Schmähfizit: Budgets sind so vage wie Wetterprognosen

Schmähfizit: Budgets sind so vage wie Wetterprognosen

Drucken

Schriftgröße

Die Jury aus Sprachwissenschaftern, Germanisten und Juristen musste im Jahr 2001 nicht lange über das Wort des Jahres nachdenken: "Nulldefizit“ - was sonst? Finanzminister Karl-Heinz Grasser, der Meister der Eigen-PR, hatte den Begriff erfunden, unermüdlich wiederholt und mit penetranten Werbeslogans wie "Ein guter Tag beginnt mit einem sanierten Budget“ garniert. Leise Zweifel darüber, ob das "Nulldefizit“ nicht eher Werbe- denn Sanierungsleistung war, bestanden schon damals; ein Jahrzehnt später ist es hochoffiziell: Grassers Nulldefizit war keines.

Die Statistik Austria, Österreichs höchste Zahleninstanz, berechnet das Budgetdefizit für das Jahr 2001 mittlerweile mit exakt -0,6 Prozent. Das ist selbst bei ausgeprägter Rechenschwäche nicht auf eine Null auf-, sondern auf -1 abzurunden - und damit von einem echten Nulldefizit ungefähr so weit entfernt wie Österreich vom Gewinn der Fußballweltmeisterschaft. Außer Zahlen-Feinspitzen kümmert das heute kaum jemanden mehr, zeigt aber eines: Budgets sind nicht viel zuverlässiger als Wetterprognosen. Und sie können sogar, im Gegensatz zum Wetter, noch Jahre später korrigiert werden.

Da ändert sich alle paar Tage etwas

Michael Spindelegger etwa, personifiziertes Gegenteil des Eigen-Marketing-Genies Grasser, war bisher als glückloser Kurzzeit-Finanzminister im öffentlichen Gedächtnis abgespeichert. Nun könnte er eine späte Imagekorrektur erleben - und zur Überraschung aller im Vorjahr, gemeinsam mit Nachfolger Hans Jörg Schelling, still und leise das strukturelle Nulldefizit erreicht haben. Das zeigen zumindest Berechnungen der Arbeiterkammer, die das strukturelle Defizit fürs Vorjahr mit 0,43 Prozent des Bruttoinlandsproduktes vermessen, was gerade noch als Nulldefizit durchginge. Bernhard Felderer, der Vorsitzende des Fiskalrates, bestätigt: "Das Budget 2014 fällt auf jeden Fall besser aus als angenommen. Ob sich ein strukturelles Nulldefizit haarscharf ausgeht oder nicht, wird sich weisen - da ändert sich alle paar Tage etwas.“

Erklärbar ist das kleine Budgetwunder mit jenen Nullsummenspielereien, auf denen das sogenannte strukturelle Defizit beruht. Erstens kann nach diesen neuen EU-Regeln mehr als die Hälfte des Defizits herausgerechnet werden - jene 4,5 Milliarden Euro, die in die Hypo-Abbaubank Heta flossen. Das gilt als Einmalzahlung und zählt nicht fürs Defizit, das allein dadurch von 2,4 auf 1 Prozent sinkt. Ab jetzt wird die Rechnung derart kompliziert, dass selbst Ökonomen wie Ulrich Schuh vom Institut EcoAustria zu Wetterprognosevergleichen greifen.

Klingt vage und fehleranfällig? Ist es auch

Schuh sagt: "Wenn man davon ausgehen muss, dass es derzeit kälter als im Jahresdurchschnitt ist, wir uns also im konjunkturellen Winter befinden, kann ein Teil des Defizits wegen dieser Temperaturbelastung weggerechnet werden. Wenn man hingegen annehmen muss, dass es derzeit überdurchschnittlich heiß ist und es daher bald kühler werden wird, steigt das strukturelle Defizit - denn es wird danach berechnet, welche Konjunkturlage erwartet wird.“ Schuhs Einschätzung nach befindet sich Österreich derzeit im "konjunkturellen Spätwinter“, daher werde das strukturelle Defizit für das Jahr 2014 einen Nuller davor stehen haben. Die Details werden die Tüftler vom Wirtschaftsforschungsinstitut in Kürze liefern.

Klingt vage und fehleranfällig? Ist es auch. Es ist keine Seltenheit, dass Budgets Jahre später korrigiert werden: Oberösterreich etwa galt als Defizit-Sünder, weil es 2013 um vier Millionen Euro mehr Schulden machte als erlaubt. Anfang April legte die Statistik Austria neue Zahlen vor: Das Land hatte 2013 nicht um vier Millionen mehr, sondern um 115 Millionen weniger Schulden gemacht als gestattet. Wahrscheinlich.

Insofern wird man erst in ein paar Jahren genau wissen, ob Österreich 2014 unabsichtlich ein strukturelles Nulldefizit erreicht hat oder nicht. Dann wird klar sein, wie das Konjunkturwetter ausgeschaut haben wird. Oder auch nicht, seufzt Schuh: "Seit der Finanzkrise haben wir mit einem Konjunktur-Klimawandel zu kämpfen. Das macht Budgetprognosen fast unmöglich.“

Dagegen wirkt die Wettervorhersage nachgerade wie eine exakte Wissenschaft.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin