieren Sie sich für Ihre Vorgängerin, Ex-Außenministerin und Putin-Adorantin Karin Kneissl?
Schallenberg: Ich werde meine Vorgängerin wirklich nicht kommentieren. Sie hat ihren Weg gewählt. Punkt.

profil: Londons Bürgermeister will Oligarchen-Immobilien für Flüchtlinge öffnen. Soll auch Österreich das tun?
Schallenberg: Wir dürfen etwas nicht vergessen: Ja, Russland verletzt alle Rechtsgrundsätze massiv, bricht das humanitäre Völkerrecht eklatant, führt einen ungerechtfertigten Angriffskrieg. Aber wir sind Demokratien und Rechtsstaaten. Und wir müssen auch als solche agieren. Diese Prinzipien sollten wir nie vergessen. Ich verstehe die Emotionalität, aber bleiben wir in der EU am Boden der Rechtsstaatlichkeit. Denn es geht letztlich um die Verteidigung unseres Lebensmodells, unseres Wertemodells. Das wird massiv angegriffen, untergraben und beschossen. 

profil: Aus der Ukraine kommt eine riesige Fluchtbewegung. Ändert die türkise ÖVP ihre bisher strikte Asyl- und Migrationspolitik?
Schallenberg: UNHCR prognostiziert die größte Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Linie der ÖVP bleibt dieselbe: Wir haben immer das Prinzip Hilfe vor Ort und in der unmittelbaren Nachbarschaft verfolgt, Afghanen etwa sind in der Region besser aufgehoben und sollen nicht 5000 Kilometer auf sich nehmen. Die Ukraine hingegen ist unsere unmittelbare Nachbarschaft, Lemberg ist von Wien aus näher als Bregenz. Das sind unsere europäischen Schwestern und Brüder. Daher ist es natürlich selbstverständlich, dass wir direkt in Österreich helfen.  Das ändert nichts an der ÖVP-Linie.

profil: Regionen wie Moldau sind besonders belastet: Dort gibt es 2,4 Millionen Einwohner und 100.000 Flüchtlinge aus der Ukraine. 
Schallenberg: Wir müssen den Blick schärfen auf Regionen wie Moldau, den Südkaukasus und den Westbalkan. Es braucht hier ganz massive Hilfspakete. Wir als EU müssen diesen östlichen Partnern unterstützend zur Seite stehen. Und uns muss bewusst sein: In diesem Krieg wird unser Wertesystem angegriffen. Es ist jetzt die  Zeit, in der wir uns als EU nicht in einem buchhalterischen und legalistischen Dschungel verirren dürfen, sondern klar sagen müssen: Wir wollen unser Lebensmodell exportieren. Wir wollen pluralistische, offene Demokratien, die auf Grund- und Freiheitsrechten fußen. 

profil: Das bedeutet: den EU-Beitritt anbieten?
Schallenberg: Das bedeutet als nächste Schritte: den EU-Kandidatenstatus für Bosnien und Herzegowina. Visaliberalisierung für den Kosovo. Den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien. Unsere Botschaft muss deutlich sein: Eure Zukunft liegt in der EU und sonst nirgendwo.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin